Litigation, Arbitration IP/IT

Reform der UGP-Richtlinie – das Ende der Produktwerbung mit CO₂-Kompensation?

Verfasst von

Dr. Christoph Andreas Weber

Was haben Erdbeermarmelade, Essigreiniger, Grablichter, Heizöl und Lakritz gemeinsam? Deutsche Gerichte mussten sich damit befassen, ob diese (und andere) Produkte als klimaneutral beworben werden durften. Bei solchen Streitigkeiten geht es regelmäßig darum, ob der claim „klimaneutral“ durch Kompensation von CO2-Emissionen begründet werden kann und ob weitere Angaben zu Art und Umfang der Kompensation gemacht werden müssen. Hierzu gibt es inzwischen einige Urteile von Oberlandesgerichten und eine ganze Reihe erstinstanzlicher Entscheidungen. Während die Rechtslage im deutschen Recht auf diesem Weg Stück für Stück geklärt wird, zeichnet sich auf europäischer Ebene ein weitgehendes Verbot ab, Produkte auf der Grundlage einer CO2-Kompensation als klimaneutral zu bewerben.

CO2-Kompensation als umstrittene Werbeaussage

Die Kompensation von Treibhausgasemissionen – eingegangen wird hier der Einfachheit halber nur auf CO2 – ist ein ebenso verbreiteter wie umstrittener Ansatz zum Schutz des Weltklimas. Im gedanklichen Ausgangspunkt sind CO2-Emissionen nicht klimaschädlich, wenn die gleiche Menge CO2 der Atmosphäre im gleichen Moment (aber ggf. an einem anderen Ort) wieder entnommen wird oder dafür andere Emissionen im gleichen Umfang wegfallen. Beispiele sind etwa Aufforstungsprojekte oder das Verteilen effizienter Brennöfen, die anstelle des ineffizienteren und damit klimaschädlicheren offenen Feuers genutzt werden sollen.

Gleichwohl gibt es viele Einwände, die sich zum Teil gegen den Grundansatz der Kompensation richten, häufiger aber den praktischen Nutzen existierender Kompensationsprojekte in Abrede stellen. Geltend gemacht wird insbesondere, dass viele Kompensationsprojekte keinen hinreichend langfristigen Effekt hätten oder sogar nicht einmal tatsächlich zusätzliche Einsparungen an Treibhausgasemissionen mit sich bringen würden, wie es in manchen Studien geltend gemacht wird (Beispiel). Ungeachtet dessen gibt es Nichtregierungsorganisationen, die es für denkbar halten, wirksame und vertrauenswürdige Kompensationsprojekte zu identifizieren. Einige von ihnen haben z.B. einen so genannten Goldstandard der Klimakompensation entwickelt, der helfen soll, insoweit die Spreu vom Weizen zu trennen.

Trotz dieser Diskussion erfreut sich der Ansatz, Produkte unter Verweis auf CO2-Kompensationsmaßnahmen als klimaneutral zu bewerben, großer Beliebtheit. Angesichts der sehr unterschiedlichen Qualität der verschiedenen Kompensationsansätze verwundert es nicht, dass dabei häufig der Vorwurf des Greenwashings erhoben wird und in zunehmendem Ausmaß die Gerichte beschäftigt.

Werbung mit dem Claim „klimaneutral“ vor dem Hintergrund der §§ 5, 5a UWG

Die Gerichtsentscheidungen zur (angeblich) unlauteren Verwendung des Claims „klimaneutral“ in der Produktwerbung befassen sich überwiegend mit den §§ 5, 5a UWG. Im Rahmen des § 5 UWG kommt es darauf an, ob der Claim „klimaneutral“ irreführend ist. Allgemein gesprochen, ist eine Werbeaussage irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über bestimmte, im Gesetz näher umrissene Umstände enthält (§ 5 Abs. 2 UWG). Abzustellen ist auf das Verständnis der mit der Werbeaussage angesprochenen Verkehrskreise (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.7.2023 – 1-20 U 152/22).

