Litigation, Arbitration

Abhilfeklagen in der ganzen EU – Startschuss für eine neue Klageindustrie in Europa?

Verfasst von

Dr. Martin J. Beckmann

Dr. Christoph Andreas Weber

Mit dem am 13. Oktober 2023 in Kraft getretenen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) führt Deutschland die Abhilfeklage ein – eine europarechtlich vorgegebene Verbandsklage auf Schadensersatz und andere Leistungen an Verbraucher. Informationen über das VDuG finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 29.09.2023. In diesem Beitrag informieren wir Sie über die europäische Dimension des Themas: Die EU-Mitgliedstaaten mussten die zugrunde liegende Richtlinie 2020/1828 („Verbandsklage-RL“) bis Dezember 2022 in nationales Recht umsetzen. Einige Mitgliedstaaten – z. B. die Niederlande, Irland und Italien – haben dies bereits getan; andere arbeiten noch an ihren nationalen Umsetzungsvorschriften. Die europäisch geprägte Abhilfeklage wirft viele wichtige Fragen auf: In welchen Ländern können deutsche Unternehmen mit ihr in Anspruch genommen werden? Können sich Verbraucher aus der ganzen EU einer in einem Mitgliedstaat erhobenen Klage anschließen? Ist aufgrund von forum shopping mit Rechtsstreitigkeiten in besonders klägerfreundlichen Mitgliedstaaten zu rechnen? Welches Recht findet Anwendung? Zu diesen und anderen Fragen möchten wir mit diesem Beitrag eine erste Orientierung bieten.

Abhilfeklagen überall in der EU möglich

Die Verbandsklage-RL regelt die internationale Zuständigkeit nicht, sondern verweist in ihrem Art. 2 Abs. 3 auf die allgemeinen hierfür geltenden unionsrechtlichen Vorschriften. Dazu gehört vor allem die Verordnung Nr. 1215/2012 („EuGVVO“). Im Grundsatz müssen Unternehmen danach im Land ihres Sitzes verklagt werden, deutsche Unternehmen also vor deutschen Gerichten (Art. 4, 63 Abs. 1 EuGVVO). Allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen davon, so z. B. die besonderen Zuständigkeiten für Verbraucher- und für Versicherungssachen (Art. 10 ff., 17 ff. EuGVVO) und die Gerichtsstände am Erfüllungsort eines Vertrages und am Handlungs- und Erfolgsort einer unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 1, 2 EuGVVO). Klage gegen den Unternehmer kann am Verbrauchergerichtsstand nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur der Verbraucher selbst erheben, nicht aber z. B. ein Dritter, dem der Verbraucher seine Ansprüche abgetreten hat, und zwar selbst dann, wenn der Dritte seinerseits Verbraucher ist (EuGH, Urteil vom 25.1.2018 – C‑498/16). Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob das auch für die Abhilfeklage gilt oder ob sich klagende Verbände hierfür auf den Verbrauchergerichtsstand berufen können, wie es in der juristischen Literatur teils geltend gemacht wird (dafür etwa Rentsch RabelsZ 85 [2021], 544, 556 ff.; dagegen z. B. Vollkommer MDR 2021, 129, 130). Die klagenden Verbände werden, selbst wenn der EuGH ihnen den Verbrauchergerichtsstand nicht eröffnet, oftmals andere Wege finden, für Klagen gegen deutsche Unternehmen einen außerhalb der Bundesrepublik liegenden Gerichtsstand zu begründen, obwohl auch die Anwendbarkeit der Gerichtsstände des Erfüllungsorts und der unerlaubten Handlung auf die Abhilfeklage umstritten ist (zum Meinungstand etwa Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 286 ff.).

