Gesellschaftsrecht

Vorstandsvergütung im Lichte von ESG

Verfasst von

Dr. Thorsten Ehrhard

Dr. Robert Schiller

A. Was ist unter dem Thema zu verstehen?

Derzeit wird das Thema ESG auf den verschiedensten rechtlichen Ebenen heiß diskutiert. Durch Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren gewann dieses Thema an neuer Dynamik, insbesondere im Bereich der Vergütung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft.

Bereits im Jahr 2009 führte das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) dazu, dass in § 87 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AktG die Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Vergütungsstruktur des Vorstandes einer börsennotierten Aktiengesellschaft aufgenommen wurde. Hiernach ist die Vergütungsstruktur der Mitglieder des Vorstandes auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) wurde die Regelung ergänzt, so dass die nachhaltige Unternehmensentwicklung zusätzlich „langfristig“ ausgerichtet sein muss. Daneben wurde auch bei der Reform des Deutschen Corporate Governance Kodex 2022 die Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil der Unternehmensführung in den Fokus genommen und von der Praxis als wertvolle Leitlinie für das Handeln von Vorständen und Aufsichtsräten wahrgenommen.

Für den Aufsichtsrat, der Adressat der Regelungen in § 87 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AktG ist, bedeutet dies, dass sich im Rahmen der Vergütungsregelungen für das Vorstandsmitglied der Nachhaltigkeits- und Langfristigkeitsgedanke am dauerhaften, jedenfalls periodenübergreifenden Erfolg des Unternehmens zu orientieren hat.

Dass das Thema Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung nicht nur börsennotierte Aktiengesellschaften betreffen soll, zeigt die Gesetzesbegründung zu dem VorstAG, da der Nachhaltigkeitsgedanke grundsätzlich auch von nicht börsennotierten Gesellschaften beachtet werden soll. In Ergänzung dessen regelt der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) in seinem Grundsatz 24, ebenso wie § 87 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AktG, dass die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten ist. Durch die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG wird die Notwendigkeit der Beachtung der gesetzlichen Regelungen sowie der Regelungen des DCGK nochmals unterstrichen.

B. Wie ist der aktuelle Stand in Rechtsprechung und wissenschaftlicher Diskussion?

Die Einfügung von § 87 Abs. 1 S. 2 und 3 AktG durch das VorstAG in das Aktiengesetz sowie die Anpassung durch das ARUG II wird der Anlass des Gesetzgebers für die Änderung des Gesetzes ersichtlich. Denn durch die bisherigen gesetzlichen Regelungen wurden nach dessen Auffassung fehlerhafte Verhaltensanreize bei der Vorstandsvergütung begünstigt. Daher sollen durch die Neuregelungen Vergütungsstrukturen verhindert werden, die zum Eingehen unverantwortlicher Risiken verleiten und damit den Bestand der Gesellschaft gefährden. Der langfriste und nachhaltige Erfolg soll im Vordergrund stehen.

Dem Aufsichtsrat stehen hierbei nicht nur langfristige Vergütungselemente als Baustein für die Vergütung eines Vorstandsmitgliedes zur Verfügung, um die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 S. 2 AktG zu erfüllen, sondern auch kurzfristige Vergütungslemente. Dies wird durch den Grundsatz 24 des DCGK unterstrichen, wobei das Hauptaugenmerk auf den langfristigen Zielen liegen soll, da nach Ziffer 6 der Begründung des Grundsatzes 24 die variable Vergütung bezüglich langfristig orientierter Ziele die Vergütung hinsichtlich kurzfristig orientierter Ziele überwiegen soll.

Um den Nachhaltigkeitszielen des § 87 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AktG gerecht zu werden, lässt sich aus der Aktionärsrechterichtlinie das sogenannte ESG-Konzept [Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensleitung)] ableiten.

Hiernach kann im Bereich der Umwelt etwa die CO2-Reduzierung bzw. der CO2-Ausstoß der Gesellschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr als maßgebliche Kennzahl für das Erfüllen des Zieles innerhalb der Vergütungsvereinbarung durch das Vorstandsmitglied herangezogen werden. Im Bereich des Sozialen kann Bestandteil der Vergütungsstruktur die Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit, Sicherheit am Arbeitsplatz oder gesellschaftliches Engagement sein. Der dritte Pfeiler des ESG-Konzeptes – Governance – bereitet den Unternehmen erfahrungsgemäß die größten Schwierigkeiten. Denn die Koppelung der Vorstandsvergütung an die Einhaltung der Corporate Governance kann dazu führen, dass etwaige Compliance-Verstöße, die sich aufgrund der Vergütungsstruktur negativ auf die Vergütung des Vorstandsmitglieds auswirken könnten, nicht aufgedeckt werden und ein Fehlanreiz zur Inkaufnahme von Verstößen gegen § 93 Abs. 1 AktG begünstigt werden könnte. Vor diesem Hintergrund wird sich der Aufsichtsrat auf die Bereiche Environment und Social konzentrieren.

C. Was bedeutet das für Unternehmen und welche Fragen sind zu stellen und zu beantworten?

Der Gesetzgeber intendiert mit der Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung eine Steuerung des Vorstandhandelns durch positive Vergütungsanreize. Hierbei zeigt sich jedoch das rechtliche Spannungsverhältnis zwischen der Leitungsaufgabe des Vorstandes gemäß § 76 Abs. 1 AktG, wonach der Vorstand unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten hat. Dem Aufsichtsrat hingegen kommt nach § 111 Abs. 1 AktG lediglich eine Überwachungsaufgabe zu. Diese Kompetenzverteilung darf durch eine Steuerung des Aufsichtsrats mittels Vergütungsstruktur nicht umgangen werden, da dieser sodann gegebenenfalls seine eigenen Pflichten nach § 111 Abs. 1 AktG verletzen könnte.

Hinzu kommt, dass § 87 Abs. 1 S. 2 AktG lediglich die Vergütungsstruktur für den Vorstand regelt und gerade nicht materiell-rechtliche Pflichten für den Vorstand zur Einhaltung des ESG-Konzepts normiert. Denn hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, so hätte er auch die §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG entsprechend anpassen und nicht nur eine Regelung zur Vorstandsvergütung in § 87 AktG aufnehmen müssen.

In diesem Zusammenhang wird zudem deutlich, dass für die Formulierung der Nachhaltigkeitsziele durch den Aufsichtsrat in der jeweiligen Vergütungsvereinbarung mit dem Vorstandsmitglied keine Schablone existiert. Die Nachhaltigkeitsziele müssen in jeder Vergütungsvereinbarung gesondert herausgearbeitet werden.

Hinzu kommt, dass das Vorstandsmitglied sich nicht nur in seinem Anstellungsverhältnis mit der Einhaltung der ESG-Themen konfrontiert sieht, sondern darüber hinaus sich derzeit durch die Nachhaltigkeitsforderungen von Investoren und Aktionären eine Best Practice etabliert. Deren Einhaltung kann bei Pflichtverstößen und Haftungsfragen nach § 93 Abs. 2 AktG abermals eine erhebliche Rolle spielen.