Litigation, Arbitration

Prospekthaftung für ESG-Angaben – grüne Haftungsrisiken und mögliche Verteidigungsansätze

Verfasst von

Dr. Christoph Andreas Weber

Verkaufsprospekte für Investmentfonds müssen schon heute umfangreiche ESG-Angaben enthalten. Bei grünen Anleihen ist es ähnlich, wenn auch mit gewissen Abstrichen. Die European Green Bonds Regulation wird hier neue Impulse geben, aber schon jetzt sind nach der Prospektverordnung bestimmte Angaben gefordert. In gewissem Umfang gilt das auch für andere am Kapitalmarkt emittierte Wertpapiere. So sehen es jedenfalls ESMA und BaFin in aktuellen Stellungnahmen. Weitere Pflichten nach dem EU Listing Act zeichnen sich bereits ab.

Angesichts dessen ist es absehbar, dass Anleger bald vermehrt versuchen werden, Prospekthaftungsansprüche wegen falscher ESG-Angaben geltend zu machen. Grund genug, sich frühzeitig Gedanken darüber zu machen, unter welchen Voraussetzungen solche Ansprüche entstehen und welche Verteidigungsansätze in Betracht kommen.

ESG-Pflichtangaben im KAGB-Verkaufsprospekt

Der Verkaufsprospekt zu einem offenen Publikumsinvestmentvermögen muss schon heute umfangreiche Angaben nach der Offenlegungsverordnung und der Taxonomieverordnung enthalten. Das ergibt sich aus dem Kapitalanlagegesetzbuch und bindenden europarechtlichen Vorgaben (§ 165 Abs. 2 Nr. 42 KAGB, Art. 6 Abs. 2 lit. g i.V.m. Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 OffenlegungsVO).

Erforderlich sind zum einen Angaben zur Outside-In-Perspektive nach Art. 6 OffenlegungsVO. Hier geht es darum, wie Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungen einfließen und welche Auswirkungen auf die Rendite zu erwarten sind (Art. 6 Abs. 1 OffenlegungsVO). Bei Investmentvermögen, die mit ökologischen und/oder sozialen Merkmalen beworben werden, kommen weitere Pflichtangaben hinzu (Art. 8 OffenlegungsVO mit Detailregelungen in Art. 14 ff. der Delegierten Verordnung 2022/1288 [DelVO OffenlegungsVO], s. ferner die Angaben nach Art. 6 TaxonomieVO). Dazu finden sich mehrseitige Formulare im Anhang der DelVO OffenlegungsVO.

In den Prospekt gehören zum anderen Angaben zur Inside-Out-Perspektive (Art. 7 OffenlegungsVO), d. h. zu den Auswirkungen des Investmentvermögens und der damit einhergehenden Investitionen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption und Bestechung, Art. 2 Nr. 24 OffenlegungsVO, s. auch Erwägungsgrund 20 am Ende). Hierzu muss klar erläutert und begründet werden, ob und ggf. wie in einem Finanzprodukt die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf die genannten Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden (Art. 7 Abs. lit. a OffenlegungsVO).

Weitere Pflichtangaben gelten für Investmentvermögen mit dem Ziel einer nachhaltigen Investition (Art. 2 Nr. 17 OffenlegungsVO). Sie ergeben sich aus der Offenlegungsverordnung und der Taxonomieverordnung, die insoweit ineinandergreifen (Art. 9 OffenlegungsVO, Art. 18 f. DelVO OffenlegungsVO, Art. 5, 7 TaxonomieVO). Insbesondere müssen Informationen zu der Investition erteilt werden, die dem Investmentvermögen zugrunde liegt: Auf welches oder welche der Umweltziele Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Wasser- und Meeresressourcen, Kreislaufwirtschaft, saubere Umwelt, Biodiversität (Art. 9 TaxonomieVO) bezieht sie sich? Inwieweit ist diese Investition nach den Kriterien der Taxonomieverordnung ökologisch nachhaltig? Hierzu ist eine Beschreibung gefordert, die wiederum bestimmten Anforderungen genügen muss (Art. 5, 3 TaxonomieVO). Auch zu diesem Themenkomplex findet sich ein mehrseitiges Formular im Anhang der DelVO OffenlegungsVO.

