Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Die Entwicklung der DAWI-Kriterien in einer aktuellen Entscheidung der EU-Kommission

Verfasst von

Dr. Simone Merkl

In einer aktuellen Entscheidung (SA.103361) vom 3. Februar 2023 nimmt die EU-Kommission zu den Kriterien für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV Stellung. Nach den DAWI-Bestimmungen ist es den Mitgliedsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Unternehmen für die Erfüllung von DAWI und die hierdurch entstandenen Mehrkosten zu entschädigen. Die Entscheidung veranschaulicht, dass die DAWI-Kriterien in der Entscheidungspraxis der EU-Kommission nach wie vor eine wichtige Rolle spielen und kontinuierlich weiterentwickelt werden.

In dem konkreten Verfahren gestattete die EU-Kommission dem Staat Kroatien die Verlängerung der Konzessionsvereinbarung mit Bina-Istra, dem privaten Betreiber der „Ypsilon“-Autobahn, die die Halbinsel Istrien mit dem Rest von Kroatien verbindet und Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes ist („TEN-T“). Gegenstand der Verlängerung sind der Betrieb der Autobahn für weitere 3 Jahre sowie zusätzliche Ausbaumaßnahmen, im Gegenzug gewährt Kroatien gewisse finanzielle Zuschüsse.

Prüfkriterien der EU-Kommission

Allein die bloße Verlängerung der bestehenden Konzession ist eine neue, selbstständig prüfpflichtige Beihilfe, wie die EU-Kommission eingangs feststellt. Denn Bina-Istra kann das Betriebsrecht und die Mauteinnahmen über einen längeren als den ursprünglich vereinbarten Zeitraum beanspruchen.

Im Anschluss überprüfte die EU-Kommission die Maßnahme anhand der DAWI-Beihilfevorschriften nach Art. 106 Abs. 2 AEUV unter Hinzuziehung der Vorgaben im DAWI-Rahmen von 2011 (ABl. 2012 C 8, 15) und sah diese als erfüllt an. Im Einzelnen:

  • Feststellung einer DAWI: Kroatien habe in zufriedenstellender Weise anhand von Berechnungen dargelegt, warum ohne öffentliche Unterstützung die vereinbarten Investitionsmaßnahmen nicht durchgeführt würden. Denn für den Betreiber wäre es nicht vorteilhaft, die Investition zu tätigen. Der Ausbau liege auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse, weil er zu den transeuropäischen Transportnetzen (TEN-T) beitrage.
  • Notwendiger Betrauungsakt: Hervorgehoben wird, dass die ursprünglich vereinbarten Parameter für die Berechnung der Ausgleichsleistung von der Änderung unangetastet bleiben.
  • Dauer der Maßnahme und Einhaltung der Vorgaben der Transparenzrichtlinie
  • Compliance mit Vergabevorschriften, insbesondere der Konzessionsrichtlinie

Detaillierte Überkompensationskontrolle

Abschließend nimmt die EU-Kommission eine umfassende Überkompensationskontrolle gem. Art. 21 ff. DAWI-Rahmen vor. Danach darf die Höhe der Ausgleichsleistung nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Nettokosten für die Erfüllung der DAWI einschließlich eines angemessenen Gewinns zu decken (Überkompensationsverbot).

Zunächst wird festgestellt, dass im konkreten Fall die Kostenallokationsmethode (Berechnung der Differenz zwischen den auf die Gemeinwohlverpflichtung fallenden tatsächlichen Kosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns und den darauf entfallenden Einnahmen) richtigerweise zur Anwendung kommt. Die Net-avoided-cost-Methode würde ein hypothetisches Szenario voraussetzen, in dem es keine DAWI gibt. Im vorliegenden Fall sei die DAWI jedoch das Wesentliche der vom Begünstigten ausgeübten Tätigkeit, sodass die Methode der vermiedenen Nettokosten keine Anwendung finde. Das kroatische Modell wird nicht beanstandet, insbesondere weil es die mit der DAWI einhergehenden Einnahmen des Betreibers aus der ursprünglichen Konzession und speziell aus der Verlängerung gleichermaßen berücksichtigt.

Bezüglich der Angemessenheit des Gewinns kennt die EU-Kommission an, dass die erwarteten Gewinne allesamt begrenzt seien und vom kroatischen Staat weiterhin genau überwacht werden. Außerdem bewege sich die von Kroatien veranschlagte Jahresrendite mit 3-6 % im Rahmen vergleichbarer Autobahnprojekte.

Zulässiger Effizienzanreiz ist nach der EU-Kommission, dass entsprechend Art. 41 und 42 DAWI-Rahmen der Betreiber gemäß dem im Betrauungsakt festgelegten Mechanismus 60 % aller Einsparungen zur freien Verfügung behalten darf. Schließlich werde auch das Verbot der Überkompensation gewahrt, indem der vereinbarte Ausgleichsmechanismus sowie alle zugrunde liegenden geschätzten Kosten unabhängig geprüft würden.

Fazit

Das EU-Beihilfenrecht sieht besondere Privilegierungen für DAWI-Bereiche vor und knüpft deren Finanzierung an Vorgaben, die auf der nationalstaatlichen Umsetzungsebene ordnungsgemäß einzuhalten sind. Die Entscheidung zeigt, dass die EU-Kommission sehr dezidiert die Voraussetzungen für eine DAWI-Rechtfertigung prüft. Dabei inkorporiert sie aktuell wichtige Politiken (hier z. B. die TEN-Ziele) in ihre Argumentation und entwickelt einzelne Kriterien dadurch weiter. Gleichzeitig ist es Kroatien gelungen, durch gelungene punktgenaue Darstellung der Maßnahme, insbesondere des Ausgleichsmechanismus, die EU-Kommission zu überzeugen. Dies verdeutlicht zum einen, dass den mitgliedstaatlichen Behörden bei der Ausgestaltung im Einzelfall ein Ermessen zusteht, wie sie die DAWI-Kriterien umsetzen. Zugleich wird dadurch deutlich, dass sich eine schematische Betrachtung bei DAWI-Gestaltungen verbietet und immer eine individuelle Lösung am konkreten Fall angezeigt ist.

Die Prüfung zeigt aber, dass die EU-Kommission, wenn sie denn zur Prüfung angerufen wird, DAWI-Vorschriften konsequent durchprüft. Daher ist es in der Praxis betrauter Unternehmen zu empfehlen, die Vorgaben mit der gleichen Konsequenz zu beachten