Das neue Beschlussmängelrecht für Personengesellschaften nach dem MoPeG – Systemwechsel, Praxisfolgen und aktuelle Rechtsprechung
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) zum 1. Januar 2024 hat der Gesetzgeber das Beschlussmängelrecht für Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG, GmbH & Co. KG) grundlegend reformiert. Erstmals finden sich in den §§ 109–115 HGB detaillierte Regelungen zum Beschlussverfahren und zur gerichtlichen Geltendmachung von Beschlussmängeln. Die Reform orientiert sich am aktienrechtlichen Kassationsmodell und bricht bewusst mit dem bislang geltenden Feststellungsmodell. Für die nichtkaufmännischen Personengesellschaften (GbR, PartG) bleibt es beim alten System, wobei eine Opt-In Möglichkeit geregelt wurde. Die Neuregelung wirft zahlreiche Fragen für die Praxis und die Rechtsprechung auf, die im Folgenden systematisch dargestellt werden.
1. Systemwechsel: Vom Feststellungsmodell zum Kassationsmodell
Bis Ende 2023 galt für Personengesellschaften das Feststellungsmodell: Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse waren grundsätzlich nichtig und konnten im Wege der Feststellungsklage (§ 256 ZPO) zwischen den Gesellschaftern ohne Fristbindung geltend gemacht werden. Das Urteil wirkte nur inter partes. Für die GmbH und die AG galt demgegenüber das Anfechtungsmodell: Fehlerhafte Beschlüsse waren zunächst wirksam und mussten fristgebunden durch Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft angegriffen werden.
Mit dem MoPeG wurde dieses System nun für Personenhandelsgesellschaften übernommen (§§ 110 ff. HGB). Fehlerhafte Beschlüsse sind grundsätzlich wirksam und nur ausnahmsweise nichtig. Die Anfechtung erfolgt durch Klage gegen die Gesellschaft, nicht mehr gegen die Mitgesellschafter, wie dies vor dem MoPeG der Fall. Das Urteil wirkt zudem für und gegen alle Gesellschafter und Organe der Gesellschaft, unabhängig von einer Beteiligung am Verfahren.
2. Die neue Systematik der Beschlussmängel
Das neue Recht unterscheidet zwischen drei Kategorien von Beschlussmängeln:
a) Nichtigkeit (§ 110 Abs. 2 HGB)
Ein Beschluss ist von Anfang an nichtig, wenn er durch seinen Inhalt zwingende Rechtsvorschriften verletzt, auf deren Einhaltung die Gesellschafter nicht verzichten können (z. B. Verstoß gegen die guten Sitten, gläubigerschützende Normen, absolut unentziehbare Mitgliedschaftsrechte wie das Teilnahmerecht an der Gesellschafterversammlung). Die Nichtigkeit kann durch Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB) oder auf andere Weise (z. B. Einrede) geltend gemacht werden. Die Nichtigkeit tritt von Gesetzes wegen ein, so dass eine Heilung – anders als im Aktienrecht – nicht vorgesehen ist.
b) Anfechtbarkeit (§ 110 Abs. 1 HGB)
Beschlüsse, die gegen andere Rechtsvorschriften oder den Gesellschaftsvertrag verstoßen, sind anfechtbar. Die Anfechtungsklage ist gegen die Gesellschaft zu richten (§ 113 Abs. 2 HGB) und muss innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des Beschlusses erhoben werden (§ 112 HGB), da ansonsten der Beschluss in Bestandskraft erwächst. Die Frist kann gesellschaftsvertraglich auf mindestens einen Monat verkürzt werden. Die Anfechtungsbefugnis steht jedem Gesellschafter zu, der oder dessen Rechtsvorgänger im Zeitpunkt der Beschlussfassung Mitglied war (§ 111 HGB).
c) Unwirksamkeit
Nicht ausdrücklich geregelt, aber anerkannt ist die schwebende Unwirksamkeit von Beschlüssen, die in relativ unentziehbare Rechte eines Gesellschafters ohne dessen Zustimmung eingreifen (z. B. Geschäftsführungsrechte, Sonderrechte, Gewinnbeteiligung). Die Unwirksamkeit kann durch Feststellungsklage gegen die Gesellschaft geltend gemacht werden. Sie ist nicht fristgebunden, unterliegt aber dem Institut der Verwirkung.