Insgesamt müssen Verkaufsprospekte zu offenen Publikumsinvestmentvermögen also ausführliche und detaillierte ESG-Informationen beinhalten. Diese müssen beide o. g. Perspektiven abdecken (Inside-Out und Outside-In).

Anforderungen nach der ProspektVO und dem Vermögensanlagengesetz

ESG-Angaben im Prospekt sind nicht nur gefordert, wenn spezielle Vorschriften wie § 165 Abs. 2 KAGB sie verlangen. Sie müssen auch dann in den Prospekt aufgenommen werden, wenn sie für die Anlageentscheidung wesentlich sind. Der Anleger muss alle Informationen erhalten, die er braucht, um die wirtschaftliche Lage des Emittenten, dessen Zukunftsaussichten, die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf den Emittenten zu beurteilen. Das ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 ProspektVO (insb. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a, c ProspektVO).

Ein Wink mit dem Zaunpfahl dazu findet sich in den Erwägungsgründen:

„Unter anderem können umwelt- und sozialpolitische Umstände sowie Faktoren in Bezug auf die Unternehmensführung ebenfalls spezifische und wesentliche Risiken für den Emittenten und seine Wertpapiere darstellen und sollten in diesem Fall offengelegt werden“ (Erwägungsgrund 54 ProspektVO).

Die ESMA erinnert in einer Stellungnahme ausdrücklich daran. Aus ihrer Sicht hängt die Wesentlichkeit von ESG-Angaben für den Anleger vor allem von zwei Gesichtspunkten ab: den Verhältnissen des Emittenten und der Art der in Rede stehenden Wertpapiere. Speziell in Bezug auf grüne Anleihen verlangt die ESMA schon unter der heutigen Gesetzeslage verschiedene konkrete Angaben im Prospekt: Bei use of proceeds bonds mit einer in Aussicht gestellten nachhaltigen Verwendung des Emissionserlöses fordert sie u. a. Angaben zur Mittelverwendung und -Verwaltung und weitere Informationen, die es dem Anleger ermöglichen, sich ein Bild vom verfolgten Nachhaltigkeitsziel und seiner Bedeutung für die Projektevaluation und -auswahl zu machen.

Bei sustainability-linked bonds mit einem von Nachhaltigkeitskriterien abhängigen Zahlungsprofil sind Informationen zu den zugrundeliegenden KPI und SPT (sustainability performance targets) gefordert. Hier soll der Anleger in die Lage versetzt werden, die Konsistenz der KPI und SPT mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Emittenten und mit wissenschaftlich fundierten branchentypischen Nachhaltigkeitszielen zu beurteilen. Zu beiden Arten von grünen Anleihen finden sich weitere detaillierte Hinweise im Anhang der ESMA-Erklärung.

Diese Hinweise zeigen, wie die ESMA das Erfordernis interpretiert, dem Anleger ein fundiertes Urteil über die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf den Emittenten zu geben (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c ProspektVO). Die BaFin begrüßt die ESMA-Stellungnahme und erwartet von den Emittenten, sie zu beachten (BaFin-Erklärung vom 12.7.2023).

Insgesamt sind ESG-Angaben im Prospekt also nicht nur im Anwendungsbereich von Spezialvorschriften wie § 165 Abs. 2 Nr. 42 KAGB gefordert, sondern in manchen Fällen auch unabhängig davon nach Art. 6 Abs. 1 ProspektVO. Das gilt insbesondere (aber nicht nur) für „grüne“ Anleihen. Hier muss der Prospekt schon jetzt nach Art. 6 ProspektVO etliche ESG-bezogene Angaben enthalten. Weitere Anforderungen werden sich ab 21.12.2024 für manche grüne Anleihen aus einer neuen EU-Verordnung ergeben (dazu gleich im nächsten Abschnitt).

