Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Abschlussbericht der Sektoruntersuchung zur E-Ladeinfrastruktur: Zu wenig Anbieter – staatlich bedingte Marktkonzentration

Verfasst von

Susanne Zühlke

Dr. Georg Queisner

Dr. Gerung von Hoff, LL.M. (Chicago)

Das Bundeskartellamt („BKartA“) hat am 1. Oktober 2024 seinen Abschlussbericht der „Sektoruntersuchung zur Bereitstellung und Vermarktung öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge“ (Aktenzeichen B8-28/20, nachfolgend: „Abschlussbericht“) veröffentlicht (hier abrufbar). Der Abschlussbericht vertieft die Analyse der im Sachstandsbericht vom 21. Oktober 2021 skizzierten Wettbewerbsfragen (dazu hatten wir hier berichtet) unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und zeigt auf, welchen Beitrag das Kartell- und Vergaberecht zum Aufbau und zur Sicherstellung einer wettbewerbsorientierten E-Ladeinfrastruktur leisten können. Der Abschlussbericht dürfte für folgende Akteure von besonderem Interesse sein:

  • Eigentümer von Flächen für Ladesäulen (öffentliche oder private);
  • Charge Point Operators (CPO);
  • E-Mobility Provider (EMP); 
  • Stromanbieter; Stromnetzbetreiber.

Zusammenfassung

Der Abschlussbericht identifiziert strukturelle Hindernisse für den Wettbewerb im Bereich der Ladeinfrastrukturen. Ein Hauptproblem sieht das BKartA in der hohen Konzentration von Ladepunkten bei einzelnen Betreibern. Den wesentlichen Grund hierfür sieht das BKartA in der Vergabepraxis vieler Gebietskörperschaften, geeignete öffentliche Flächen exklusiv oder bevorzugt an das eigene kommunale Stadtwerk oder einen einzelnen Anbieter zu vergeben. 

Nach Ansicht des BKartA behindert diese Vergabepraxis einen offenen und diskriminierungsfreien Marktzugang. Dies verhindere die Entstehung wettbewerblicher Angebotsstrukturen, was zu vermeidbaren Marktmachtproblemen führe. Das Resultat seien fehlende Ausweichmöglichkeiten und damit höhere Preise für Verbraucher. Hier mahnt das Bundeskartellamt eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabepraxis an.

Darüber hinaus analysiert der Bericht eine Reihe von denkbaren Missbrauchsszenarien. Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit Ladeinfrastrukturen anbieten, sollten mit diesen Szenarien vertraut sein, um diese in der Praxis frühzeitig zu erkennen bzw. diesen entgegenzuwirken.

Erfreulich ist die Schlussfolgerung, dass das zur Verfügung stehende kartellrechtliche Instrumentarium ausreichend ist, um die wettbewerbsrechtlichen Probleme zu adressieren, so dass nach Ansicht des BKartA jedenfalls kein Handlungsbedarf für zusätzliche Regulierung durch den Gesetzgeber besteht.

Im Einzelnen

Marktabgrenzung

Das BKartA beantwortet zunächst offene Fragen des Sachstandsbericht zur Abgrenzung der relevanten Märkte sowie potenzieller Segmentierungen:

  • Bereitstellung geeigneter Flächen für Ladeinfrastruktur: Private und öffentliche Flächen können laut BKartA sachlich einem einheitlichen relevanten Markt zugeordnet werden, was jedoch im Einzelfall zu prüfen sei. Räumlich wird von regional bzw. lokal begrenzten Märkten ausgegangen. Denn Kunden müssen sich für das Laden ihrer Fahrzeuge zu dem jeweiligen Ladepunkt begeben und sind dementsprechend in der Reichweite limitiert. Die konkreten Einzugsbereiche können sich je nach Ladeleistung und Lage der Flächen unterscheiden.
  • Betrieb öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur (CPO-Ebene): Das BKartA unterscheidet sachlich relevante Märkte für Normalladepunkte bis 22 kW und Schnellladepunkte über 22 kW (Unterscheidung nach Infrastrukturleistung). Räumlich sind die Märkte für Normalladepunkte lokal, die Märkte für Schnellladepunkte dagegen an Autobahnen streckenbezogen (ca. 50-60 km) bzw. abseits der Autobahnen auf eine Fahrzeit von 20-30 Minuten begrenzt.
  • Verteilung von Ladeelektrizität und Mobilitätsdiensten (EMP-Ebene): Das Ladestromangebot für Endkunden umfasst Ad-hoc-Ladeangebote der CPO sowie Ladeangebote von EMP (Anbieter von Netzwerken öffentlich zugänglicher Ladepunkte über Ladekarte oder App), die vor Ort konkurrieren. Insofern sieht das BKartA keinen Anlass zur Abgrenzung sachlich getrennter Märkte nach Ladeleistung und geht von einem bundesweiten Markt aus.