Brüchige Schutzvorkehrungen für grenzüberschreitende Klagen

Nach dem Konzept der Richtlinie können grenzüberschreitende Klagen nur von qualifizierten Einrichtungen erhoben werden, die besondere Anforderungen erfüllen. So müssen sie z. B. nachweislich schon zwölf Monate zum Schutz von Verbraucherinteressen öffentlich tätig gewesen sein, dürfen keinen Erwerbszweck verfolgen und müssen besondere Transparenzanforderungen erfüllen (Art. 4 Abs. 3 Verbandsklage-RL). Demgegenüber sind die Mitgliedstaaten freier darin zu definieren, welche Verbände innerstaatliche Verbandsklagen erheben dürfen. Die Kriterien dafür müssen lediglich mit den Zielen der Richtlinie im Einklang stehen, um ein wirksames und effizientes Funktionieren dieser Verbandsklagen zu gewährleisten (Art. 4 Abs. 4 Verbandsklage-RL). Solange diese Kriterien eingehalten sind, kann ein Verband auch ad hoc für die Erhebung einer innerstaatlichen Verbandsklage zugelassen werden (Art. 4 Abs. 6 Verbandsklage-RL). Die Achillesverse dieses Konzepts bilden allerdings die Definitionen der innerstaatlichen und der grenzüberschreitenden Verbandsklage (Art. 3 Nr. 6 und 7 Verbandsklage-RL). Danach kommt es nur darauf an, ob der Verband außerhalb des eigenen Mitgliedstaats klagen will oder nicht, gleich wo das beklagte Unternehmen seinen Sitz hat und wo die mit der Klage repräsentierten Verbraucher ihren Wohnsitz haben (Erwägungsgrund 23 Verbandsklage-RL; Hakenberg NJOZ 2021, 673, 676; Röthemeyer VuR 2021, 43, 47). Mit anderen Worten: Für die Qualifikation einer Verbandsklage als innerstaatliche ist ein vorhandener Auslandsbezug unschädlich, so stark er auch sein mag. Wenn z. B. ein maltesischer Verband in Malta Abhilfeklage gegen ein deutsches Unternehmen einreicht, die die Ansprüche von Verbrauchern mit Wohnsitzen in mehreren Mitgliedsstaaten betrifft, handelt es sich um eine innerstaatliche Verbandsklage (Art. 3 Nr. 6 Verbandsklage-RL), für die die besonderen Anforderungen an grenzüberschreitende Verbandsklagen nicht gelten und für die es sich sogar um einen ad hoc gegründeten Verbraucherverband handeln kann (Art. 4 Abs. 6 Verbandsklage-RL), sofern das örtliche Recht dies vorsieht. Demgegenüber müsste der maltesische Verband die besonderen Anforderungen an grenzüberschreitende Verbandsklagen erfüllen, um Abhilfeklagen auch in anderen Mitgliedstaaten wie Irland oder Deutschland erheben zu können.

Anwendbares Zivilrecht

Bei Klagen mit internationalem Bezug stellt sich immer auch die Frage nach dem anwendbaren Recht. Es gehört zum Alltag deutscher Gerichte, ausländisches Recht durch Sachverständigengutachten zu ermitteln und Rechtsstreitigkeiten danach zu entscheiden, wann immer das nach dem internationalen Privatrecht geboten ist. Die dafür in den hier interessierenden Rechtsgebieten normalerweise maßgeblichen Vorschriften der EU-Verordnungen Nr. 593/2008 (Rom I-VO) und Nr. 864/2007 (Rom II-VO) gelten auch für die Abhilfeklage, weil die Richtlinie ausdrücklich keine Regelungen zum internationalen Privatrecht treffen will (Art. 2 Abs. 3 Verbandsklage-RL). Das hat zur Folge, dass hier keine Einheitlichkeit gewährleistet werden kann (Thönissen EuZW 2023, 637 f.). Sind z. B. durch ein schadhaftes Produkt Verbraucher überall in der EU geschädigt worden, so können abhängig von einzelfallabhängigen Umständen wie z. B. dem Wohnort des jeweiligen geschädigten Verbrauchers, dem Sitz des Beklagten, dem Ort, an dem das Produkt in Verkehr gebracht oder erworben wurde oder der Schaden eingetreten ist, ganz unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen (Art. 5 Rom II-VO). Auf eine Abhilfeklage, mit der Ansprüche von Verbrauchern aus der ganzen EU geltend gemacht werden, könnte deshalb je nach Fallgestaltung eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsordnungen anwendbar sein (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 274, 290). Die vereinzelten Ansätze in der juristischen Literatur, über Bestimmungen wie Artt. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2 Rom II-VO (offensichtlich engere Verbindung zu einer bestimmten Rechtsordnung) eine einheitliche Lösung zu konstruieren (vgl. Rentsch RabelsZ 85 [2021], 544, 571 f.), überzeugen nicht, wenn man bedenkt, dass die Verbandsklage-RL das bekannte Problem der Uneinheitlichkeit des anwendbaren Rechts gerade nicht aufgegriffen, sondern insoweit nur auf die allgemeinen Vorschriften der Verordnungen Rom I und II verwiesen hat (das räumt auch Rentsch RabelsZ 85 [2021], 544, 563 f. ein). Es bleibt deshalb dabei, dass auf Abhilfeklagen mit internationalem Bezug abhängig vom Einzelfall eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsordnungen anzuwenden sein kann.