Für Anlageprodukte, die weder dem KAGB noch der Prospektverordnung unterliegen, kann das Vermögensanlagengesetz Anwendung finden. Dieses enthält zwar keine speziellen Regelungen zu ESG-Angaben, aber es spricht einiges dafür, dass die BaFin und die Gerichte die dortige allgemeinen Vorschrift zum Prospektinhalt (§ 7 VermAnlG) vergleichbar interpretieren werden.

Künftig wird voraussichtlich auch der EU Listing Act Vorschriften zu ESG-Angaben im Prospekt enthalten. So sieht es zumindest der Entwurf der EU-Kommission vor, auf den auch die ESMA in ihrer Stellungnahme verweist. 

Ausblick auf die European Green Bonds Regulation

Die ab dem 21.12.2024 anwendbare EU-Verordnung über europäische grüne Anleihen (Verordnung 2023/2631, European Green Bonds Regulation, kurz EuGBR) schafft ein Angebot, das Anleiheemittenten nutzen können, aber nicht nutzen müssen. Sie können Anleihen mit der Bezeichnung „europäische grüne Anleihe“ bzw. „European Green Bond“ (EuGB) emittieren, die dann aber dem mit der EuGBR geschaffenen regulierten Standard entsprechen müssen. Für andere grüne Anleihen, die nicht nach der EuGBR begeben werden, bleibt es im Grundsatz bei Art. 6 ProspektVO (s. oben).

Bei europäischen grünen Anleihen nach der EuGBR darf der Emissionserlös nur für die in der Verordnung zugelassenen Zwecke verwendet werden. Dazu gehören u. a. Investitionsausgaben im Rahmen eines Plans, nicht taxonomiefähige Wirtschaftstätigkeiten in eine taxonomiefähige Form zu überführen oder Wirtschaftstätigkeiten auszubauen, die bereits taxonomiefähig sind (sog. CapEx-Plan, Art. 4 Abs. 1 lit. b, 2 Nr. 13 EuGBR sowie Anhang I Abschnitt 1.1.2.2. lit. b DelVO 2021/2178 zur TaxonomieVO).

Die EuGBR enthält einige Vorgaben zum Inhalt des Wertpapierprospekts: Die erfassten Anleihen müssen im Prospekt als „europäische grüne Anleihen“ oder EuGB bezeichnet werden. Der Prospekt muss auf die EuGBR Bezug nehmen und eine Zusammenfassung des CapEx-Plans enthalten (Art. 14 Abs. 1, 4 sowie Erwägungsgrund 18 EuGBR). Außerdem findet sich eine Vorschrift zur Aufnahme des Factsheets zum jeweiligen EuGB in den Prospekt über einen Verweis im Prospekttext (Art. 10, 14 Abs. 3 und Anhang I EuGBR i.V.m. Art. 19 Abs. 1 lit. c ProspektVO; zur Auslegung dieser ungenau formulierten Regelung s. etwa Renner, ZBB 2023, 23, 29).

Prospekthaftung: Wesentlichkeit von ESG-Angaben im Prospekt?

Während der Prospektinhalt europarechtlich vorgezeichnet ist (siehe oben), richtet sich die Haftung nach nationalem Recht. Das deutsche Recht differenziert nach der Art des Prospekts: Für Verkaufsprospekte nach dem Kapitalanlagegesetzbuch gilt § 306 KAGB. Bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben in einem Wertpapierprospekt kommt eine Haftung nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) in Betracht, und zwar nach § 9 WpPG (Börsenzulassungsprospekt) bzw. § 10 WpPG (Wertpapierprospekt aufgrund eines öffentlichen Angebots der Wertpapiere). Wenn weder das KAGB noch das WpPG greift, kann sich eine Prospekthaftung immer noch aus dem Vermögensanlagengesetz ergeben (§ 20 VermAnlG).

