Private DMA-Durchsetzung vor deutschen Gerichten: Das Landgericht Mainz als Wegbereiter
Die Privatdurchsetzung des Digital Markets Act (DMA) gewinnt in Deutschland an Bedeutung. Nach dem Oberlandesgericht Köln (Blogbeitrag vom 2. Juni 2025) hat nun auch das Landgericht Mainz am 12. August 2025 (Az. 12 HK O 32/24) ein wichtiges Urteil zur direkten Anwendbarkeit des DMA gefällt.
Hintergrund: Zugangshürden zur Einrichtung eines Google-Kontos
Im Zentrum des Verfahrens stand die Gestaltung der Prozesse zur Einrichtung eines Google-Kontos im Zusammenhang mit Android OS, Google Play, YouTube und Chrome. Nutzerinnen und Nutzer, die ein Android-Smartphone verwenden wollten, mussten ein Google-Konto anlegen, um zentrale Dienste wie den Play Store oder YouTube nutzen zu können. Besonders problematisch war dabei, dass Nutzer ohne eigene E-Mail-Adresse gezwungen waren, sich bei Gmail zu registrieren – eine alternative E-Mail-Adresse konnte im Anmeldeprozess nicht angegeben werden. Selbst bei Anmeldung mit einer Telefonnummer wurde im Hintergrund automatisch eine Gmail-Adresse generiert. Wer eine E-Mail-Adresse eines Drittanbieters wie GMX oder WEB.DE nutzen wollte, musste ein weiteres Gerät für die Verifizierung bereithalten.
Die E-Mail-Anbieter GMX und WEB.DE sowie deren Muttergesellschaft 1&1 Mail & Media sahen hierin einen Verstoß gegen den DMA und klagten gegen Alphabet Inc. und deren deutsche Tochtergesellschaft.
Das Urteil: Weite Auslegung des Koppelungsverbots
Das Landgericht Mainz stellte einen Verstoß gegen das Koppelungsverbot gemäß Art. 5 Abs. 8 DMA fest und verurteilte die Alphabet Inc. zur Unterlassung. Die Klage gegen die deutsche Tochtergesellschaft wurde abgewiesen, da diese nicht zur Einhaltung der Vorgaben der DMA verpflichtet sei und somit die erforderliche Passivlegitimation fehle.
Nach Art. 5 Abs. 8 DMA darf der Torwächter von gewerblichen Nutzern oder Endnutzern nicht verlangen, dass sie weitere zentrale Plattformdienste abonnieren oder sich bei diesen registrieren, um zentrale Plattformdienste des Torwächters nutzen, darauf zugreifen, sich bei diesen anmelden oder sich bei diesen registrieren zu können.
Die Grundvoraussetzungen für die Anwendbarkeit der Maßstäbe des Art. 5 Abs. 8 DMA erfüllte die Alphabet Inc. Die Alphabet Inc. ist ein Torwächter und Gmail ist wegen Überschreitung der Schellenwerte aus Art. 3 Abs. 2 lit. b DMA eine zentrale Plattformdienst. Im Mittelpunkt der rechtlichen Bewertung des Landgerichts Mainz stand somit der Begriff „Verlangen“. Das Gericht legte diesen Begriff weit aus: Nicht nur formale, technisch unvermeidbare Verknüpfungen, sondern auch wirtschaftlicher oder prozessualer Druck, der die Nutzung alternativer Dienste unattraktiv macht, sind untersagt. Die Alphabet Inc. verlangte nach Ansicht des Gerichts faktisch die Registrierung bei Gmail, da andernfalls die Einrichtung des Google-Kontos und damit die Nutzung der zentralen Plattformdienste nicht sinnvoll fortgesetzt werden konnte.
Umfang der Unterlassungspflichten
Das Gericht verpflichtete die Alphabet Inc., die Einrichtung des Google-Kontos so zu gestalten, dass entweder E-Mail-Adressen alternativer Anbieter gleichberechtigt neben Gmail neu erstellt werden können oder bei Anmeldung per Telefonnummer nicht automatisch sicht- und nutzbare Gmail-Adressen generiert werden. Dabei betonte das Gericht ausdrücklich die Wahlfreiheit der Umsetzung: Der DMA schreibe keine bestimmte Maßnahme vor, sondern verbiete das unzulässige Verlangen. Die Wahl der Compliance-Option liege beim Torwächter.
Für Nutzerinnen und Nutzer mit bereits bestehender E-Mail-Adresse verneinte das Gericht einen Verstoß, da die zusätzliche Hürde eines internetfähigen Zweitgeräts für die Verifizierung nicht als unzumutbar angesehen wurde. Diese Einschätzung ist allerdings umstritten, da sie faktische Zugangsschwellen möglicherweise unterschätzt.
Implikationen für Torwächter, Wettbewerber und Prozessführung
Das Urteil setzt einen hohen Maßstab für die Prozess-Compliance von Torwächtern. Es reicht nicht aus, formale Kopplungen zu vermeiden; auch faktischer Druck oder die Unattraktivität von Alternativen können ein „Verlangen“ im Sinne des DMA begründen. Compliance-Optionen müssen echte Wahlfreiheit gewährleisten – automatische Kontoerzeugungen als „workaround“ sind unzulässig.
Für Wettbewerber zeigt das Urteil die Wirksamkeit privater DMA-Durchsetzung. Die zügige Entscheidung – rund zehn Monate bis zum Hauptsacheurteil – belegt, dass private Klagen ein effektives Korrektiv neben der Kommissionsaufsicht darstellen können.
Bemerkenswert ist auch, dass das Landgericht Mainz das Verfahren nicht zur Entscheidung durch die Europäische Kommission ausgesetzt hat. Nationale Gerichte werden Verfahren also nicht ohne Weiteres aussetzen, solange keine konkrete kollisionsfähige Kommissionsentscheidung vorliegt oder absehbar ist.
Ausblick: Feintuning und weitere Entwicklungen
Mit dem Urteil des Landgerichts Mainz liegt nun eine inhaltlich klare und in ihrer Begründung ausführliche Entscheidung vor. Diese setzt einen Standard für die Prozess-Compliance und verdeutlicht, dass deutsche Zivilgerichte die ihnen durch den DMA übertragene Rolle als Durchsetzungsinstanzen übernehmen. Dies geschieht in Abstimmung mit, jedoch nicht im Widerspruch zu den Kommissionsverfahren. Das Oberlandesgericht Köln hat erste Schritte eingeleitet, während das Landgericht Mainz diese weiter ausgeführt hat. Es ist zu erwarten, dass sich die Rechtsprechung auf diesem Gebiet kontinuierlich weiterentwickeln wird.
Fazit
Das Urteil des Landgerichts Mainz ist ein Meilenstein für die private Durchsetzung des DMA in Deutschland. Es verdeutlicht, dass Torwächter ihre Onboarding- und Identifikationsprozesse konsequent an der DMA-Logik ausrichten müssen und dass private Klagen ein wirksames Instrument zur Sicherung des Wettbewerbs auf digitalen Märkten darstellen. Die deutsche Zivilgerichtsbarkeit etabliert sich somit als maßgeblicher Akteur im europäischen Digitalrecht, insbesondere aufgrund der Entscheidung des Landgerichts Mainz, die Wirkung des Urteils nicht nur auf Deutschland zu beschränken, sondern auf ganz Europa auszuweiten.