Aktuelle Informationen zur Allgemeinverfügung der BaFin betreffend Turbo-Zertifikate
Kurzüberblick
Am 15. Oktober 2025 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Allgemeinverfügung erlassen, in der sie die Vermarktung, den Vertrieb und den Verkauf von Turbo-Zertifikaten an Kleinanleger mit Sitz in Deutschland einschränkt. Die Maßnahme tritt am 16. Juni 2026 in Kraft. Ziel ist es, den Anlegerschutz zu stärken, ohne ein vollständiges Vertriebsverbot zu verhängen.
Rechtsgrundlage für diese Maßnahme ist die Produktinterventionsbefugnis nach Art. 42 MiFIR i.V.m. § 15 WpHG. Hiernach ist die BaFin befugt, den Vertrieb bestimmter Finanzinstrumente einzuschränken, wenn diese erhebliche Risiken für Kleinanleger darstellen. Turbo-Zertifikate sind Zertifikate, die die Wertentwicklung eines Basiswerts gehebelt abbilden (wodurch der Anleger überproportional an der Kursentwicklung des Basiswerts partizipiert) und bei Erreichen einer festgelegten Knock-Out-Schwelle unmittelbar verfallen. Durch die Knock-Out-Schwelle bergen sie das Risiko eines Totalverlusts bereits bei kurzfristigem Unterschreiten dieser Schwelle – selbst wenn sich der Basiswert langfristig positiv entwickelt.
Die Maßnahme stützt sich auf eine umfangreiche Marktuntersuchung, in der zwischen 2019 und 2023 rund 74 % der Kleinanleger Verluste beim Handel mit Turbo-Zertifikaten verzeichneten. Der durchschnittliche Verlust lag pro Anleger bei 6.358 Euro. Der aggregierte Gesamtverlust beläuft sich auf über 3,4 Milliarden Euro. Die BaFin begründet ihre Maßnahme mit der hohen Komplexität, der teilweise aggressiven Vermarktungspraxis und meist unzureichenden Kenntnissen auf Anlegerseite. Durch die Maßnahme der BaFin soll beim Vertrieb von Turbo-Zertifikaten künftig ein stärkerer Fokus auf Transparenz, Aufklärung und Risikoabwägung gelegt werden.
Nach einer öffentlichen Anhörung und der Auswertung von über 20 eingegangenen Stellungnahmen wurde die Umsetzungsfrist für die neuen Regelungen von ursprünglich drei auf acht Monate verlängert, um den Instituten ausreichend Zeit für die technische und organisatorische Umsetzung zu ermöglichen. Während der Anhörung hatten die Institute insbesondere darauf hingewiesen, dass sie mehr Zeit benötigen, um die zukünftig durchzuführenden Risikowarnungen sowie Wissensabfragen zu Turbo-Zertifikaten in ihre bestehenden Handelssysteme zu integrieren. Ein vollständiges Verbot hält die BaFin nicht für notwendig; stattdessen sollen gezielte Beschränkungen zu einem besseren Schutz der Anleger beitragen.
Zentrale Erkenntnisse
Drei zentrale Schutzmaßnahmen
Die BaFin erlässt drei zentrale Schutzmaßnahmen, die alle Adressaten (Intermediäre, Emittenten und Anbieter) betreffen, die Turbo-Zertifikate an Kleinanleger in Deutschland vertreiben:
- Verpflichtende Risikowarnung:
Die Adressaten sind verpflichtet, eine standardisierte Risikowarnung anzuzeigen, diese lässt sich dem Anhang I der Allgemeinverfügung entnehmen. Aus dieser muss deutlich hervorgehen, dass sieben von zehn Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern beim Handel mit Turbo-Zertifikaten Verluste erleiden. Die Risikohinweise sind in jeder Mitteilung im Zusammenhang mit Marketing, Vertrieb und Verkauf von Turbo-Zertifikaten gut sichtbar zu platzieren. Intermediäre, Emittenten und Anbieter müssen sicherstellen, dass Dritte, die in deren Auftrag für den Handel von Turbo-Zertifikaten werben, in ihren Mitteilungen betreffend Turbo-Zertifikate ebenfalls diese Risikowarnung angeben. - Verbot von Kaufanreizen:
Den Adressaten ist es untersagt, im Zusammenhang mit dem Vertrieb, Verkauf oder der Vermarktung von Turbo-Zertifikaten gegenüber Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern jegliche Art von Vorteil anzubieten, die zum Handel mit Turbo-Zertifikaten verleiten könnten. Dieses Verbot umfasst sowohl monetäre als auch nicht-monetäre Vorteile. Beispielsweise dürfen bei Turbo-Zertifikaten weder Ordergebühren reduziert oder erlassen noch Neukundenboni gewährt werden. Analysetools, Tutorials, Schulungen oder die Bereitstellung von Börsenkursen zählen nicht zu den untersagten Vorteilen - Wissenstest:
Bevor Kleinanleger Turbo-Zertifikate erwerben, müssen sie mindestens sechs von acht Fragen, die die BaFin zum Handel mit diesen Produkten in Anhang 2 zur Verfügung stellt, beantworten. Hierdurch soll überprüft werden, ob Kleinanleger die Funktionsweise der Produkte verstehen. Anhang 2 der Allgemeinverfügung sieht vor, dass der Wissenstest im Multiple-Choice-Format zu stellen ist und welche Frage- und Antwortmöglichkeiten vorzugeben sind. Dieser Wissenstest ist mindestens alle sechs Monate zu wiederholen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Pflicht zur Durchführung der erforderlichen Angemessenheitsprüfung von der neuen Maßnahme unberührt bleibt. Die BaFin möchte ihre Maßnahme nicht als Ergänzung oder Anpassung der Angemessenheitsprüfung verstanden wissen, sondern betont, dass es sich hierbei um ein eigenes Instrument zum Schutz von Kleinanlegern handelt. Professionelle Kunden sind von dieser Pflicht ausgenommen und können weiterhin ohne Test handeln.