Die Haftung setzt in allen diesen Fällen voraus, dass wesentliche Angaben im Prospekt unrichtig oder unvollständig dargestellt worden sind. Es gibt also auch bei der Haftung ein Wesentlichkeitserfordernis, das sich mit dem o. g. Art. 6 ProspektVO überschneidet, aber nicht notwendig deckungsgleich damit ist. Das ist schon deshalb so, weil die Prospekthaftung, abgesehen von einigen wenigen Vorgaben, dem nationalen Recht unterliegt, so dass der Bundesgerichtshof (und nicht der EuGH) hier im Grundsatz das letzte Wort hat. Der Bundesgerichtshof hat sein Verständnis von der Wesentlichkeit von Prospektangaben so auf den Punkt gebracht:

„Der Verkaufsprospekt muss alle für die Beurteilung der Wertpapiere wichtigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse möglichst zeitnah darstellen […] und durch seine Aussagen von den Verhältnissen und der Vermögens-, Ertrags- und Liquiditätslage des Unternehmens, dessen Papiere zum Kauf angeboten werden, dem interessierten Publikum ein zutreffendes Gesamtbild vermitteln […]. Hierbei sind solche Angaben als wesentlich […] anzusehen, die ein Anleger ‚eher als nicht‘ bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde“ (BGH, Urteil vom 18.9.2012 – XI ZR 344/11).

Wann aber sind ESG-bezogene Angaben in diesem Sinne wesentlich? Nur, wenn sie Einfluss auf die zu erwartende Rendite oder das Risikoprofil der jeweiligen Anlage haben oder schon dann, wenn der Anleger sie kennen muss, um ihr Nachhaltigkeitsprofil richtig einschätzen zu können? Reichen m. a. W. „grüne Anlegerpräferenzen“ aus, um ESG-Angaben als wesentlich qualifizieren zu können? Das werden die Gerichte in den nächsten Jahren ausbuchstabieren müssen (dazu auch Osterloh-Konrad, ZHR 187 [2023], 309, 311 ff.). Klar ist, dass es hierbei nicht auf den einzelnen Erwerber ankommt, sondern auf den „durchschnittlichen und verständigen Anleger“, von dem der BGH in der zitierten Entscheidung in anderem Zusammenhang gesprochen hat. Die Gerichte nehmen hier auch die Zielgruppe des Prospekts und der Geldanlage in den Blick (BGH, Urteil vom 18.9.2012 – XI ZR 344/11). Deshalb spricht einiges dafür, dass sie die Wesentlichkeit bei „grünen Anleihen“ und anderen gezielt als nachhaltig beworbenen Anlageprodukten bejahen werden.

Ob der BGH so weit gehen würde zu sagen, dass der durchschnittliche Anleger ESG-Angaben generell, also auch bei nicht als nachhaltig beworbenen Anlageprodukten, als wesentlich ansieht, darf hingegen bezweifelt werden. Ebenso denkbar wäre es, hier nach den konkreten Auswirkungen der betreffenden ESG-Angabe auf Risiko und Rendite der Anlage zu fragen (vgl. Osterloh-Konrad, ZHR 187 [2023], 309, 312). Anlegerschützer werden demgegenüber anführen, dass aus den zahlreichen ESG-bezogenen Veröffentlichungspflichten die gesetzliche Wertung „ESG matters“ folge und sich dabei auch auf europarechtliche Vorgaben berufen. Hier wird es in der Praxis darauf ankommen, ob es den Beklagten gelingt, die zahlreichen gegen eine solche Sichtweise sprechenden Argumente herauszuarbeiten und die Gerichte von der Richtigkeit einer differenzierten Herangehensweise zu überzeugen.

Risiko von Prospektfehlern

Auf alle diese Dinge kommt es nur an, wenn die ESG-Angaben im Prospekt nicht ohnehin richtig und vollständig sind. Aber da können Fehler passieren, ohne dass dahinter der Versuch stehen muss, ein „braunes“ Anlageprodukt grün zu waschen. Schließlich sind die europarechtlichen Vorgaben nicht nur komplex und z.T. auch auslegungsbedürftig, sondern es müssen in Teilen auch Informationen veröffentlicht werden, die dem Emittenten selbst gar nicht vorliegen, so dass er insoweit auf eine Datenzulieferung durch Dritte angewiesen ist (Conrads, ESG 2023, 168; Krakuhn/Stiefel/Gilles IRZ 2021, 133).