Klagen überall in der EU wahrscheinlich

Die Verbraucherzentralen und andere deutsche Verbände können, wenn sie deutsche Unternehmen vor deutschen Gerichten verklagen, im Prinzip die Rechte von Verbrauchern aus der ganzen EU geltend machen. Mit Blick auf die Uneinheitlichkeit des anwendbaren Rechts wird das aber häufig nicht praktikabel sein (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 274, 290 f.). Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass es vom anwendbaren Recht abhängt, welche genauen Tatsachen vorgetragen und bewiesen und welche Klageanträge gestellt werden müssen (Rentsch RabelsZ 85 [2021], 544, 565 ff.). Aber auch unabhängig davon werden Verbraucherverbände regelmäßig primär Verbraucher aus ihrem jeweiligen Heimatland mobilisieren und ihre Abhilfeklagen vor den dortigen Gerichten erheben, auch wenn sie sich gegen deutsche Unternehmen richten. Diesen Anreiz verstärkt die Verbandsklage-RL sogar noch systematisch, weil sie, wie ausgeführt, Klagen von Verbänden vor ihren jeweiligen Heimatgerichten als innerstaatliche Verbandsklagen einstuft und damit privilegiert, und zwar auch dann, wenn sie sich gegen Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten richten (Art. 3 Nr. 6 Verbandsklage-RL; vgl. auch Röthemeyer VuR 2021, 43, 47). Hinzukommt, dass die deutsche Umsetzung der Verbandsklage-RL wenig klägerfreundlich ausgefallen ist (siehe Blogbeitrag vom 29.9.2023), was den Unternehmen bei hierzulande erhobenen Klagen entgegenkommen mag, aber gleichzeitig wirkmächtige Anreize zur Klageerhebung im Ausland setzt (vgl. Röthemeyer VuR 2021, 43, 47). So handhaben namentlich die Niederlande die Prozessfinanzierung wesentlich liberaler als das deutsche VDuG und folgen zudem für dort lebende Verbraucher dem opt out-System (Rentsch EuZW 2021, 524, 529), so dass für Klagen dort die Finanzierung und die Mobilisierung der Verbraucher leichter möglich sein wird als in Deutschland.

Grenzenlose Anschlussbefugnis mit Option zum forum shopping?

Verbraucher können sich im Grundsatz auch Abhilfeklagen anschließen, die außerhalb ihres Wohnsitzlandes erhoben worden sind. Das folgt u.a. aus Art. 9 Abs. 3 Verbandsklage-RL, der klarstellt, dass in diesem Fall ein ausdrückliches opt-in des Verbrauchers erforderlich ist (selbst wenn am Gerichtsort ansonsten das opt-out-Verfahren gilt). Die Frage ist nur, ob der Anschluss überall in der EU frei möglich ist (das voraussetzend Röthemeyer VuR 2021, 43, 47) oder ob dem Verbraucher insoweit nur Länder offenstehen, in denen er eine Individualklage gegen den Beklagten erheben könnte. Für die zweite, restriktivere Deutung spricht Art. 2 Abs. 3 Verbandsklage-RL, nach dem (u.a.) die Vorschriften über das anwendbare Recht und die gerichtlichen Zuständigkeiten unberührt bleiben. Dem könnte man die Wertung entnehmen, dass das anwendbare Recht und die internationale Zuständigkeit unabhängig davon feststehen sollen, ob eine Individual- oder eine Verbandsklage erhoben wird (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 288 ff.). Mit dieser Wertung wäre es schwer vereinbar, wenn sich ein deutscher Verbraucher z. B. einer Verbandsklage in Malta anschließen könnte, die ein dortiger Verband (jedenfalls primär im Interesse maltesischer Verbraucher) gegen ein deutsches Unternehmen erhoben hat. Schließlich wären die Gerichte in Malta offensichtlich nicht zuständig, wenn der deutsche Verbraucher eine individuelle Klage gegen das deutsche Unternehmen erheben wollte. Hinzu kommt, dass der klagende Verband mit der Abhilfeklage keine eigenen Rechte geltend macht, sondern Rechte der Verbraucher, die diese ansonsten nach der EuGVVO nur an bestimmten Gerichtsständen einklagen könnten (vgl. Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 289). Zuzugeben ist allerdings, dass die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO unmittelbar nur für die Erhebung von Klagen gelten und der Anschluss an eine bestehende Verbandsklage für sich keine Klageerhebung ist (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 289), so dass sich diese Argumentation im Bereich der Rechtsfortbildung bewegt. Ob der EuGH ihr folgen würde, ist nicht ausgemacht, zumal die freie Zulassung des Anschlusses an Abhilfeklagen in der ganzen EU zweifellos die verbraucherfreundlichere Lösung wäre.