Marktstruktur und Aufgreifschwelle 

Das BKartA stellt insgesamt eine hohe Marktkonzentration im Bereich der Ladeinfrastruktur fest. Die Marktstruktur für Ladeinfrastruktur umfasst mehrere Wertschöpfungsstufen, darunter die Bereitstellung von Land, den Netzanschluss und den Betrieb von Ladepunkten. Insbesondere beim Zugang zu öffentlichen Flächen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur erkennt das BKartA Wettbewerbsprobleme. Dies führt das BKartA auf staatliche Eingriffe zurück. Staatliche Fördermaßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus und zur Verbesserung der Abdeckung der Ladeinfrastruktur werden vom BKartA zwar grundsätzlich befürwortet. Neben einem „level playing field“ für potenzielle Fördernehmer sollten stärker als bisher aber die Auswirkungen auf die Anbieterstruktur berücksichtigt werden.

Wenn ein CPO in einem lokalen Markt eine marktbeherrschende oder relativ starke Marktstellung hat, muss er sich an das kartellrechtliche Missbrauchsverbot halten. Dieses Verbot umfasst die missbräuchliche Behinderung von Wettbewerbern und eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung konkurrierender EMP. CPO konkurrieren mit EMP, falls sie Ad-hoc-Ladeangebote anbieten und somit in einer Doppelrolle zugleich als EMP auftreten.

Das BKartA sieht einen Anreiz marktmächtiger CPO, gegenüber EMP missbräuchlich überhöhte Preise durchzusetzen (Ausbeutungsmissbrauch). Zugleich erhöhe sich dann das Risiko, dass EMP – als Wettbewerber der ebenfalls als EMP agierenden CPO – beim Absatz von Ladestrom missbräuchlich behindert werden (Behinderungsmissbrauch). Wegen der Abgrenzung enger lokaler bzw. regionaler Märkte können selbst kleine CPO als marktbeherrschend eingestuft werden. Die Kartellbehörden können gegen derartige Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht einschreiten, wobei in vielen Fällen die örtlichen Landeskartellbehörden zuständig sind. Das Bundeskartellamt kann jedoch in wichtigen Fällen die Zuständigkeit übernehmen. 

Anwendbarkeit des Kartellrechts auf öffentliche Vergabepraxis

Nach der Rechtsauffassung des BKartA unterliegt die Vergabe und Einräumung von Nutzungsrechten an öffentlichen Flächen für Ladeinfrastruktur als privatwirtschaftliches Handeln dem Kartellrecht (ist also nicht hoheitliche Tätigkeit). Dies gelte auch für die Beschaffung geeigneter Flächen durch CPO, bei denen es sich um Eigenbetriebe einer Gebietskörperschaft bzw. kontrollierte Unternehmen (Stadtwerke) handelt. Bei der Zugangsgewährung für eigene kommunale Stadtwerke treten Gebietskörperschaften somit in einer Doppelrolle als Vergabestelle und direkte Konkurrenten dritter CPO auf

Im Fokus des BKartA steht die Vergabepraxis von Gebietskörperschaften mit marktbeherrschender oder marktmächtiger Stellung bei der Bereitstellung von Flächen für Ladeinfrastruktur (im Sinne des § 18 GWB bzw. § 20 Abs. 3 GWB). Einen Missbrauch dieser Stellung erkennt das BKartA, wenn Gebietskörperschaften ihre Eigenbetriebe oder verbundene Unternehmen (Stadtwerke) ohne sachlichen Grund bevorzugen. Auch ohne eigene Marktaktivität auf dem nachgelagerten Markt müssten Gebietskörperschaften eine wettbewerbskonforme und diskriminierungsfreie Vergabepraxis beachten. In diesem Kontext begrüßt das BKartA die öffentliche Ausschreibung bei der Vergabe von „Deutschlandnetz“-Standorten, warnt allerdings vor der Verdrängung bestehender oder geplanter Ladestandorte durch staatliche Preisvorgaben.