Unabhängig davon lassen sich auf der Grundlage der ergangenen Rechtsprechung einige Prognosen dazu anstellen, wie die Gerichte mit ESG-Aussagen im Prospekt umgehen werden. Z. B. dürfen Prognosen und Werturteile mit ESG-Bezug voraussichtlich nur in den Prospekt aufgenommen werden, wenn sie auf einer hinreichend belastbaren Tatsachengrundlage beruhen, in kaufmännisch vertretbarer Weise erarbeitet werden und bestehende Risiken deutlich gemacht werden (BGH, Urteil vom 12.07.1982 - II ZR 175/81, zu Folgen für ESG-Angaben Zeidler/Dürr CCZ 2022, 377, 379). Die ESMA hat in ihrer o. g. Stellungnahme ebenfalls eine ausgewogene und objektive Darstellung unter Einschluss der positiven und negativen Aspekte verlangt. Sie empfiehlt, jeweils auch die Grundlagen eines formulierten Nachhaltigkeitsclaims offenzulegen. Dazu sollen etwa Angaben zu befolgten Standards gehören, sowie zugrunde liegende Daten, Annahmen und Analysen Dritter; hieran sind die deutschen Gerichte im Rahmen der Prospekthaftung aber, wie gesagt, nicht gebunden. 

Bei grünen Anleihen in Form der o. g. use of proceeds bonds stellt sich zudem die Frage, ob eine nicht ankündigungsgemäße Verwendung des Emissionserlöses Prospekthaftungsansprüche begründet. Davon ist nur auszugehen, wenn die abweichende Mittelverwendung von vornherein geplant war oder wenn diesbezügliche erhebliche Risiken im Prospekt nicht offengelegt wurden (Renner ZBB 2023, 23, 29 f.; vgl. aber auch die o. g. ESMA-Stellungnahme mit dem Hinweis, dass im Einflussbereich des Emittenten liegende Umstände wie die Mittelverwendung nicht zum Gegenstand von Disclaimern gemacht werden sollten).

Verteidigungsansätze im Fall eines Prospektfehlers

Selbst wenn ESG-Angaben im Einzelfall wesentlich sind und im Prospekt nicht ordnungsgemäß dargestellt wurden, ist nicht automatisch eine Haftung gegeben. Vielmehr sind nach dem Gesetz weitere Voraussetzungen und Einwände zu prüfen, von denen hier nur zwei Beispiele angesprochen werden können:

  1. Eine Prospekthaftung nach dem Wertpapierprospektgesetz scheidet aus, wenn der unrichtig oder unvollständig dargestellte Sachverhalt sich nicht kursmindernd ausgewirkt hat (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 WpPG; dazu Osterloh-Konrad, ZHR 187 [2023], 309, 312). Ein fiktives Beispiel zu ESG-Angaben: Wenn der Emittent im Prospekt falsche Angaben über CO2-Emissionen gemacht hat, begründet das keine Haftung, falls er nachweisen kann, dass seine Treibhausgasemissionen die Kursbildung am Kapitalmarkt nicht beeinflusst haben. Selbst wenn man die Wesentlichkeit mancher ESG-Angaben allein mit „grünen Anlegerpräferenzen“ begründen kann (und das ist fraglich, s.o.), geht es am Ende – bei der haftungsausfüllenden Kausalität – also doch um die finanzielle Relevanz des falsch dargestellten Sachverhalts. Ist sie nachweislich nicht gegeben, scheidet ein Anspruch aus § 9 WpPG aus.
  2. Gegen einen Prospekthaftungsanspruch kann der Anspruchsgegner in vielen Konstellationen einwenden, dass er den Prospektfehler weder gekannt noch grob fahrlässig übersehen hat (§§ 12 Abs. 1 WpPG, 306 Abs. 3 S. 1 KAGB, 20 Abs. 3 VermAnlG). Dieser Einwand kommt etwa infrage, wenn Dritte – z. B. Lieferanten – falsche ESG-Informationen zugeliefert haben, die in den Prospekt eingeflossen sind. Hier wird die Rechtsprechung verlangen, dass derartige Daten nicht ungeprüft übernommen, sondern zumindest plausibilisiert werden (vgl. Schwark/Zimmer/Heidelbach, 5. Aufl. 2020, § 12 WpPG Rn. 6). Wie streng die Anforderungen insoweit im Einzelnen sind, werden die Gerichte noch ausbuchstabieren müssen. 

