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IPCEI „Biotechnologie“: Europas Schlüssel zur Stärkung der Biotech-Industrie

Verfasst von

Kerstin Rohde

Die Biotechnologie ist längst zu einer tragenden Säule für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum in Europa avanciert. Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen – von Gesundheitskrisen bis hin zu Klimaveränderungen – erkennt die Europäische Union die strategische Notwendigkeit, die heimische Biotechnologiebranche zu stärken. Mit dem geplanten IPCEI „Biotechnologie“ (Important Project of Common European Interest) setzt die EU-Kommission gezielt Impulse, um Schlüsselindustrien effektiv zu fördern und Europa im internationalen Wettbewerb zu positionieren.

Wirtschaftliche Relevanz der Biotechnologie in Europa

Die Biotechnologie ist von hoher wirtschaftlicher Bedeutung. Nach Schätzungen der EU-Kommission belief sich die globale Marktgröße der Biotechnologie 2021 auf € 720 Mrd. bei einer jährlichen Wachstumsrate von über 18 Prozent. Die USA dominierten diesen Markt mit einem Anteil von 60 Prozent, gefolgt von der Europäischen Union (12 Prozent) und China (11 Prozent). Im Jahr 2018 trug laut Schätzung der EU-Kommission die Biotechnologie in der Europäischen Union direkt € 31 Mrd. zum gesamten Bruttoinlandsprodukt bei, schuf 210.700 direkte Arbeitsplätze im Gesundheitswesen, in der Industrie und in der Landwirtschaft und unterstützte 625.700 Arbeitsplätze (indirekt und induziert) in der gesamten Wirtschaft.

Herausforderungen: Von der Regulierung bis zur Rohstoffversorgung

Laut EU-Kommission sei Europa zwar besonders stark auf dem Feld von Life Science und führt bei qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen, welche die Gesundheit, Landwirtschaft und industrielle Biotechnologie abdecken. Allerdings schafften es nur wenige Forschungsergebnisse zur Marktreife. Im Fall von unter anderem gesundheitsbezogener Biotechnologie sei die Umsetzung von Spitzenforschung in Produkte und Behandlungen in der Europäischen Union weniger erfolgreich als in den USA und China.

Ein Grund hierfür sei unter anderem die regulatorische Komplexität, mit der die europäische Biotechnologiebranche konfrontiert sei. Unterschiedliche nationale Vorgaben, langwierige Zulassungsprozesse und sich stetig wandelnde Anforderungen erschwerten die Entwicklung und Markteinführung innovativer Lösungen. Der Marktzugang  vor allem für Start-ups und KMU  sei häufig durch administrative Hürden begrenzt.

Darüber hinaus sei der Zugang zur Finanzierung stark begrenzt. Gerade risikoreiche Innovationsprojekte stießen auf eine Finanzierungslücke, denn private Investoren und Banken würden bei noch nicht marktreifen Technologien zurückhaltend agieren. Diese und weitere Herausforderungen der Biotechnologie hat die EU-Kommission identifiziert und stellt in ihrer Mitteilung „Building the future with nature: Boosting Biotechnology and Biomanufacturing in the EU“ (Biotechnologie-Mitteilung) ein Maßnahmenpaket vor, mit dem sie die europäische Biotechnologie unterstützen und fördern möchte.

IPCEI „Biotechnologie“: Ein europäisches Förderinstrument für Innovation und Markteinführung

Ein Baustein dieses Pakets ist das IPCEI „Biotechnologie“. Es ist das erste IPCEI mit ausschließlichem Fokus auf den Biotechnologiesektor. Hiermit setzt die EU-Kommission ein starkes Signal für die gezielte Unterstützung von Schlüsseltechnologien. Das Instrument ermöglicht es, staatliche Fördermittel in strategisch relevante pan-europäische Projekte zu lenken, die einen erheblichen Beitrag zur Sicherung von Lieferketten, Reduktion der Drittstaatenabhängigkeit sowie Technologieführerschaft der EU leisten. Ziel ist es, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Biotechnologie zu stärken und die Markteinführung von zukunftsweisenden Produkten und Verfahren zu beschleunigen.

Das IPCEI „Biotechnologie“ wird derzeit von 15 Mitgliedstaaten unterstützt, mit Deutschland, Finnland und Estland als Koordinatoren. Es soll insbesondere die folgenden Innovationsfelder fördern:

  • Biobasierte Chemikalien: Entwicklung alternativer, nachhaltiger Ausgangsstoffe für die Industrie, zur Erreichung der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und emissionsarme Produktion zu ermöglichen.
  • Neue Materialien: Entwicklung und Skalierung innovativer Materialien aus biologischen Quellen wie Zellulose mit Anwendungen in den Bereichen Forstwirtschaft, Automobilindustrie, Verpackung, Textil und Chemie, zur Unterstützung der strategischen Autonomie der EU, verbesserte die Ressourceneffizienz.
  • Kernkomponente für Lebens- und Futtermittel: Entwicklung von Biotechnologien in der Produktion von Proteinen und Nährstoffbestandteilen, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und nachhaltige, biotechnologische Lösungen für globale Ernährungsherausforderungen zu entwickeln.

Die Fokussierung auf diese drei Innovationsfelder habe den Vorteil, dass alle drei Ströme in integrierten Bioraffinerien koexistieren könnten, wobei jede Biomassefraktion verwertet würde und kreislauffähige, kohlenstoffarme Rohstoffe für Chemikalien, Materialien und Ernährung geschaffen würden.

Aktueller Stand und Ausblick

Derzeit befindet sich das IPCEI „Biotechnologie“ in der Entwurfs- und Konsultationsphase. Die erste Konsultationsphase wurde im August dieses Jahres abgeschlossen. Sie dient als Vorbereitung auf die Vorprüfung, das IPCEI Fiche, mit dem die EU-Kommission bewertet, ob das IPCEI das geeignete Mittel der Wahl ist, große, hochinnovative Vorhaben im Bereich der Biotechnologie voranzutreiben. Dabei werden die Pläne des IPCEI „Biotechnologie“ im Vergleich zu den ebenfalls in der Entwurfsphase befindlichen IPCEI „Critical Raw Materials“ und „Clean Connected and Autonomous Vehicles“ schneller vorangetrieben, was die Bedeutung der Biotechnologie weiter unterstreicht.

Mit Blick auf die Planungsphasen der vergangenen IPCEI erscheint ein Startschuss für das IPCEI „Biotechnologie“ in einem Jahre nicht ausgeschlossen. Umso wichtiger ist es, jetzt mögliche Projekte zu identifizieren und zu platzieren.