Querverbund in Gefahr? Vorlagebeschluss des BFH an den EuGH
Verstößt die Steuerbegünstigung für dauerdefizitäre Tätigkeiten von der öffentlichen Hand beherrschter Kapitalgesellschaften gegen das EU-Beihilferecht?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 24.Oktober 2019 auf seiner Homepage seinen Vorlagebeschluss vom 13. März 2019 in der Sache I R 18/19 veröffentlicht (https://www.bundesfinanzhof.de/content/69-2019). Demnach bittet das Gericht den Europäischen Gerichtshof um Klärung, ob die Steuerbegünstigung für dauerdefizitäre Tätigkeiten kommunaler Eigengesellschaften gegen das EU-Beihilfenrecht verstößt.
Der Vorlagebeschluss des BFH vom 13. März 2019 betrifft § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009, mit dem die Querverbundsregelungen gesetzlich verankert wurden. Die Rechtsfrage ist nach Mitteilung des BFH für Städte und Gemeinden von großer Bedeutung, da sie im Bereich der Daseinsvorsorge häufig an Eigengesellschaften mit dauerdefizitären Tätigkeiten beteiligt sind.
In seinem Vorlagebeschluss bringt der BFH deutlich zum Ausdruck, dass nach seiner Auffassung der Ausschluss der verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) bei Kapitalgesellschaften mit Dauerverlusten, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören, eine rechtswidrige Beihilfe darstellt. Diese sei nicht als (zulässige) Altbeihilfe, sondern als beihilfenrechtsrelevante „neue Beihilfe“ zu qualifizieren. Daher gelte bis zu einem Beschluss der EU-Kommission das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, wonach ungenehmigte Beihilfen nicht umgesetzt werden dürfen.
Zum Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Da die Anteile der Klägerin zu 100% von einer Stadt gehalten werden, handelt es sich um eine sogenannte kommunale Eigengesellschaft. Aus dem Betrieb einer Schwimmhalle erwirtschaftete die Klägerin in den Streitjahren 2002 und 2003 (dauerhaft) Verluste.
Finanzverwaltung: Keine Verlustverrechnung
Die Klägerin hat sich u.a. auf eine vor dem Jahressteuergesetz 2009 bestehende Gesetzeslücke berufen und wollte erreichen, dass Verluste aus einem Bäderbetrieb mit Versorgungsgewinnen verrechnet werden können. Ein BHKW kam in den Bädern nicht zum Einsatz, so dass die Finanzverwaltung die steuerliche Verrechnung versagte. Die Klägerin ging dennoch davon aus, dass sich eine technisch-wirtschaftliche Verflechtung daraus ergeben würde, dass die Bäder zu den 30 größten Abnehmern von Fernwärme (0,5 %) und zu den 15 größten Abnehmern für Wasser (0,5 %) zählten. Die Verluste wurden vom Finanzamt nicht steuermindernd anerkannt.
Finanzgerichtliche Entscheidung: keine Rückwirkende Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG
Das FG Mecklenburg-Vorpommern hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2016 abgewiesen (Az: 3 K 199/13). Zum einen seien die Voraussetzungen für eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung nicht gegeben und zudem sei die oben beschriebene Anwendungsregelung so auszulegen, dass § 8 Abs. 7 KStG in solchen Konstellationen nicht rückwirkend angewendet werden könne.
Entscheidung des BFH: Grundsätzliche Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG, aber Frage des Beihilfenverstoßes
Der BFH kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass nach nationalem Recht wegen des eindeutigen Wortlauts der Anwendungsregelung eine Verrechnung jedenfalls vor 2009 grundsätzlich möglich wäre. Der BFH hatte bereits in der Vergangenheit entschieden, dass die Hinnahme von Dauerverlusten im Interesse von Städten und Gemeinden bei kommunalen Eigengesellschaften regelmäßig zu einer vGA führt. Dementsprechend sehe er auch in der Hinnahme der Dauerverluste durch die Eigengesellschaft im Streitfall eine vGA an die Stadt, mit der Folge, dass das Einkommen der Gesellschaft entsprechend zu erhöhen sei. Dieser Rechtsfolge stehe jedoch die durch das Jahressteuergesetz 2009 auch mit Wirkung für die Vergangenheit geschaffene Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG entgegen, wonach die Rechtsfolgen einer vGA bei kommunalen Eigengesellschaften nicht zu ziehen sind, wenn sie ein sogenanntes Dauerverlustgeschäft unterhalten, wie beispielsweise beim Betrieb von Schwimmbädern aus gesundheitspolitischen Gründen.