Mit Blick auf die in zahlreichen lokalen Märkten identifizierte hohe Anbieterkonzentration auf der CPO-Ebene empfiehlt das BKartA staatlichen Akteuren eine stärkere Förderung der Anbietervielfalt, beispielsweise durch Anpassungen des Loszuschnitts an die (kleinen) räumlich relevanten Märkte oder (kürzere) Befristung von Vergaben.

Missbrauchspotenzial durch Preis-Kosten-Schere

Das BKartA erkennt das Risiko, dass die Zugangsbedingungen vertikal integrierter CPO den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt (EMP-Ebene) beschränken könnten – insbesondere durch sog. Preis-Kosten-Schere. Dieser Verdacht besteht, falls ein vertikal integrierter CPO den eigenen Endkunden Ladestrom-Absatzpreise anbietet, die unterhalb der Ladestrom-Beschaffungspreise für dritte EMP liegen. 

Hinweise auf punktuell missbräuchlich überhöhte Preise (signifikante Preisunterschiede bei ähnlichen Ladegeschwindigkeiten) erachtet das BKartA als nicht hinreichend belastbar. Preisunterschiede könnten ebenso auf Kostenunterschiede bei der Bereitstellung und dem Betrieb der Ladeinfrastruktur zurückzuführen sein.

EU-Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR)

Gemäß Art. 5 Abs. 3 AFIR müssen die von den CPO festgelegten Preise gegenüber den EMP und Endkunden diskriminierungsfrei sein. Gleiches gilt gemäß Art. 5 Abs. 5 AFIR für die Endkundenpreise der EMP. CPO und EMP sind unabhängig von einer marktbeherrschenden bzw. marktmächtigen Stellung Adressaten dieses speziellen Diskriminierungsverbots. 

Jedoch plädiert das BKartA für eine AFIR-Anwendungspraxis in Übereinstimmung mit kartellrechtlichen Maßstäben. „Angemessene“ Preise i.S.d. Art. 5 AFIR dürften demnach anzunehmen sein, falls die Kosten zuzüglich einer angemessenen Gewinnspanne nicht überschreiten (entsprechend der kostenbasierten Missbrauchsprüfung im Rahmen des § 19 GWB). Strengeren Vorgaben für die Preisgestaltung, wie Preiskorridoren oder Preisobergrenzen, erteilt das BKartA eine Absage. 

Missbrauchspotenzial bei Plug & Charge

Plug & Charge-Angebote ermöglichen eine automatische Identifizierung und Abrechnung von Elektrofahrzeugen ohne zusätzliche Authentifizierungsschritte. Diese Angebote bedürfen laut BKartA im Einzelfall einer kartellrechtlichen Überprüfung, falls die Anzahl der im Plug & Charge-System hinterlegten Ladekarten auf einen spezifischen EMP beschränkt ist und das System keine einfache Integration weiterer EMP-Ladekarten zulässt.

Handlungsempfehlungen des Bundeskartellamtes

Zur Schaffung bzw. Erhaltung eines fairen und wettbewerbsfähigen Markts für E-Ladeinfrastrukturen empfiehlt das BKartA die folgende Agenda:

  • Stringente Fusionskontrollen gegen nachteilige Veränderungen der Anbieterstruktur. Im Einzelfall dürften Zusammenschlüsse aufgrund der gesetzlichen Umsatzschwellen (§ 35 GWB) und Bagatellmarktklausel (§ 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GWB) allerdings außerhalb des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle fallen.
  • Beachtung des Missbrauchsverbots durch Gebietskörperschaften) bei der Vergabe von Flächen (keine ungerechtfertigte Bevorzugung eigener oder verbundener Unternehmen, z.B. Stadtwerke); sowie durch CPO bei der Ausgestaltung von Zugangskonditionen und Preisen (§ 19, § 20 GWB, Art. 102 AEUV).
  • Beachtung des Kartellverbots durch Gebietskörperschaften bei der Vergabe von Flächen; kein unzulässiger Informationsaustausch zwischen CPO (Hub-and-Spoke) und keine unzulässigen Vertikalvereinbarungen mit CPO (z.B. Ausschließlichkeitsbindungen) (§ 1 GWB; Art. 101 AEUV).
  • Verfolgung und Ahndung von Kartellrechtsverstößen primär durch die zuständigen Landeskartellbehörden; das BKartA kann in geeigneten Fällen eingreifen (§ 49 Abs. 3 GWB).
  • Maßnahmen des Gesetzgebers und der öffentlichen Hand zur Förderung einer wettbewerblichen Anbieterstruktur, z.B. durch klare Regelungen für die Vergabe von Flächen, stärker befristete Verträge und Achtung der Chancengleichheit bei der Vergabe staatlicher Fördermittel. 

