Aktuelle Entscheidung der EU-Kommission zu den Kriterien des DAWI-Freistellungsbeschlusses
Die EU-Kommission hat in einer aktuellen Entscheidung (SA.61014 vom 29.04.2021, veröffentlicht am 04.06.2021 im ABl. EU C 214/11) eine staatliche Finanzierung am Maßstab des Beschlusses 2012/21/EU (Freistellungsbeschluss) geprüft. Auch wenn die Entscheidung Besonderheiten vermissen lässt, ist sie doch von großer Bedeutung, weil die EU-Kommission nur selten zu Finanzierungen der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) Stellung nimmt, und weil auch diese Entscheidung zeigt, dass die EU-Kommission die Vorgaben des Freistellungsbeschlusses konsequent anwendet.
Hintergrund
Der Entscheidung der EU-Kommission liegt ein ungewöhnlicher Vorgang zugrunde, in dem der EU-Mitgliedstaat Slowenien bei der EU-Kommission eine Beihilfe in Form eines Zuschusses i.H.v. rund € 2,5 Mio. notifiziert hatte, den das Land seinem 100%-Tochterunternehmen, Slowenische Presse Agentur (STA), als Ausgleich für die Erbringung von DAWI im Jahr 2021 gewähren wollte. Auch wenn im Bereich der Daseinsvorsorgefinanzierungen Notifizierungen bei der EU-Kommission eher eine Seltenheit sind, hatte sich Slowenien aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit für die Notifizierung der Beihilfen zugunsten der STA entschieden.
Die Dienstleistungen der STA bestehen im Allgemeinen darin, der Öffentlichkeit täglich kostenfrei unabhängige und verständliche Nachrichten in den Bereichen Sport, Wirtschaft, Kultur etc. in der Landessprache zur Verfügung zu stellen. Die Nachrichten werden in Slowenisch für die Bevölkerung in Slowenien und slowenischen Minderheiten in Nachbarstaaten sowie in Englisch für in Slowenien lebende Ausländer*innen veröffentlicht.
Inhalt der Entscheidung
Die EU-Kommission weist zunächst darauf hin, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, ohne vorherige Notifizierung Beihilfen auf der Grundlage des Freistellungsbeschlusses zu gewähren, sofern die Voraussetzungen des Freistellungsbeschlusses erfüllt sind. Die EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Finanzierung zugunsten der STA den Tatbestand der staatlichen Beihilfe erfüllt, weil die STA im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Nachrichtenagenturen wie Reuters, DPA stünde, sodass die staatliche Finanzierung eine potentiell wettbewerbsverfälschende Wirkung und Binnenmarktrelevanz habe.
Die Frage der Legitimierbarkeit der Beihilfen richtet sich nach der EU-Kommission im Bereich der Daseinsvorsorge nach dem Freistellungsbeschluss. Dieser setzt insbesondere die Definition einer DAWI und die Einhaltung der in Art. 4 genannten Voraussetzungen voraus:
- Definition einer DAWI:
Die EU-Kommission betonte ausdrücklich das weite Definitionsermessen der Mitgliedstaaten bei der Ausweisung von DAWI. Der Prüfungsumfang der EU-Kommission sei in dieser Hinsicht auf die Prüfung offensichtlicher Fehler bei der Definition der DAWI beschränkt. Ein solcher Fehler läge bei der Ausweisung der Dienstleistungen der STA als DAWI nicht vor.
Die EU-Kommission verwies nicht nur auf ihre Entscheidung SA.30481 (Agence France-Press), in der bestimmte Aufgaben von Nachrichtenagenturen als DAWI eingeordnet wurden. Sie nahm auch eine Einzelfallanalyse vor und wandte die von ihr und den europäischen Gerichten entwickelten Indizien an, die für die Annahme einer DAWI sprechen. Demnach sind DAWI wirtschaftliche Tätigkeiten, die obligatorisch im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden und bei denen ein zumindest teilweises Marktversagen besteht.
In Bezug auf die konkrete Situation der STA führte die EU-Kommission hierzu aus, dass insbesondere kleinere Staaten darauf angewiesen sind, unabhängige Nachrichtenagenturen zu haben. Leistungen wie die der STA, der Bevölkerung dauerhafte, verständliche und kostenlose Nachrichten zur Verfügung stellen, dienen der Allgemeinheit und würden von rein an kommerziellen Interessen ausgerichteten Agenturen nicht erbracht werden. Damit nimmt die EU-Kommission das für die Ausweisung einer DAWI erforderliche Marktversagen an.
- Anforderungen aus Art. 4 Freistellungsbeschluss
Die EU-Kommission prüfte im Weiteren die Wahrung des Schwellenwerts von € 15 Mio. pro DAWI und pro Jahr sowie die Ordnungsgemäßheit des Betrauungsaktes, der den obligatorischen Anforderungen des Art. 4 des Freistellungsbeschlusses (Gegenstand und Dauer der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung, Unternehmen und Gebiet, Beschreibung des Ausgleichsmechanismus und Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistung, Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung Überkompensationszahlungen, Verweis auf den Freistellungsbeschluss) genügen muss.