Nach Ansicht des BFH stelle sich aber die Frage, ob die Steuerbegünstigung nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 108 Abs. 3 AEUV sei. Danach seien selektive Beihilfen für bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige vor der EU-Kommission genehmigungspflichtig. Der BFH ist der Auffassung, dass § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG den kommunalen Eigengesellschaften einen selektiven Vorteil dadurch verschafft, dass die Rechtsfolgen einer vGA nicht zu ziehen sind, während bei den übrigen Steuerpflichtigen, die ebenfalls im Interesse ihrer Gesellschafter verlustreiche Tätigkeiten durchführen, die Rechtsfolgen der vGA eintreten.
Weiter geht der BFH (entgegen dem Finanzgericht Köln, Urteil vom 9. März 2010, 13 K 3181/05 sowie dem Sächsischen FG, Urteil vom 15. Dezember 2010, 4 K 635/08) nicht davon aus, dass es sich hier um einen Fall der Altbeihilfe handele, weil es vor dem 1. Januar 1958 weder Gerichtsurteile noch konkrete Verwaltungsanweisungen zur ertragsteuerlichen Behandlung dauerdefizitärer Tätigkeiten kommunaler Eigengesellschaften gegeben habe.
In seinem Vorlagebeschluss geht der BFH daher von einem grundsätzlichen Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV aus, überantwortet aber dem EuGH die verbindliche Klärung der im Streitfall bestehenden Auslegungsfrage.
Auswirkungen des EU-Beihilfenrechts
Sollte der EuGH das Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV bejahen, wäre § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG bis zu einer Entscheidung der EU-Kommission über die Vereinbarkeit der Steuerbegünstigung mit dem Binnenmarkt nicht anwendbar. Der Streitfall wie auch die weitere Anwendung dieser Vorschrift müssten bis zu einer Entscheidung durch die EU-Kommission ausgesetzt werden.
Im Übrigen sei in Bezug auf die Besteuerungszeiträume ab 2009 – anders als im Streitfall – auch die sogenannte Spartenrechnung des § 8 Abs. 9 KStG zu beachten. Diese ändere aber nichts am Entfallen der vGA, mit dem der BFH sein Vorabentscheidungsersuchen maßgeblich begründet hat. Ein vom EuGH auf dieser Grundlage bejahter Beihilfetatbestand könnte sich daher auch auf die heute bestehende Rechtslage auswirken.
Fazit
Aufgrund der möglicherweise erheblichen, ggf. auch rückwirkend zu ziehenden finanziellen Auswirkungen für die Kommunen und ihre Eigengesellschaften sollten diese die Folgen des Vorlagebeschlusses für ihren konkreten Einzelfall zeitnah mit ihrem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater diskutieren.
Im Rahmen des EuGH-Verfahrens wird dann – neben der Frage nach einer Altbeihilfe – grundsätzlich geklärt werden müssen, ob alle Tatbestandsmerkmale einer Beihilfe bei der Steuerbegünstigung der Kommunen erfüllt sind. Hierbei werden die Tatbestandsmerkmale der Zurechenbarkeit einer Begünstigung, der Eigenschaft des Zuwendungsempfängers als „Unternehmen“, sowie die mögliche Wettbewerbsverzerrung und Handelsbeeinträchtigung eine wesentliche Rolle spielen.
Schließlich werden die zu erwartenden Reaktionen der EU-Kommission und des Gesetzgebers auf den Vorlagebeschluss für die Behandlung der bisherigen Querverbundskonstruktionen sowie für ihre Bewertung in der Zukunft eine wesentliche Bedeutung haben.