In den Jahren bis zu einer Klärung durch den EuGH sind aus Praxissicht zwei gegenläufige Faktoren zu berücksichtigen: Einerseits haben klägerfreundliche Jurisdiktionen ein Interesse daran, sich zum Forum für Abhilfeklagen von Verbrauchern aus der ganzen EU zu machen (Röthemeyer VuR 2021, 43, 47). Es ist deshalb vorstellbar, dass sie den Anschluss erst einmal ohne Prüfung der internationalen Zuständigkeit zulassen, zumal dies jedenfalls mit dem Wortlaut der Richtlinie und der EuGVVO im Einklang steht und dem Interesse des heimischen Rechtsmarktes dient. So könnte es durch forum shopping vergleichsweise häufig zu umfangreichen Abhilfeklagen in einzelnen, besonders klägerfreundlichen Jurisdiktionen kommen (vgl. Röthemeyer VuR 2021, 43, 47). Andererseits bleibt das o.g. Problem der Uneinheitlichkeit des anzuwendenden Rechts: Die Aussicht, die Prozesse nach einer Vielzahl von Rechtsordnung führen zu müssen, könnte auch die Verbände und Gerichte in klägerfreundlichen Jurisdiktionen davon abbringen, dort verhandelte Abhilfeklagen ohne Weiteres für Verbraucher aus der ganzen EU zu öffnen (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 290 ff.). Anders mag es sein, wenn die Gerichte in derartigen Jurisdiktionen entsprechend den o.g. vereinzelten Literaturansichten über Vorschriften wie Artt. 4 Abs. 3, 5 Abs. 2 Rom II-VO einheitlich ihr eigenes Recht für anwendbar erklären oder – realistischer – soweit es um Ansprüche aus EU-Verordnungen geht, bei denen keine nationalen Besonderheiten bestehen (Thönissen ZZP 134 [2021], 273, 283). Ebenso vorstellbar ist, dass Verbände in klägerfreundlichen Jurisdiktionen gegen deutsche Unternehmen klagen und dabei neben ortsansässigen Konsumenten auch Verbraucher aus einzelnen ausgesuchten Mitgliedstaaten gezielt ansprechen. So bleibt die Komplexität des Prozesses beherrschbar und es kann gleichwohl eine große Zahl von Verbrauchern mobilisiert werden.

Das Nebeneinander von Abhilfeklagen in verschiedenen Mitgliedstaaten

Wird ein Unternehmen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten mit Abhilfeklagen in Anspruch genommen, so stellen sich Fragen bzgl. der Koordination der verschiedenen Prozesse. Im deutschen Recht sieht § 8 VDuG die Sperrwirkung einer Verbandsklage für weitere Verbandsklagen gegen denselben Unternehmer vor, deren Streitgegenstände denselben Lebenssachverhalt und dieselben Ansprüche oder Feststellungsziele betreffen. Unmittelbar anwendbar ist § 8 VDuG nur auf Verbandsklagen, die vor deutschen Gerichten erhoben wurden. Die Verbandsklage-RL enthält zur Sperrwirkung im Verhältnis zwischen mehreren Verbandsklagen keine Regelung, sondern beschränkt sich auf eine Vorgabe zur Sperrwirkung des individuellen opt-in eines Verbrauchers bei einer Verbandsklage für eine gleichzeitige Rechtsverfolgung durch diesen Verbraucher (Art. 9 Abs. 4 Verbandsklage -RL). Die Koordination mehrerer Abhilfeklagen in verschiedenen Mitgliedstaaten muss somit nach allgemeinen Regelungen erfolgen. Sie ist geboten, um bei mehreren parallelen Abhilfeklagen einander widersprechende Wirkungen zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als die Verbandsklage-RL in Art. 9 Abs. 2 eine Bindungswirkung des Ergebnisses eines Verbandsklageverfahrens für repräsentierte Verbraucher voraussetzt, die im deutschen Recht in § 11 Abs. 3 VDuG umgesetzt wurde. Zugleich sind Verbandsklageurteile nach Art. 36 EuGVVO in anderen Mitgliedstaaten im Sinne einer Wirkungserstreckung anzuerkennen (siehe Beckmann in Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, 1. Aufl. 2022, ZPO § 613 Rn. 142). Die Sperrwirkung auf individueller Ebene nach Art. 9 Abs. 4 Verbandsklage-RL verhindert widersprüchliche Ergebnisse für das beklagte Unternehmen von Vornherein nicht und lässt auch beim einzelnen Verbraucher Raum für widersprüchliche Wirkungen, wie die beschränkte Sperrwirkung des § 8 VDUG zeigt.