Diese Anforderungen sind nach der EU-Kommission grundsätzlich erfüllt. Zwar fehlte in den Akten, die als Betrauungsakte identifiziert wurden, der Verweis auf den Freistellungsbeschluss. In diesem Zusammenhang wies die EU-Kommission auf die entscheidende Bedeutung dieser formalen Anforderung hin, die das Gericht der Europäischen Union in der Sache Dilly´s Wellness Hotel festgestellt hat. Auf Grund der Sonderkonstellation, dass die Beihilfe notifiziert und der Freistellungsbeschluss in dieser Entscheidung der EU-Kommission als Rechtsgrundlage genannt werde, sah die EU-Kommission die Zwecke des Verweises – Transparenz und Information – ausnahmsweise als erfüllt an.
Auch hinsichtlich der Betrauungsdauer, die nicht explizit angeführt wurde, berücksichtigte die EU-Kommission die Gesamtumstände. Die der Mittelgewährung zu Grunde liegende Grundlagenverfügung aus dem Jahr 2011 („STA Act“) wurde durch jährlich neu geschlossene Verträge implementiert und der zusätzlich herangezogene „Covid Act“ war durch die Beschränkung auf den Ausgleich von Covid-Nachteilen ebenfalls nur auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt.
Ebenfalls sah die EU-Kommission die übrigen Voraussetzungen des Art. 4 des Freistellungsbeschlusses als erfüllt an. Hinsichtlich des Ausgleichsmechanismus stellte die EU-Kommission klar, dass eine Kombination einer Vorabschätzung der Kosten der DAWI für das kommende Jahr und eines Mechanismus einer ex post-Kontrolle sicherstellen kann, dass der finale Beihilfebetrag auf das beschränkt ist, was für die Erreichung des öffentlichen Dienstleistungsziels erforderlich ist. Von wichtiger Bedeutung ist die jährliche Abschlussprüfung, innerhalb derer nachgewiesen werden kann, dass die Beihilfen nur für die übertragenen DAWI verwendet wurden. Hierzu dient die regelmäßig durchzuführende Trennungsrechnung, die eine korrekte Zuordnung aller Kosten und Einnahmen aus DAWI und eine separate Erfassung der Kosten und Einnahmen aus anderen Aktivitäten sicherstellt. Insoweit betonte die EU-Kommission, dass die Bücher des DAWI-Erbringers einen detaillierten Bericht der Quellen und der Einnahmen aus DAWI einerseits und den Marktaktivitäten andererseits beinhalten.
Im Zusammenhang mit dem erforderlichen Mechanismus zur Vermeidung einer Überkompensation nahm die EU-Kommission auf die jährliche Abschlussprüfung Bezug, in deren Rahmen ermittelt werden könne, dass die gewährten Beihilfen die Kosten der Dienstleistungen einschließlich eines angemessenen Gewinns nicht überschreiten.
Fazit
Die Entscheidung betrifft eine Ausnahmekonstellation, in der sich ein Mitgliedstaat dazu entschieden hat, eine Beihilfe trotz Freistellung von der Notifizierung zu notifizieren. Im Übrigen erhält die EU-Kommission nur vereinzelt durch Beschwerden und ex-officio-Untersuchungen Gelegenheit, sich mit DAWI-Regelungen auseinander zu setzen. Darüber hinaus hat es in der jüngeren Vergangenheit Situationen gegeben, in denen die EU-Kommission anlässlich der zweijährlichen DAWI-Berichterstattungen Untersuchungen in DAWI-Finanzierungen durchgeführt und sich dabei mit grundsätzlichen Fragen wie denen der DAWI-Definition befasst hat. Vor diesem Hintergrund hat diese Entscheidung Seltenheitswert. Die in ihr aufgeführten Aussagen der EU-Kommission stellen sich als eine dezidierte Wiedergabe und konsequente Anwendung der Vorgaben des Freistellungsbeschlusses dar. Es zeigt sich abermals: Bildet die Finanzierung einer Daseinsvorsorgeleistung / DAWI den Gegenstand einer Untersuchung oder eines Verfahrens vor der EU-Kommission oder einem nationalen oder EU-Gericht, kommt es entscheidend darauf an, ob der Finanzierungsvorgang ordnungsgemäß legitimiert ist. Dies bedeutet vor allem, dass die Finanzierung auf einen ordnungsgemäßen Betrauungsakt gestützt ist, der die Vorgaben des Freistellungsbeschlusses erfüllt. Dabei ist nicht bloß der Erlass eines Betrauungsaktes ausreichend; vielmehr ist entscheidend, ob insbesondere die Trennungsrechnung und die Überkompensationskontrollen laufend und ordnungsgemäß geführt bzw. eingehalten werden.