Energie- und Klimarecht

Greenwashing vor Gericht: Pariser Zivilgericht untersagt TotalEnergies Klimaneutralitätswerbung als irreführend

Autorin dieses Beitrags ist Julia Scheibler.

Ein wegweisendes Urteil aus Paris schärft die Grenzen zulässiger Umweltkommunikation großer Energieunternehmen. Das Pariser Zivilgericht hat am 23. Oktober 2025 (Az. N° RG 22/02955 – N° Portalis 352J-W-B7G-CWJKL) entschieden, dass TotalEnergies Frankreich nicht mit einer angestrebten Klimaneutralität werben darf, wenn das tatsächliche Geschäftsverhalten dem widerspricht. Die Entscheidung setzt ein deutliches Signal für den Energiesektor in Europa: Klimaversprechen müssen in der Unternehmenspraxis belastbar eingelöst und durch konkrete Maßnahmen belegt werden.

Ausgangspunkt des Verfahrens war eine breit angelegte Kommunikationskampagne, die TotalEnergies im Zuge der Umfirmierung im Mai 2021 startete. In verschiedenen Kanälen, darunter Website, Presse, TV und soziale Medien, stellte das Unternehmen seine Rolle als „wichtiger Akteur der Energiewende“ heraus und verwies auf das Ziel der CO2‑Neutralität bis 2050. Drei NGOs – Greenpeace Frankreich, Friends of the Earth Frankreich und Notre Affaire à Tous – erhoben Anfang 2022 Klage gegen TotalEnergies SE und To-talEnergies Electricité et Gaz France. Sie rügten insbesondere Aussagen zur Klimaneutralität sowie zur Umweltleistung von fossilem Gas und Biokraftstoffen als irreführend, da diese beim angesprochenen Publikum den Eindruck hervorriefen, das Unternehmen folge den wissenschaftlichen Empfehlungen und trage durch seine Produkte und Dienstleistungen maßgeblich zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bei.

Das Gericht ordnete die in Frage stehenden Aussagen als Werbebotschaften ein, die geeignet seien, Ver-braucherinnen und Verbraucher über den Umfang der Umweltverpflichtungen des Konzerns zu täuschen. Maßgeblich war dabei, dass die Kommunikation ausdrücklich an das wissenschaftliche Konzept der Klimaneutralität im Sinne des Pariser Abkommens anknüpfte, während das Unternehmen nach den Feststellungen des Gerichts weiterhin rund 97 Prozent seiner Energie aus fossilen Quellen produziert und die Erschließung weiterer Öl‑ und Gasfelder plant. Diese Diskrepanz bewertet das Gericht als unvereinbar mit den Zielen des Pariser Abkommens. Nach seiner Einschätzung kann die Betonung vermeintlicher Umweltqualitäten das wirtschaftliche Verhalten eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers erheblich beeinflussen, zumal Nachhaltigkeitsaspekte neben dem Preis zunehmend ein kaufentscheidendes Kriterium darstellen.

Konsequent untersagte das Gericht die weitere Verwendung der strittigen Aussagen und verpflichtete die Unternehmen, diese von der Website zu entfernen. Zudem muss der Tenor der Entscheidung für 180 Tage auf der Website veröffentlicht werden. Den klagenden NGOs sprach das Gericht jeweils 8.000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens zu. Soweit weitergehende Anträge die Umweltvorteile fossiler Gase und von Biokraftstoffen betrafen, hat das Gericht diese abgewiesen. Ausschlaggebend hierfür war, dass kein hinreichender direkter Bezug zum Verkauf an Verbraucher und keine ausreichend konkrete Beeinflussung des Verbraucherverhaltens dargelegt werden konnten.

Die Einwände von TotalEnergies, es gebe keinen verbindlichen Pfad zur Klimaneutralität für Unternehmen und das Pariser Abkommen richte sich an Staaten, nicht an private Akteure, vermochten das Gericht nicht zu überzeugen. Entscheidend war nicht eine unmittelbare Bindung an das Abkommen, sondern die werbliche Bezugnahme auf das anerkannte wissenschaftliche Konzept der Klimaneutralität, die beim Publikum Erwartungen an die tatsächliche Unternehmenspraxis weckt. Wer in der Außendarstellung Klimaneutralität für sich reklamiert oder einen Beitrag hierzu verspricht, muss nach dieser Entscheidung darlegen können, dass Geschäftsmodell, Investitionsplanung und Produktportfolio konsistent auf dieses Ziel ausgerichtet sind.

Wirkung des Urteils über Frankreich hinaus

Das Urteil entfaltet über den Einzelfall hinaus Signalwirkung. Es bindet zwar nur die Parteien in Frankreich, setzt aber einen klaren Maßstab für die Zulässigkeit von Umweltwerbung im Energiesektor. Besonders Unternehmen mit hohem fossilem Anteil und ambitionierter Nachhaltigkeitskommunikation müssen künftig mit einer strengeren Prüfung der Vereinbarkeit von Leitbild und tatsächlicher Geschäftspraxis rechnen. Zugleich zeigt die Entscheidung, dass Gerichte neben Unterlassungen auch Publikationspflichten anordnen können, um Transparenz herzustellen und irreführende Eindrücke zu korrigieren.

Für deutsche Unternehmen hat das Urteil keine unmittelbare Rechtswirkung, ist aber inhaltlich richtungsweisend. Nachhaltigkeitskommunikation wird im Energie- und Infrastruktursektor zunehmend als geschäftsrelevanter Faktor verstanden, der Beschaffungsentscheidungen, Kundenbeziehungen und Kapitalmarktpositionen beeinflusst. Das Pariser Urteil verdeutlicht, dass Klimaneutralitätsversprechen ohne nachvollziehbare und überprüfbare Umsetzungspfade erhebliche Risiken bergen. Wer mit Klimazielen, „Net Zero“-Strategien oder der Rolle als Treiber der Energiewende wirbt, muss dies durch konsistente Steuerungsgrößen, belastbare Investitionsprogramme und transparente Fortschrittsmessung untermauern.

Wer Zielbilder kommuniziert, sollte Zwischenziele, Prioritäten und Maßnahmen klar benennen und regelmä-ßig aktualisieren. Aussagen mit Bezug zu wissenschaftlichen Konzepten wie Klimaneutralität müssen präzise und empirisch belegbar sein. Überwiegen fossile Aktivitäten und werden diese eventuell sogar ausgeweitet, ist Zurückhaltung bei absoluten Aussagen geboten; stattdessen sollten Transformationspfad, Reduktionslogik und Abhängigkeiten von Rahmenbedingungen transparent dargestellt werden. So lassen sich regulatorische und reputative Risiken verringern und die Position im öffentlichen Diskurs stärken.

Es ist denkbar, dass auch deutsche Umweltorganisationen künftig unter Verweis auf die französische Entscheidung gegen irreführende Aussagen vorgehen.