Die Eingriffsbefugnis gemäß § 32f Abs. 1 GWB – nach einer Sektoruntersuchung gemäß § 32e Abs. 1 GWB Maßnahmen zu ergreifen, um erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörungen zu beheben, oder gemäß § 32f Abs. 2 GWB Unternehmen zur Anmeldung nicht anmeldepflichtiger Zusammenschlüsse aufzufordern – hält das BKartA zum jetzigen Zeitpunkt für nicht erforderlich.

Als nicht sinnvoll erachtet das BKartA regulatorische Vorgaben zu Preisen sowie die Einführung eines regulierten Durchleitungsmodells für Ladeinfrastruktur. Nach letzterem Modell könnten EMP den Strom von einem Anbieter ihrer Wahl durchleiten lassen, was sie von den Beschaffungspreisen der CPO unabhängig machen könnte. Nach Einschätzung des BKartA ist die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge, im Gegensatz zu Strom- und Gasnetzen, jedoch kein natürliches Monopol. Zudem sei nicht erkennbar, dass ein Durchleitungsmodells zu günstigeren Ladestrompreisen führen würde, da die Amortisationskosten für die Errichtung der Infrastruktur über das Durchleitungsentgelt und letztlich von den Endverbrauchern getragen würden.

Bewertung

Die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen des BKartA im Abschlussbericht haben erhebliche praktische Relevanz, insbesondere für (öffentliche oder private) Eigentümer geeigneter Flächen sowie CPO und EMP. Das BKartA zeichnet ein detailliertes Bild der aktuellen wettbewerblichen Landschaft im Bereich der E-Ladeinfrastruktur und definiert kartellrechtliche Leitplanken:

  • Öffentliche Gebietskörperschaften sollten bei der Vergabe öffentlicher Flächen ungerechtfertigte Bevorzugungen (insbesondere der eigenen Stadtwerke) vermeiden. Andernfalls drohen Ermittlungen der zuständigen Kartellbehörden oder private Klagen auf Basis des Kartellrechts. Nach Auffassung des BKartA unterliegt die Vergabe des Zugangs zu öffentlichen Flächen für Ladeinfrastruktur – als „wirtschaftliche“ Tätigkeit – dem Kartellrecht. Diese Rechtsauffassung ist in der Rechtsprechung allerdings nicht bestätigt. 
  • Stadtwerke, die sich als CPO betätigen, sollten keine marktabschottenden Strategien verfolgen, die den Zugang konkurrierender CPO zu unverzichtbaren Vorleistungen oder zu den maßgeblichen Abnehmern von Ladestrom behindern. Dies umfasst Praktiken, die den Wettbewerb für den Absatz von Ladestrom auf nachgelagerten Märkten beeinträchtigen könnten. Unverzichtbare Vorleistungen stellen vor allem das Anbieten geeigneter Flächen oder erforderlicher Ausrüstung dar. Auch der Anschluss an das Stromnetz und gegebenenfalls die dafür notwendigen technischen Anpassungen und Netzverstärkungen sind davon umfasst. In diesem Zusammenhang sollten Stadtwerke vor allem darauf achten, konkurrierende CPO nicht durch eine unangemessene Preisgestaltung (bspw. Preis-Kosten-Schere) zu benachteiligen.
  • Marktstarke bzw. marktbeherrschende Stadtwerke sollten bei der Preisgestaltung für Ladestrom darauf achten, dass die Preise nicht die Investitions-, Kapital- und Betriebskosten unangemessen überschreiten und damit als missbräuchlich angesehen werden könnten. Eine kostenbasierte Missbrauchsprüfung erscheint notwendig, um sicherzustellen, dass die Preise wettbewerbskonform sind. 

 

Die Co-Autor:innen dieses Beitrags sind Georg Friedrich Hensel und Hanna Fuhrmann.

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