Einig sind sich die Oberlandesgerichte darüber, dass es nicht per se irreführend ist, Produkte auf der Grundlage einer Kompensation von Treibhausgasemissionen als klimaneutral zu bewerben (s. etwa OLG Schleswig, Urteil vom 30.6.2022 – 6 U 46/21; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.7.2023 – 1-20 U 152/22). Anschaulich sind etwa die Aussagen des OLG Düsseldorf dazu. Danach versteht der Durchschnittsverbraucher die Aussage „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen CO2-Bilanz und weiß, dass eine solche auch durch Kompensation von CO2-Emissionen erreicht werden kann. Eine Irreführung ist bei diesem Verständnis aber jedenfalls dann gegeben, wenn die Aussage nicht stimmt, die CO2-Emissionen also nicht vollständig kompensiert werden. Das Gleiche gilt, wenn ein Unternehmen nicht einmal in der Lage ist, konkrete Angaben zur Menge des emittierten und damit zu kompensierenden CO2 zu machen (OLG Koblenz, Urteil vom 10.08.2011 – 9 U 163/11).

Noch nicht endgültig geklärt ist, ob und inwieweit die geltend gemachte Klimaneutralität in der Werbung genauer erläutert werden muss. Das wird zum Teil aufgrund von § 5a UWG gefordert. Danach ist es auch unlauter, dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer Informationen vorzuenthalten, die er nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen. Das gilt nicht nur, wenn eine spezielle Rechtsvorschrift diese Angaben verlangt. Die Gerichte können im Rahmen von § 5a UWG auch im Einzelfall aufgrund einer Interessenabwägung weitergehende Angaben verlangen. Allgemein gesprochen, muss jede Angabe gemacht werden, die unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und der für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers erhebliches Gewicht zukommt (BGH, Urteil vom 21.7.2016 – I ZR 26/15 – LGA tested).

Auf dieser Grundlage verlangen die Oberlandesgerichte Frankfurt und Düsseldorf die Aufklärung des Verbrauchers darüber, „ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen bzw. durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird“, sowie, „ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden“ (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.7.2023 – I-20 U 152/22; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 10.11.2022 – 6 U 104/22). Offengelegt werden muss aus Sicht des OLG Frankfurt etwa die Nichtberücksichtigung der in der Wertschöpfungskette an vor- oder nachgelagerter Stelle entstehenden sog. Scope 3-Emissionen (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 10.11.2022 – 6 U 104/22). Das betrifft z.B. CO2-Emissionen, die schon bei der Gewinnung der weiter zu verarbeitenden Rohstoffe entstehen. Andere Gerichte formulieren zwar in der Tendenz zurückhaltend, verlangen aber im Ergebnis ebenfalls nähere Ausführungen zur behaupteten Klimaneutralität eines Produkts (OLG Schleswig, Urteil vom 30.6.2022 – 6 U 46/21).

Eine andere Frage ist, ob derartige Angaben auf der Produktverpackung (bzw. in dem sonst verwendeten Werbemedium) gemacht werden müssen oder ob sie in eine Website ausgelagert werden können, die der Verbraucher über einen QR-Code oder eine URL abrufen kann. Insoweit berücksichtigen die Gerichte entsprechend der gesetzlichen Vorgabe in § 5a Abs. 3 UWG durchaus, wieviel Platz das verwendete Werbemedium bietet: So muss Müllbeuteln kein „Beipackzettel“ mit weiteren Ausführungen zu der behaupteten Klimaneutralität des Produkts beigelegt werden; ein Verweis auf eine Website mit weitergehenden Informationen ist aus Sicht des OLG Schleswig völlig ausreichend (OLG Schleswig, Urteil vom 30.6.2022 – 6 U 46/21; siehe auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 6.7.2023 – I-20 U 152/22). Bei einer Werbeanzeige, die ohnehin einen längeren Fließtext enthält, kann die Beurteilung anders ausfallen (LG Oldenburg, Urteil vom 16.12.2021 – 15 O 1469/21). Das gleiche gilt für einen im Internet veröffentlichten Werbefilm, der durch nähere Angaben zu der behaupteten Klimaneutralität nicht erheblich länger geworden wäre und nur durch eine kurze Einblendung auf eine Website mit weitergehenden Informationen verweist (OLG Frankfurt, Urteil vom 16.02.2023 - 6 U 157 /22).

