Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

„Betriebsverfassung keine basis-demokratische Veranstaltung“

Verfasst von

Dr. Oliver Lücke

Die Entscheidung

Die Betriebsparteien können die normative Geltung einer von ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung nicht an ein Zustimmungsquorum der Belegschaft binden.

Betriebsvereinbarungen sind privat rechtlich kollektive Normenverträge der Betriebsparteien und gelten nach dem Betriebsverfassungsgesetz unmittelbar und zwingend. Sie entfalten daher – gesetzesgleich – direkte Wirkung für die Arbeitsverhältnisse der Belegschaft. Diese Geltungsanordnung ist zwingend und entspricht dem betriebsverfassungsrechtlichen Strukturprinzip der Repräsentation der Belegschaft durch den Betriebsrat.  Aus diesen Gründen können die Betriebsparteien das Inkrafttreten einer von ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung nicht an ein zustimmendes Quorum der betroffenen Arbeitnehmer binden.. Eine derartige Verknüpfung des Inkrafttretens einer Betriebsvereinbarung mit dem Erreichen einer bestimmten Zustimmungsquote macht die Betriebsvereinbarung insgesamt unwirksam.

Der Sachverhalt

Arbeitgeber und Betriebsrat hatten das Inkrafttreten einer abgeschlossenen Betriebsvereinbarung zu Vergütungsfragen an das Erreichen einer bestimmten Zustimmungsquote der Belegschaft geknüpft, nur dann sollte die Betriebsvereinbarung ihre rechtlichen Wirkungen entfalten. Die Arbeitnehmer sollte der Betriebsvereinbarung binnen gesetzter Frist schriftlich zustimmen. Bei Erreichen oder Überschreiten des festgesetzten Quorums sollte die Betriebsvereinbarung für alle unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer gelten, einschließlich derjenigen, die nicht zugestimmt hatten und einschließlich später in den betrieb eintretender Arbeitnehmer.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat grundlegende rechtliche Aussagen zu Betriebsvereinbarungen und deren Geltungsweise und ihrer Wirkungsweise gemacht und zugleich einer erweiterten betriebs-verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen „basisdemokratischen“ Mitwirkung der Arbeitnehmer die Grundlage entzogen. Betriebsvereinbarungen können daher vom Betriebsrat selbst bei Zustimmung des Arbeitgebers nicht unter das zusätzliche „Damoklesschwert“ einer hinreichenden individuellen Zustimmung der Arbeitnehmer gestellt werden.

Begründet hat das BAG diese im Ergebnis zutreffende und zu begrüßende Entscheidung im Wesentlichen mit § 77 Abs. 6 BetrVG und der dort gesetzlich angeordneten Wirkungsweise von Betriebsvereinbarungen, die zwingendes Recht darstellt und daher nicht der Gestaltungsmacht der Betriebsparteien unterliegt. Betriebsvereinbarungen seien zwar nicht per se bedingungsfeindlich, so dass z.B. aufschiebende Bedingungen grds. durchaus in Betracht kommen. Soll das Wirksamwerden der gesamten Betriebsvereinbarung jedoch von einem (Mindest-)Zustimmungsquorum der Beleg-schaft abhängig gemacht werden, so verstoße dies gegen die normative Geltungsanordnung für Betriebsvereinbarungen und widerspräche dem betriebsverfassungsrechtlichen Strukturprinzip der Repräsentation der Belegschaft durch den Betriebsrat. Plebiszitäre Elemente bei der Normsetzung sind der Betriebsverfassung fremd. Als Repräsentant der Belegschaft ist der Betriebsrat von Weisungen oder vom Willen der Arbeitnehmer unabhängig. Er hat seine gesetzlichen Pflichten selbst zu erfüllen. Der Betriebsrat hat kein imperatives Mandat zu und auch ein Misstrauensvotum der Belegschaft wäre rechtlich von Bedeutung. Das schließt eine inhaltliche Gremienarbeit des Betriebsrats unter Berücksichtigung verlautbarter oder eruierter Belegschaftsinteressen nicht aus. 

Die Praxishinweis

Arbeitgeber müssen sich demnach nicht auf Forderungen der Betriebsratsseite nach derartigen zustimmenden Belegschaftsumfragen einlassen und sollten dies auch nicht tun, wenn ein Interesse an einer rechtswirksamen Betriebsvereinbarung besteht.

Betriebsräte können den tatsächlichen oder mutmaßlichen „Belegschaftswillen“ bei ihrer Arbeit natürlich berücksichtigen, dies muss nur auf anderem Wege geschehen, wie z.B. durch vorherige informelle Umfragen oder offizielle Mitarbeiterbefragungen (auch solche – sind jedoch nicht einschränkungslos möglich, wobei hier viele Details umstritten sind).