Litigation, Arbitration

Commercial Courts und Commercial Chambers: Urteil ohne Warteschlange

Autoren dieses Fachbeitrags sind Moritz Ziegler und Dr. Henriette Sigmund.

Könnte Deutschland als Justizstandort beliebter sein? Nach Ansicht von Wirtschaft, Politik und Rechtsbeiständen ja: überlange Verfahrensdauer, Verfahrensführung nur auf Deutsch und komplexe Instanzenzüge – all das führt insbesondere international tätige Unternehmen seit Jahrzehnten vor private Schiedsgerichte, um wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zu lösen. Seit April 2025 eröffnet nun das Justizstandort-Stärkungsgesetz neue Wege: Insbesondere können die Bundesländer spezialisierte Spruchkörper für Handelssachen bei den staatlichen Gerichten einführen. Es handelt sich um die „Commercial Courts“ an den Oberlandesgerichten sowie „Commercial Chambers“ an den Landgerichten. Diese neuen Spruchkörper sollen vor allem prozessuale Vorzüge gegenüber bisherigen staatlichen Zivilverfahren bieten, die bislang eher in Schiedsverfahren zu finden waren. Viele Bundesländer sind dem Ruf auf Bundesebene gefolgt und haben die neuen Spruchkörper bereits eingeführt – wenn auch mit erheblichen Unterschieden in der praktischen Umsetzung. Kurz nach ihrer Einführung dürfte die Anzahl der Verfahrenseingänge bei den Commercial Courts und Commercial Chambers noch überschaubar sein. Davon kann profitieren, wer ein Urteil ohne lange Wartschlange in den Händen halten will.

Commercial Court: Der neue „Gold-Standard“ für komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten?

Das Justizstandort-Stärkungsgesetz ermächtigt die Bundesländer, mittels Rechtsverordnung spezialisierte Senate bei den Oberlandesgerichten als Commercial Courts einzurichten.

Die Zuständigkeit der Commercial Courts wird von den Bundesländern festgelegt. Der Gesetzgeber hat einen Katalog von Rechtsgebieten geregelt, der jedoch von den Bundesländern erweitert oder eingeschränkt werden kann. Sehen die Bundesländer keine spezifische Zuständigkeitsregelung vor, sind die Commercial Courts zuständig für Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, unlauteren Wettbewerbs und Urheberrechts), M&A-Streitigkeiten oder innergesellschaftliche Streitigkeiten ab einem Streitwert von EUR 500.000,00. Viele Bundesländer haben aber bereits Einschränkungen vorgenommen. So entscheidet der Commercial Court in Berlin nur über Streitigkeiten im Bau- und Architektenrechthttps://www.berlin.de/gerichte/kammergericht/das-gericht/commercial-court/artikel.1554449.en.php, abgerufen am 18. November 2025.Show Footnote, während der Commercial Court in Frankfurt insbesondere für handels- und gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist.https://www.commercial-court-frankfurt.de/, abgerufen am 18. November 2025.Show Footnote Mitunter kann also der Ort des Gerichtsstands darüber entscheiden, ob der jeweilige Rechtsstreit überhaupt vor dem örtlichen Commercial Court landen kann.

Zusätzlich müssen die Parteien die Zuständigkeit des Commercial Courts ausdrücklich oder zumindest stillschweigend vereinbaren. Dies ist nicht nur im Vorfeld durch vertragliche Vereinbarungen möglich, sondern auch nach Entstehen der Streitigkeit. Die Zuständigkeit des Commercial Courts wird sogar dann begründet, wenn die klagende Partei ihre Klage beim Commercial Court einreicht und die andere Partei sich hierauf rügelos einlässt. Wer zum Commercial Court möchte, ist also gut beraten, die Weichen entsprechend frühzeitig zu stellen.

Ziehen die Parteien vor die Commercial Courts, um ihren Rechtsstreit auszutragen, profitieren sie nicht nur von besonders sachkundigen und erfahrenen Richtern, sondern auch von einigen Neuerungen der Verfahrensführung:

  • Eine wesentliche Besonderheit ist das frühe organisatorische Gespräch zwischen Parteien und Gericht. Die Vorgabe ähnelt der im Schiedsverfahren üblichen Case Management Conference, bei der die Parteien etwa Regelungen für die Organisation und den Ablauf des Verfahrens festlegen und einen Verfahrenskalender besprechen.
  • Außerdem ist auf übereinstimmenden Antrag der Parteien ein Wortprotokoll zu führen. Wortprotokolle sind als Verschriftlichung aller getroffenen Aussagen besonders dazu geeignet, den Verfahrensablauf einschließlich etwaiger Beweisaufnahmen zu verlässlich zu dokumentieren. Nicht umsonst sind Wortprotokolle vor allem aus der Schiedspraxis bekannt und dort bewährt.
  • Das Verfahren vor den Commercial Courts kann im Einvernehmen der Parteien zudem ganz oder teilweise in englischer Sprache geführt werden. Insbesondere für Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit englischsprachigen (Vertrags-)Dokumenten oder mit nicht-deutschsprachigen Verfahrensbeteiligten kann diese Neuerung eine erhebliche Erleichterung darstellen. Ein wesentlicher Punkt bleibt jedoch: Spätestens vor dem Bundesgerichtshof ist das Verfahren wieder auf Deutsch zu führen.

Commercial Chamber: Die kleine Schwester des Commercial Courts

Als eine weitere Neuerung sieht das Justizstandort-Stärkungsgesetz vor, dass an den Landgerichten Commercial Chambers eingerichtet werden können.