3. Prozessuale Durchsetzung und Verfahrensfragen
a) Klagearten und Zuständigkeit
Das neue System sieht die Anfechtungsklage (§ 113 HGB), die Nichtigkeitsklage (§ 114 HGB) und die positive Beschlussfeststellungsklage (§ 115 HGB) vor. Die allgemeine Feststellungsklage bleibt für bestimmte Fälle (z. B. Streit über das Zustandekommen oder den Inhalt eines Beschlusses) erhalten. Zuständig ist ausschließlich das Landgericht am Sitz der Gesellschaft (§ 113 Abs. 1 HGB).
b) Rechtskrafterstreckung und Unterrichtungspflicht
Ein stattgebendes Urteil wirkt zwischen allen Parteien (§ 113 Abs. 6 HGB). Die Gesellschaft ist verpflichtet, alle Gesellschafter über die Klage und den Stand des Verfahrens zu unterrichten (§ 113 Abs. 3 HGB). Bei Verletzung dieser Pflicht drohen Schadensersatzansprüche.
c) Streitwert und Kosten
Der Streitwert bemisst sich nach der Bedeutung der Sache für die Parteien (§ 113 Abs. 5 HGB). Die Prozesskosten sind von der Gesellschaft zu tragen, wobei der klagende Gesellschafter anteilig belastet wird. Ob ein Erstattungsanspruch gegen die unterlegenen Gesellschafter besteht, ist noch offen und wird von der Rechtsprechung zu klären sein.
4. Dispositive Gestaltungsmöglichkeiten: Opt-In und Opt-Out
Das neue Beschlussmängelrecht ist dispositiv (§ 108 HGB). Personenhandelsgesellschaften können im Gesellschaftsvertrag das alte Feststellungsmodell beibehalten (Opt-Out) oder modifizierte Regelungen treffen. Umgekehrt können GbR und PartG das neue System übernehmen (Opt-In). Die Gestaltungsfreiheit ist jedoch durch zwingende Vorschriften (z. B. Nichtigkeitsgründe, Mindestklagefrist) begrenzt.
5. Auswirkungen und Ausblick auf das GmbH-Recht
Die MoPeG-Reform hat auch das GmbH-Beschlussmängelrecht beeinflusst. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass das neue Anfechtungsmodell auf das GmbH-Recht ausstrahlen wird. In der Literatur wird diskutiert, ob künftig die §§ 110 ff. HGB analog auf die GmbH anzuwenden sind, insbesondere hinsichtlich der längeren Anfechtungsfrist (drei Monate statt ein Monat) und der flexibleren Unterrichtungspflicht.
6. Aktuelle Rechtsprechung und offene Fragen
Die Gerichte werden sich künftig mit zahlreichen Detailfragen auseinandersetzen müssen, etwa zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen im Hinblick auf Opt-In/Opt-Out, zur Reichweite der Rechtskrafterstreckung und zur Kostenverteilung.
Das neue Beschlussmängelrecht für Personengesellschaften bringt einen Paradigmenwechsel und erhöht die Rechtssicherheit, verlangt aber von Gesellschaften und Beratern eine sorgfältige Anpassung der Gesellschaftsverträge. Die Praxis ist gefordert, die neuen Gestaltungsspielräume zu nutzen und die Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur aufmerksam zu verfolgen. Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich das neue System in der gerichtlichen und außergerichtlichen Praxis bewährt und welche weiteren Anpassungen erforderlich sein werden.