Eine Möglichkeit zur Koordination von Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten findet sich in Art. 29 EuGVVO. Danach setzt das später angerufene Gericht in einem ersten Schritt das Verfahren aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Art. 29 Abs. 1 EuGVVO). Das setzt aber voraus, dass die betreffenden Prozesse zwischen denselben Parteien geführt werden. Das wird i.d.R. nicht der Fall sein, weil (und sofern) es unterschiedliche Verbände sind, die das Unternehmen an verschiedenen Orten in Anspruch nehmen (Thönissen EuZW 2023, 637, 641). In diesem Fall kommt allenfalls eine Aussetzung nach Art. 30 Abs. 1 EuGVVO in Betracht, die im Ermessen des später angerufenen Gerichts steht. Jenseits dieser rechtsdogmatischen Fragen sollten betroffene Unternehmen darauf achten, ihre Verteidigungsstrategie in den verschiedenen Jurisdiktionen kohärent umzusetzen. Dabei kann – neben der Begrenzung der Zahl der involvierten lokalen Kanzleien – auch der Einsatz von Legal Tech-Lösungen helfen. Sie ermöglichen es, den Gesamtüberblick über die Situation in den verschiedenen Jurisdiktionen einschließlich der Zahl der jeweils angemeldeten Verbraucher zu behalten, die Verfahren effizient abzuarbeiten und missbräuchliche Mehrfachanmeldungen von Verbrauchern in verschiedenen Verfahren (dazu Thönissen EuZW 2023, 637, 641) aufzudecken. Die Verbandsklage-RL gibt den Mitgliedstaaten zwar vor, die Mehrfachanmeldung und -Entschädigung von Verbrauchern sowie parallel von angemeldeten Verbrauchern betriebene Individualprozesse zu unterbinden (Art. 9 Abs. 4 Verbandsklage-RL). Tatsächlich ist dies bei einer Mehrzahl von Abhilfeklagen in unterschiedlichen Jurisdiktionen aber nur durch den konsequenten Einsatz von Technologie möglich, die derartige Verhaltensweisen aufdecken kann.

Fazit

Deutsche Unternehmen müssen damit rechnen, von Verbänden in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten mit Abhilfeklagen in Anspruch genommen zu werden. Die meisten Verbände werden Klagen vor ihren Heimatgerichten erheben und dabei ausschließlich Verbraucher aus ihrem jeweiligen Sitzland repräsentieren. Ein Grund hierfür ist, dass ansonsten oftmals mehrere Rechtsordnungen gleichzeitig zur Anwendung kommen müssten, was die Prozessführung verteuern und erschweren würde. Manche Verbände aus klägerfreundlichen EU-Mitgliedstaaten werden aber voraussichtlich gezielt versuchen, neben Verbrauchern aus dem eigenen Land auch deutsche Konsumenten zu mobilisieren, um im eigenen Land gegen ein deutsches Unternehmen vorzugehen. Abhilfeklagen mit grenzüberschreitender Verbraucherbeteiligung sind darüber hinaus in einigen weiteren Szenarien denkbar, z. B. bei Ansprüchen aus EU-Verordnungen, die keine nationalen Besonderheiten aufweisen. Ob sich insoweit eine veritable „Klageindustrie“ entwickelt oder ob Abhilfeklagen in der EU nur eine begrenzte Bedeutung erlangen, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich deshalb noch nicht verlässlich beurteilen. Eine Herausforderung, der sich die Unternehmen stellen müssen, sind Abhilfeklagen mit grenzüberschreitendem Bezug, aber auch im zweiten, weniger bedeutsamen Szenario.

Aus rechtsdogmatischer Sicht stellt sich insoweit auch die Frage, ob Verbraucher sich überhaupt Abhilfeklagen aus der ganzen EU frei anschließen können oder ob das nur möglich ist, soweit die Gerichte des betreffenden Landes auch für eine individuelle Klage des Verbrauchers gegen das beklagte Unternehmen zuständig wären. Praktisch gesehen, wird es Jahre dauern, bis eine EuGH-Entscheidung zu dieser Frage ergeht. Bis