Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Ausweitung des „Temporary Framework“ der EU-Kommission und Auswirkungen auf das deutsche Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz

Verfasst von

Ricarda Völker

Bereits in unserem Blogbeitrag vom 23. März 2020 haben wir über den „Temporary Framework“ (TF) der EU-Kommission für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 berichtet.

Dieser wurde jetzt ein weiteres Mal durch die EU-Kommission ausgeweitet mit dem Ziel, Rekapitalisierungsbeihilfen und Beihilfen in Form von nachrangigem Fremdkapital für in Not geratene Nicht-Finanzunternehmen zu ermöglichen. Die Ausweitung des TF wird auch Auswirkungen auf die inhaltliche Gestaltung des deutschen Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetzes (WStFG) haben, das vor Ausweitung des TF der EU-Kommission zur Genehmigung vorgelegt wurde und das u.a. ebenfalls die Rekapitalisierung von Unternehmen zum Gegenstand hat.

Beihilfen nach dem TF dürfen nur Unternehmen gewährt werden, die sich am 31. Dezember 2019 nicht in Schwierigkeiten befanden. Die Gewährung von Rekapitalisierungsbeihilfen und Beihilfen in Form von nachrangigem Fremdkapital unter Geltung des TF ist an strenge Voraussetzungen geknüpft, die von den Mitgliedstaaten und den Unternehmen einzuhalten sind:

Voraussetzungen hinsichtlich Erforderlichkeit, Geeignetheit und Umfang der Maßnahmen

Rekapitalisierungsmaßnahmen dürfen nur dann gewährt werden, wenn keine sonstigen Maßnahmen zur Verfügung stehen. Es ist erforderlich, dass ein besonderes Interesse der EU besteht, es sich also beispielsweise um ein systemisch wichtiges Unternehmen handelt oder das Risiko einer Unterbrechung der Erbringung einer wichtigen Dienstleistung durch die Beihilfe vermieden wird. Zudem muss die Beihilfe auf das erforderliche Maß beschränkt sein und darf nur die vor dem Corona-Ausbruch bestehende Kapitalstruktur wiederherstellen.

Voraussetzungen hinsichtlich der Vergütung und des Ausstiegs des Staates

Die Rekapitalisierungsmaßnahmen sind angemessen zu vergüten. Die Vergütung muss so gestaltet sein, dass ein Anreiz der Unternehmen bzw. ihrer Anteilseigner besteht, die Anteile vom Staat zurück zu erwerben.

Die Mitgliedstaaten müssen gemeinsam mit den beihilfeempfangenden Unternehmen eine Ausstiegsstrategie entwickeln, die gewährleistet, dass der Ausstieg des Staates nach sechs Jahren bei börsenorientierten und sieben Jahren bei sonstigen Unternehmen feststeht. Andernfalls muss bei der EU-Kommission ein Umstrukturierungsplan für das begünstigte Unternehmen angemeldet werden.

Bis zum vollständigen Ausstieg des Staates unterliegen die beihilfeempfangenden Unternehmen außerdem einem Dividenden- und Aktienrückkaufverbot. Zusätzlich gilt bis zur Rückzahlung von mindestens 75% der Rekapitalisierung eine strenge Beschränkung der Vergütung der Geschäftsleitung sowie ein Verbot von Bonuszahlungen.

Unternehmen die nicht als kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) zu qualifizieren sind, dürfen außerdem keine Beteiligungen von mehr als 10% an Wettbewerbern oder anderen Unternehmen im selben Geschäftsfeld, einschließlich vor- und nachgelagerter Geschäftstätigkeiten, erwerben, bis die Rekapitalisierung zu mind. 75% zurückgezahlt wurde.

Transparenz

Insgesamt wird eine hohe Transparenz vom Staat und den Unternehmen verlangt. Die Beihilfehöhen und das beihilfeempfangende Unternehmen müssen veröffentlicht werden. Unternehmen müssen unter anderem angeben, wie sie die Beihilfen konkret verwenden und ob damit auch Beiträge zum grünen und digitalen Wandel geleistet werden.