Fazit

Schon heute müssen Verkaufsprospekte nach dem KAGB umfangreiche ESG-Informationen enthalten. Aber auch nach allgemeinen Vorschriften wie der Prospektverordnung kann es notwendig sein, bestimmte ESG-Angaben in Prospekte aufzunehmen. Aus Sicht von ESMA und BaFin gilt das v.a. für „grüne Anleihen“, und zwar schon jetzt, obwohl die diesbezügliche EU-Verordnung erst ab dem 21.12.2024 Anwendung finden wird und nur für Anleihen gilt, die gezielt als EuGB emittiert werden. Weitere ESG-bezogene Vorgaben zum Prospekt wird voraussichtlich der EU Listing Act mit sich bringen.

Weil die europarechtlichen Vorgaben komplex und z.T. auch auslegungsbedürftig sind und z.T. von Dritten zugelieferte Daten verwendet werden müssen, kann es auch bei redlichem Bemühen dazu kommen, dass sich Fehler in die ESG-Angaben im Prospekt einschleichen. Es ist zu erwarten, dass Anleger in solchen Konstellationen versuchen, Prospekthaftungsansprüche durchzusetzen. Manche Anleger werden wirklich „grüne“ Präferenzen haben und sich von diesen nicht entsprechenden Anlagen lösen wollen. Andere werden den Prospektfehler als Option sehen, ein aus anderen Gründen schlecht gelaufenes Investment nachträglich rückabzuwickeln (Osterloh-Konrad, ZHR 187 [2023], 309, 329).

Aufgrund der Breitenwirkung der Prospekthaftung können sich hier schnell Weiterungen ergeben. Prospekthaftungsansprüche wegen tatsächlich oder vermeintlich falscher ESG-Angaben im Prospekt könnten zu einem Testfall für die neue Abhilfeklage werden (s. dazu unsere Blogbeiträge zur Abhilfeklage nach dem VDuG nach dem VDuG und zu den den internationalen Bezügen der Abhilfeklage; zur Situation im ESG-Kontext Keller/Kapoor, WM 2023, 1205, 1208) oder zu neuen Massenverfahren führen, die sich nur noch mit geeigneten Legal Tech-Instrumenten mit vertretbarem Aufwand bearbeiten lassen.

Aber auch unabhängig davon ist es ratsam, beim Umgang mit den Vorgaben zu ESG-Angaben im Prospekt das Haftungsrisiko und die insoweit in Betracht kommenden Verteidigungsansätze jeweils mit im Blick zu behalten.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Privatdozent Dr. Christoph Andreas Weber

Einer der Schwerpunkte der Praxisgruppe Litigation and Arbitration von PwC Legal ist die Vertretung von Kreditinstituten und anderen Unternehmen bei der Abwehr von Kollektiv- und Massenklagen, wobei auch state-of-the-art Legal Tech-Lösungen zum Einsatz kommen. Insbesondere bei dem schon bislang vorgesehenen Instrument des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht – der Musterfeststellungsklage – hat das Dispute Resolution Team umfangreiche Praxiserfahrungen. Gleiches gilt für die Abwehr von Verbandsklagen nach dem UKlaG.