Auf welche Wirtschaftsstreitigkeiten die einzurichtenden Commercial Chambers spezialisiert sind, bleibt ebenfalls den Bundesländern überlassen. Auch die Zuständigkeitsregeln der Commercial Chambers können sich daher von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Die sachliche Zuständigkeit der bislang eingerichteten Commercial Chambers orientiert sich an den Rechtsgebieten, für die auch die Commercial Courts zuständig sein können.

Sofern sich die Parteien hierauf einigen, können sowohl das Verfahren als auch die Entscheidung der Commercial Chambers wie auch bei den Commercial Courts grundsätzlich vollständig auf Englisch erfolgen. Zudem sind auch das frühe organisatorische Gespräch und das Wortprotokoll für die Commercial Chamber vorgesehen.

Auf der Überholspur zum BGH durch verkürzten Instanzenzug

Führen die Parteien ihren Rechtsstreit vor einem Commercial Court, können sie eine ihnen missliebige Entscheidung des Commercial Courts jeweils unmittelbar mit der Revision vor dem Bundesgerichtshof angreifen. Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht.

Gegen Entscheidungen einer Commercial Chamber hingegen ist zunächst nur die Berufung vor dem Oberlandesgericht statthaft. Daher kann ein Verfahren vor dem Commercial Court vor allem auch dann interessant werden, wenn eine Partei ohne zwischengeschaltete Berufungsinstanz schnell vor den Bundesgerichtshof ziehen können will.

In der Regel bilden die Commercial Courts auch die Berufungsinstanz für Fälle, die die Commercial Chambers erstinstanzlich entschieden haben. Allerdings gibt es auch hiervon Ausnahmen in einzelnen Bundesländern. Welcher Spruchkörper die vorzugswürdige Einstiegsinstanz ist und wie der Instanzenzug der Commercial Courts und Commercial Chambers im Detail aussieht, stellen wir in Kürze in einem weiteren Blog-Post vor.

Lohnt es sich, jetzt schnell zu sein?

Da Commercial Courts und Commercial Chambers erst vor wenigen Monaten in manchen Bundesländern eingeführt wurden, dürften die Verfahrenseingänge (noch) überschaubar sein.

Wem also demnächst eine wirtschafts- oder handelsrechtliche Streitigkeit bevorsteht, der sollte genau prüfen, ob der Rechtsstreit im Interesse eines raschen Verfahrens vor einem der beiden Spruchkörper geführt werden kann oder sollte. Soweit die Gerichte aktuell noch genügend Kapazitäten für neue Verfahren haben, bleibt dies sicherlich eine seltene Momentaufnahme. Zudem sind sowohl Commercial Courts als auch Commercial Chambers mit hochspezialisierten und erfahrenen Richterinnen und Richtern besetzt, was gerade in komplexen Wirtschaftsstreitigkeiten allen Beteiligten zugutekommen kann. Im Vergleich zu meist kostspieligen Schiedsverfahren kann ein Rechtsstreit vor den staatlichen Commercial Courts oder Commercial Chambers gegebenenfalls auch deutlich kostengünstiger geführt werden. Hierbei darf allerdings als potenziell gewichtiger Risikofaktor nicht unberücksichtigt bleiben, dass vor den staatlichen Gerichten gerade die Kosten der anwaltlichen Vertretung nur nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und damit eingeschränkter als in Schiedsverfahren ersatzfähig sind. Dieser Umstand kann einer Partei abhängig von ihrem Obsiegen oder Verlieren zum Vor- oder Nachteil gereichen.

Die neue Option innerhalb der Konfliktlösung vor staatlichen Gerichten wird sich gleichwohl noch bewähren und beweisen müssen. Zunächst bleibt abzuwarten, als wie praktikabel sich die neuen Verfahrensregelungen erweisen werden. So kann beispielsweise die englisch- oder zweisprachige Verfahrensführung an ihre Grenzen stoßen und potenziellen Missverständnissen oder Unklarheiten Vorschub leisten. Auch können die Zuständigkeiten der Commercial Courts und Commercial Chambers in den einzelnen Bundesländern erheblich variieren – ein Umstand, der angesichts der sonst bundeseinheitlichen Gerichtszuständigkeiten bemerkenswert ist und bei Nutzern potenzielle Unsicherheiten schafft. Vor dem Hintergrund, dass die Parteien die Zuständigkeit des Commercial Courts zusätzlich vereinbaren müssen, wäre eine gewisse Hilfestellung des Gesetzgebers begrüßenswert gewesen, etwa in Gestalt rechtssicherer Musterklauseln für entsprechende Vereinbarungen. Dagegen bemühen sich viele Bundesländer augenscheinlich sehr um Nutzerfreundlichkeit und Serviceangebote. So stellt etwa Baden-Württemberg sogar detaillierte Informationen zur Qualifikation der Richter der Commercial Courts zur Verfügung; andere Bundesländer halten sich hingegen mit ergänzenden Informationen und Serviceangeboten eher zurück. Angesichts der vielfältigen Besonderheiten sowohl der neuen Angebote als auch der vorhandenen Alternativen lohnt sich in jedem Fall die gemeinsame Abwägung mit den Rechtsberatern, welcher Weg im individuellen Streitfall der meistversprechende ist.

In jedem Fall ist der Weg zu den Commercial Courts oder eine Commercial Chamber eine Überlegung wert – insbesondere für alle, die ihre Streitigkeit einem spezialisierten Spruchkörper anvertrauen und dabei die Chance auf eine derzeit wohl ungewöhnlich kurze Verfahrensdauer nutzen wollen.