Der geänderte TF gilt grundsätzlich bis Ende des Jahres 2020. Ausschließlich für Rekapitalisierungsmaßnahmen hat die EU-Kommission den Geltungszeitraum jedoch bis Ende Juni 2021 verlängert. Mitgliedstaaten können sowohl Rekapitalisierungsregelungen oder Einzelbeihilfen unter Geltung des TF anmelden. Beihilfen für Unternehmen, die den Schwellenwert von 250 Mio. € übersteigen, müssen auch bei der Genehmigung einer Beihilferegelungen für Einzelbewertungen gesondert bei der EU-Kommission zur Genehmigung angemeldet werden.

Auswirkungen auf den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF)

Maßgebliches Instrument zur Rekapitalisierung von Unternehmen in Deutschland ist der WSF, dessen gesetzliche Grundlage, das WStFG, am 28. März 2020 und damit vor Änderung des TF, in Kraft getreten ist. Das WStFG findet derzeit keine Anwendung, da seine Genehmigung durch die EU-Kommission noch aussteht. Es wird sich in seiner Ausgestaltung maßgeblich an den Vorgaben des TF orientieren müssen, so dass zum aktuellen Stand des WStFG noch Änderungen zu erwarten sind.

Der WSF hat ein Gesamtvolumen von 600 Mio. €, wovon 400 Mio. € für Garantien bereitgestellt werden sollen und je 100 Mio. € für Rekapitalisierungsmaßnahmen und zur Refinanzierung der KfW. Er steht nur großen Unternehmen, also Unternehmen mit über 249 Mitarbeitern, mit mehr als 50 Mio. € Umsatz oder einer Bilanzsumme von mehr als 43 Mio. € pro Jahr (Nicht-KMU), oder systemrelevanten Unternehmen zur Verfügung, die einer Fortführungsprognose unterliegen und die zum 31. Dezember 2019 nicht als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ (d.h. Unternehmen, die aus Sicht des EU-Beihilferechts grundsätzlich nicht und nur nach Maßgabe der Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen gefördert werden können) einzustufen waren. Das Unternehmen muss eine solide und umsichtige Geschäftspolitik betreiben und zur Stabilisierung von Produktionsketten sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen. Es darf nur der Liquiditäts- und Kapitalbedarf gedeckt werden, der auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist.

Weitere Einzelheiten zu den Maßnahmen des WSF sind gesonderten Rechtsverordnungen vorbehalten, die derzeit noch nicht erlassen wurden. Insoweit bleibt – insbesondere im Hinblick darauf, dass in § 20 Absatz 2 WStFG vorgesehen ist, dass u.a. Vorgaben der EU-Kommission bei den Bedingungen und Auflagen für Leistungen aus dem WStFG berücksichtigt werden – abzuwarten, ob das bei der EU-Kommission angemeldete WStFG geändert wird oder die Anforderungen des geänderten TF durch die noch zu erlassenen Rechtsverordnungen umgesetzt werden können.

Fazit

Die Ausweitung des TF ist trotz der strengen Anforderungen, die an die Gewährung von Rekapitalisierungsmaßnahmen gestellt werden, zu begrüßen. Die EU hat damit den Mitgliedstaaten einen Rechtsrahmen für die Gewährung von Rekapitalisierungsmaßnahmen vorgegeben, der es ermöglicht, den von der Krise betroffenen Unternehmen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie so dringend benötigen. Die strengen Voraussetzungen, die den Wettbewerb insbesondere auch nach der Krise wahren sollen, sind aus Unternehmenssicht als Hürde zu bewerten und werden grundsätzlich auch bei Rekapitalisierungsmaßnahmen auf Grundlage des WSF zu beachten sein. Wie die Vorgaben des TF in das WStFG übernommen werden, bleibt derzeit abzuwarten. Sofern von den Vorgaben des TF abgewichen werden soll oder eine Beihilfe von mehr als 250 Mio. € gewährt werden soll, ist dies bei der EU-Kommission einzeln zu notifizieren.