Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Personalgestellung im Öffentlichen Tarifrecht ist privilegiert - § 4 Abs. 3 TVöD unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG)

Verfasst von

Arne Ferbeck

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 22. Juni 2023 (Az. C 427/21) das „Kommunalprivileg“ nach § 4 Abs. 3 TVöD bei der dauerhaften Personalgestellung zugunsten des Fortbestandes der bisherigen Regelung bestätigt. Eines Rückgriffs auf § 1 Abs. 3 Ziff. 2b AÜG bedarf es nicht.

Sachverhalt

Mit seiner Vorlage vom 16. Juni 2021 hatte das Bundesarbeitsgerichts (BAG, Az. 6 AZR 390/20) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Personalgestellung in Konstellationen des § 4 Abs. 3 TVöD als Arbeitnehmerüberlassungen im Sinne der Richtlinie zu bewerten ist. Für den Fall der Bestätigung dieser ersten Frage wollte das BAG ferner wissen, ob die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme für die Personalgestellung des öffentlichen Dienstes – wie in § 1 Abs. 3 Ziff. 2 b AÜG vorgesehen – zulasse.

Im zur Entscheidung anstehenden Fall wurde der Aufgabenbereich, in dem der Arbeitnehmer bei seinem öffentlichen Arbeitgeber tätig war, auf eine privatrechtlich organisierte Tochtergesellschaft des Arbeitgebers übertragen. Nach Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Beschäftigungsverhältnisses nach § 613a Abs. 6 BGB auf die Tochtergesellschaft wurde aufgrund der im Öffentlichen Dienst bestehenden tariflichen Sonderregelung des § 4 Abs. 3 TVöD i.V.m. § 1 Abs 3 Ziffer 2b AÜG in solchen Konstellationen bislang – wie auch vorliegend – üblicherweise von der genehmigungsfreien dauerhaften Personalgestellung Gebrauch gemacht. Diese hielt der klagende Arbeitnehmer für unzulässig, weil wegen Verstoßes gegen die EU-Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) für europarechtswidrig.

Entscheidung

1. Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 1008/104/EG über Leiharbeit auf solche Sachverhalte bereits nicht anwendbar ist, bei denen eine dauerhafte und endgültige Verlagerung der Aufgaben und Tätigkeiten eines Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber auf ein Drittunternehmen übertragen wurden.

Zur Begründung verweist der EuGH unter Berufung auf den Wortlaut der Regelungen der Richtlinie wie auch der nationalen Regelung des AÜG, dass die Einstellung des Arbeitnehmers im zu entscheidenden Fall gerade nicht zur vorübergehenden Überlassung an einen entleihenden Unternehmer erfolgte. Vielmehr erfolgte die Einstellung zur Erledigung von Aufgaben des Vertragsarbeitgebers und es bestand zu diesem Zeitpunkt keine Absicht zur zeitweisen Überlassung an Dritte. Eine solche Absicht kann auch dann nicht angenommen werden, wenn bei einer Verlagerung der Aufgaben an Dritte das Arbeitsverhältnis nur deshalb nach § 613a BGB nicht mit der Aufgabe übergeht, weil der Arbeitnehmer sein Recht, dem Übergang zu widersprechen, ausübt.

Darüber hinaus arbeitet der EuGH die unterschiedlichen Interessenlagen und Schutzzwecke auf Seiten des Arbeitgebers wie auch des Arbeitnehmers heraus, die im Fall der Personalgestellung auch dadurch geprägt sind, dass das bisherige Arbeitsverhältnis dauerhaft fortbesteht. Aufgrund des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses, welches durch die Ausübung des Widerspruchsrechtes des Arbeitnehmers erfolgt, kann sich jedoch dessen Verpflichtung ergeben, auf Weisung des (fortbestehenden) Arbeitgebers die vertraglich geschuldete Leistung dauerhaft beim Drittunternehmen zu erbringen und sich dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Drittunternehmens zu unterwerfen, da sich dort seine ursprüngliche Tätigkeit und Aufgabe wiederfindet.

2. Nachdem der EuGH somit entschieden hat, dass die Richtlinie 2008/104/EG den Sachverhalt nicht erfasst, wenn

  • bereits bei Einstellung keine vorübergehende Überlassung erfolgen sollte,
  • die Aufgaben und Tätigkeiten dauerhaft auf einen Dritten übertragen werden,
  • das Beschäftigungsverhältnis aufgrund eines berechtigten Widerspruches des Mitarbeitenden nach § 613a Abs 6 BGB nicht übergeht und
  • daraufhin auch das Arbeitsverhältnis fortbesteht

war die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit einer branchenspezifischen Ausnahme für die Personalgestellung im Anwendungsbereich des öffentlichen Tarifrechts (TVöD, TV-V) nach § 1 Abs 3 Ziff. 2b AÜG nicht mehr zu beantworten.

Hinweise

Arbeitgeber, die ein öffentliches Tarifwerk anwenden, das eine Personalgestellung vorsieht und die von dieser Möglichkeit in der Vergangenheit Gebrauch gemacht haben, dürfen sich somit entspannen. Das war und bleibt zulässig, weiterhin können bei dauerhaften und endgültigen Verlagerungen von Aufgaben und Tätigkeiten auf ein Drittunternehmen die Mitarbeitenden, auch wenn sie dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB widersprechen, dazu verpflichtet werden, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung bei diesem Drittunternehmen dauerhaft zu erbringen und somit dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Drittunternehmens zu unterliegen. Das Arbeitsverhältnis bleibt ansonsten bestehen.

Inwieweit sich bei vergleichbaren Konstellationen in anderen Branchen und anderen Tarifwerken Anwendungsbereiche für diese EuGH-Entscheidung ergeben können, kann aufgrund dieser Entscheidung nicht vorhergesagt werden. Es bedarf dann jedoch auch einer dem § 1 Abs 3 Ziffer 2b AÜG entsprechenden nationalen bzw. tariflichen Regelung. Eine ausweitende Auslegung ist angesichts der ausdrücklichen Regelungen in § 1 Abs 3 AÜG nicht angezeigt.