Änderung der UGP-Richtlinie: Verbot der Produktwerbung mit CO2-Kompensation

Die dem UWG zugrundeliegende EU-Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr (UGP-RL) wird derzeit reformiert. Die Reform verfolgt u.a. das Ziel, Greenwashing in der Produktwerbung wirksamer als bisher entgegenzutreten. Das geht bereits aus dem ursprünglichen Richtlinienentwurf hervor, den die EU-Kommission im März 2022 vorgelegt hat (COM[2022] 143 final). 

Im Gesetzgebungsverfahren – konkret: dem informellen Trilog zwischen Kommission, Rat und Parlament – zeichnet sich nun eine wesentliche Verschärfung ab. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten hat am 25. Oktober 2023 einem Kompromissvorschlag zugestimmt, der das Verbot vorsieht, Produkte auf der Grundlage einer Kompensation von Treibhausgasemissionen als klimaneutral zu bewerben (2022/0092[COD]). Danach soll die Liste der in jedem Fall als unlauter anzusehenden Geschäftspraktiken in Anhang I der UGP-Richtlinie auf Vorschlag des Europäischen Parlaments um eine neue Nr. 4ba ergänzt werden, die Folgendes als unlauter einstuft:

“Claiming, based on greenhouse gas emissions offsetting, that a product has a neutral, reduced or positive impact on the environment in terms of greenhouse gas emissions.”

Was damit gemeint ist, erschließt sich aus Erwägungsgrund 11a des Kompromissvorschlags:

“Examples of such claims are ‘climate neutral’, ‘CO2 neutral certified’, ‘carbon positive’, ‘climate net zero’, ‘climate compensated’, ‘reduced climate impact’, ‘limited CO2 footprint’ among others.”

Der Entwurf bezeichnet es sogar als besonders wichtig, derartige Werbeaussagen auf der Grundlage einer Kompensation von Treibhausgasemissionen zu verbieten, weil die Verbraucher dadurch getäuscht würden. Anders soll es sich nur verhalten, wenn die Kompensation in der Wertschöpfungskette des Produkts selbst erfolgt und sich damit spezifisch auf das beworbene Produkt bezieht. Hierzu findet sich folgender Hinweis in dem genannten Erwägungsgrund 11a:

“This should not prevent companies from advertising their investments in environmental initiatives, including carbon credit projects, as long as they provide such information in a way that is not misleading and also complies with the requirements laid down in Union legislation.”

Claims der Art, dass das Produkt als solches zwar nicht klimaneutral ist, der Hersteller aber außerhalb der Wertschöpfungskette liegende Klimaschutzprojekte unterstützt, die Treibhausgasemissionen im gleichen Umfang einsparen, könnten damit zulässig bleiben. Die genaue Reichweite des neuen Verbotstatbestands wird nach der endgültigen Verabschiedung der Richtlinie zu diskutieren sein. Aber selbst wenn solche Aussagen rechtlich zulässig sind, bleibt fraglich, ob sich daraus noch hinreichend eingängige Werbebotschaften formulieren lassen, die man in Werbemedien sinnvoll platzieren kann.

Ausblick

Wenn die UGP-Richtlinie in der sich abzeichnenden Weise geändert wird, müssen die EU-Mitgliedstaaten sie in nationales Recht umsetzen. Die zu erlassenden Umsetzungsbestimmungen – in Deutschland voraussichtlich eine geänderte Fassung des UWG – müssen innerhalb von 30 Monaten nach Inkrafttreten der Richtlinie Geltung erlangen. Bei einer Verabschiedung der Richtlinie Anfang 2024 wäre dies im Lauf des Jahres 2026. Die skizzierte Rechtsprechung der deutschen Gerichte wird sich danach nicht mehr aufrechterhalten lassen.

Die Unternehmen werden sich auf die neue Rechtslage einstellen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass seriöse Kompensationsprojekte, die wirklich einen positiven Klimaeffekt haben, nicht an Unterstützung verlieren, wenn die Klimakompensation in der Werbung nicht mehr in eingängiger Weise herausgestellt werden kann.

Weitere Änderungen im Hinblick auf umweltbezogene Werbeaussagen wird die Green Claims Directive mit sich bringen. Über sie haben wir an anderer Stelle berichtet.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Privatdozent Dr. Christoph Weber.

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