Umsetzungsfrist
Die Unternehmen müssen die neuen Maßnahmen bis spätestens 16.06.2026 umsetzen. Die Frist wurde nach einer Anhörung von ursprünglichen drei auf acht Monate verlängert, um den Instituten genügend Zeit für die technische und organisatorische Integration der Wissensabfragen und Risikowarnungen zu Turbo-Zertifikaten in ihre Handelssysteme zu geben.
Zentrale Überlegungen für die Praxis
Die Entscheidung hat weitreichende praktische Konsequenzen für alle Marktteilnehmer, die Turbo-Zertifikate in Deutschland anbieten.
Wie unterscheiden sich die Auswirkungen der BaFin-Maßnahme auf die verschiedenen Adressaten?
Die BaFin-Maßnahme betrifft Emittenten, Anbieter und Intermediäre von Turbo-Zertifikaten gleichermaßen, führt jedoch zu unterschiedlichen Umsetzungsanforderungen, da ihre Funktionen im Vertriebsprozess variieren. Emittenten und Anbieter sind vor allem für die Einbindung der verpflichtenden Risikowarnung in alle Marketing- und Vertriebsunterlagen verantwortlich. Intermediäre müssen darüber hinaus sicherstellen, dass Kunden vor dem Erwerb eines Turbo-Zertifikats einen Wissenstest bestehen und keine Kaufanreize erhalten. Anleger, die den Test zunächst nicht bestehen, dürfen vorübergehend keine Turbo-Zertifikate erwerben, können die Abfrage jedoch unmittelbar wiederholen. Zudem sind Intermediäre verpflichtet, die Einhaltung der Risikowarnungspflicht auch bei beauftragten Dritten zu gewährleisten.
Die Umsetzung der Allgemeinverfügung führt zu erheblichen organisatorischen und technischen Anpassungen, insbesondere verursacht durch IT-Kosten und Schulungsaufwand. Kleinere Institute sind dadurch vergleichsweise stärker belastet, eine Ausnahme wurde jedoch nicht zugelassen. Sofern Institute Turbo-Zertifikate nur an Profis vertreiben, sind sie nicht von den Maßnahmen betroffen.
Umgang mit Bestandspositionen
Für Kunden, die bereits Turbo-Zertifikate in ihrem Depot haben, hat die Allgemeinverfügung keine Auswirkungen auf die gehaltenen Produkte. Für künftige Transaktionen gilt jedoch ebenfalls die neue Zugangsvoraussetzung: Auch erfahrene Anleger müssen den Wissenstest bestehen, bevor sie weitere Turbo-Zertifikate erwerben dürfen.
Extraterritoriale Auswirkungen
Diese Maßnahme der BaFin hat explizit auch extraterritoriale Auswirkungen, da sie auf sämtliche Anbieter und Vertriebswege zielt, die Verbraucher in Deutschland erreichen, unabhängig vom Sitz des Unternehmens. Die Allgemeinverfügung der BaFin richtet sich zwar formal an einen nicht exakt definierten Adressatenkreis, umfasst jedoch auch ausländische Wertpapierfirmen, die grenzüberschreitend über das freie Dienstleistungsverkehrsrecht im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Turbo-Zertifikate an in Deutschland ansässige Kleinanleger vertreiben, vermarkten oder verkaufen. Dadurch greift die Maßnahme über nationale Grenzen hinaus und erzwingt ein einheitliches Schutzniveau für alle Kleinanleger mit Sitz in Deutschland – unabhängig davon, ob der Anbieter, Intermediär oder Emittent im In- oder Ausland ansässig ist. Die extraterritoriale Wirkung stellt sicher, dass auch ausländische Marktteilnehmer die Vorgaben einhalten müssen, wenn sie den deutschen Markt bedienen, um den Anlegerschutz konsequent durchzusetzen.
Ähnliche Maßnahmen im Ausland
Ähnliche regulatorische Entwicklungen sind bereits in anderen Ländern zu beobachten oder könnten künftig folgen, da zunehmend Wert auf den Schutz von Kleinanlegern bei komplexen Finanzprodukten gelegt wird. Insbesondere in europäischen Nachbarstaaten prüfen Aufsichtsbehörden vergleichbare Restriktionen, um Risiken für Privatanleger zu minimieren. Aufgrund erheblicher Bedenken hinsichtlich des Anlegerschutzes hat die Dutch Authority for the Financial Markets (NL-AFM) mit ihrer Produktinterventionsmaßnahme vom 30. Juni 2021 bereits die Vermarktung, den Vertrieb und Verkauf von Turbo-Zertifikaten an Kleinanleger in den Niederlanden eingeschränkt.
Ausblick
Die BaFin-Maßnahme deutet an, dass die BaFin beim Anlegerschutz vermehrt auf Prävention statt Verbote setzt. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen bei Turbo-Zertifikaten sind ein erster Schritt, deren Übertragbarkeit auf andere ähnlich komplexe Finanzprodukte abzuwarten bleibt. Es bleibt spannend zu beobachten, ob die BaFin künftig auch bei anderen Produktgruppen vergleichbare Eingriffe zum Schutz der Kleinanleger vornehmen wird.
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