Gesellschaftsrecht Insolvenzen und Restrukturierungen

Update: BGH kassiert Entscheidung zu Kardinalpflichten bei Insolvenz

Verfasst von

Dr. Georg Haas

Dieser Beitrag ist Bestandteil unserer Reihe zur Organhaftung und aktualisiert den Beitrag „Kardinalpflichten von Geschäftsleitern – echter Paukenschlag oder viel Lärm um Nichts?“ vom 7. Juli 2025.

Die Ausgangslage

Das OLG Frankfurt (Urteil vom 5. März 2025, Az. 7 U 134/23) und zuvor das OLG Köln hatten zuletzt für einen – vermeintlichen – Paukenschlag gesorgt: Die Gerichte hatten entschieden, dass

  • die Insolvenzantragspflicht gem. § 15a InsO (bzw. den Vorläufernormen) als besonders wichtige gesetzliche Vorgabe eine sogenannte Kardinalpflicht darstelle;
  • hierauf aufbauend, dass Zahlungen der Geschäftsleiter nach Ablauf der Insolvenzan-tragsfrist entgegen § 15b InsO (beziehungsweise den Vorläufernormen) zugleich die wissentliche Verletzung ihrer Pflichten indizierten;
  • deshalb die D&O-Versicherung aufgrund des allgemeinen Risikoausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung leistungsfrei sei.

Die praktischen Auswirkungen dieser Rechtsprechung wären potenziell erheblich, weil sie die Darlegungs- und Beweislast im Zusammenhang mit dem Vorwurf der wissentlichen Pflichtverletzung zugunsten der D&O-Versicherer verschiebt und damit den Versicherungsschutz faktisch reduziert.

Die Einzelheiten zum Urteil des OLG Frankfurt sind in unserem Beitrag „Kardinalpflichten von Geschäftsleitern – echter Paukenschlag oder viel Lärm um Nichts?“ vom 7. Juli 2025 dargestellt.

Die Entscheidung des BGH

Mit Urteil vom 19. November 2025 (Az. IV ZR 66/25) hat der BGH über die zugelassene Revision gegen das Urteil des OLG Frankfurt entschieden. Entgegen dem OLG Frankfurt verneinte der BGH eine Indizwirkung bezüglich einer Wissentlichkeit von Verletzungen des Zahlungsverbots aufgrund verspäteter Insolvenzantragstellung.

Im Ausgangspunkt seien Risikoausschlussklauseln der D&O-Versicherung eng auszulegen. Die wissentliche Pflichtverletzung müsse daher diejenige sein, wegen welcher der Versicherte in dem konkreten Fall für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen werde. Dessen Kenntnis müsse sich – gewissermaßen spiegelbildlich – auf die Pflicht beziehen, deren Verletzung die Haftung auslöst. Die Ausschlussklausel könne entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt nicht in einer erweiternden Auslegung auf die wissentliche Verletzung anderer Pflichten erstreckt werden.

Demzufolge habe das OLG Frankfurt zu Unrecht als wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers, die zu einem Ausschluss des Versicherungsschutzes führen soll, eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und einer vorgelagerten Pflicht zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft zugrunde gelegt. Für einen Verstoß gegen das Zahlungsverbot aus § 64 GmbHG a.F. – und erst recht für die Annahme einer wissentlichen Verletzung dieser Vorschrift – genüge es nicht, eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht festzustellen, sondern jede nach Insolvenzreife erfolgte Zahlung sei darauf zu prüfen, ob sie nach dieser Regelung verboten war.

Unzutreffend sei auch die Annahme des OLG Frankfurt, dass eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht deswegen für einen Risikoausschluss ausreichend sei, weil es sich dabei um die wesentliche Ursache einer Masseschmälerung bei der Insolvenzschuldnerin gehandelt habe. Eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht verursacht noch keine Masseschmälerung in Höhe der geltend gemachten Zahlungsbeträge, für die der Geschäftsführer hafte. Die Haftpflichtversicherung setzt eine konkrete objektive Pflichtverletzung voraus, die den Eintritt des Versicherungsfalls unmittelbar herbeigeführt hat.

Wissentlich handelt nach dem BGH nur derjenige Versicherte, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reiche dafür ebenso wenig aus wie eine fahrlässige Unkenntnis. Der Versicherte müsse die von ihm verletzte Pflicht positiv gekannt und subjektiv das Bewusstsein gehabt haben, gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidrig zu handeln. Das OLG Frankfurt habe den Eintritt der Insolvenzreife durch Zahlungsunfähigkeit unterstellt, zur Kenntnis des Geschäftsführers jedoch nur festgestellt, dass dieser sich der Gewissheit der Zahlungsunfähigkeit zumindest bewusst verschlossen habe. Die erforderliche positive Kenntnis des Geschäftsführers folge daraus gerade nicht.

Dementsprechend hob der BGH das Urteil des OLG Frankfurt auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Frankfurt zurück.

Bedeutung und Praxisfolgen

Wie bereits das vorgehende Urteil des OLG Frankfurt hat die Entscheidung des BGH erhebliche Praxisrelevanz – nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Obwohl der Rechtsstreit das Zahlungsverbot nach dem mittlerweile aufgehobenen § 64 GmbHG a.F. betraf, dürfte die Argumentation des BGH auf das nunmehr rechtsformübergreifende Zahlungsverbot nach Insolvenzreife gemäß § 15b InsO übertragbar sein.

Die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen auf Ersatz von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife kann schnell beträchtliche Summen erreichen, weshalb ein umfassender D&O-Versicherungsschutz essenziell ist.

D&O-Versicherer sind demgegenüber verpflichtet, für jede einzelne Zahlung nach Insolvenzreife entsprechend den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen darzulegen und zu beweisen, dass der Geschäftsleiter positive Kenntnis von der Verletzung des Zahlungsverbots hatte.

Von der Ablehnung des indizierten Deckungsausschlusses profitieren zugleich Insolvenzverwalter und – mittelbar – auch die Insolvenzgläubiger, indem die D&O-Versicherung als Anspruchsgegner erhalten bleibt.

In jedem Fall gilt wie zuvor, dass die hinreichende Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – kaum überschätzt werden kann, um Haftungsfälle wegen möglicher Verletzung insolvenzrechtlicher Pflichten von Vornherein zu vermeiden. Vorsorglich sollten Geschäftsleiter auf ausreichenden und zuverlässigen D&O-Versicherungsschutz achten und regelmäßig die Deckungssumme und die Versicherungsbedingungen prüfen und nach Bedarf anpassen.