Das Bundeskartellamt veröffentlicht vorläufige Erkenntnisse im Rahmen der Sektoruntersuchung zur Ladeinfrastruktur
Das Bundeskartellamt hat am 12. Oktober 2021 seinen Sachstandsbericht der Sektoruntersuchung zur Infrastruktur bei Ladesäulen veröffentlicht. Vgl. hier.
Mit der Sektoruntersuchung verfolgt das Bundeskartellamt das Ziel, strukturelle Wettbewerbsprobleme bereits in einer frühen Marktphase des Ladeinfrastrukturaufbaus zu identifizieren. Unmittelbarer Anlass der Sektoruntersuchung waren Beschwerden von Verbrauchern und Marktteilnehmern, die auf strukturelle wettbewerbliche Defizite im Bereich der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur hindeuten.
Der Sachstandbericht ist ein Zwischenbericht, das Bundeskartellamt wird weiter mit allen Marktteilnehmern in Kontakt bleiben. Interessierte Parteien sollten mit ihren Anmerkungen allerdings nicht darauf warten, dass sie kontaktiert werden, sondern selbst pro-aktiv auf das Bundeskartellamt zugehen.
Dieser Bericht sollte unbedingt gelesen werden von:
- Öffentliche und private Eigentümer von Flächen, die für Ladesäulen geeignet sind;
- Charge Point Operators (CPOs) oder solchen, die es werden wollen;
- E-Mobility Provider (EMPs) oder solchen, die es werden wollen;
- Stromanbietern; Stromnetzbetreibern.
Dabei ist wichtig, dass das Bundeskartellamt nicht das gesamte wirtschaftliche Handeln im Rahmen des Aufbaus einer Ladeinfrastruktur regulieren kann.
- Das Bundeskartellamt kann in begrenztem Umfang öffentliche Vergabeverfahren prüfen.
- Daneben unterliegt das Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen und relativ marktstarken Unternehmen gewissen Missbrauchsschranken, u. a. Diskriminierungsverbot, u. U. Zugangsansprüche, gewisse Preisgrenzen und das Verbot von Preis-Kosten-Scheren.
- Außerdem kann es Vereinbarungen zwischen Marktteilnehmern prüften. Relevant sind hier vor allem Vereinbarungen auf verschiedenen Marktstufen, sogenannte vertikale Vereinbarungen. Das bedeutet vor allem, dass Exklusivitätsvereinbarungen ggf. auch unabhängig von Marktmacht kartellrechtlich geprüft werden können.
- Schließlich kann das Bundeskartellamt (u. U. gemeinsam mit oder parallel zur Monopolkommission) Anregungen für Regulierungsvorhaben geben.
Die wichtigsten Punkte des Sachstandberichts sind hier zusammengestellt:
Das Bundeskartellamt grenzt zunächst einen relevanten Markt für öffentlich zugängliche Flächen bzw. Ladestationen, die von nur privat zugänglichen Flächen bzw. Ladestationen (also z. B. privaten Wallboxen auf dem Grundstück oder in privaten Tiefgaragen) zu unterscheiden sind.
Mögliche weitere Unterscheidungen werden offengelassen, es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass alle diese Segmentierungen in der Zukunft Bedeutung erlangen werden:
- Private und öffentliche Eigentümer der relevanten Fläche;
- Unterscheidung nach maximaler Ladeleistung der Ladestation;
- Unterscheidung nach Standorten (Innenstadt bzw. innerörtlicher Bereich, Gebiete außerhalb der Innenstadt, Fernstraßen, Autohöfe bzw. Rastanlagen an den Bundesautobahnen).
Für die geographische Abgrenzung geht das Bundeskartellamt von den folgenden Kundengruppen aus,
- CPO sind die Kunden der öffentlichen oder privaten Grundstückseigentümer, die öffentlich zugängliche Flächen anbieten. Wichtig ist hier, dass Stromnetzbetreiber gem. § 7c ENWG nur subsidiär, nämlich bei Marktversagen, öffentliche Ladepunkte betreiben dürfen;
- EMP sind Kunden der CPO an deren Ladestationen sie ihre EMP-Leistungen anbieten;
- private oder gewerbliche Nutzer, die ad hoc Ladebedarf haben, sind ebenfalls Kunden der CPO (ad hoc Lademöglichkeit gemäß § 4 Ladesäulenverordnung);
- private oder gewerbliche Nutzer sind in der Regel auch Kunden eines oder mehrerer EMP;
Allerdings ist nach Ansicht des Bundeskartellamtes für sämtliche Kundengruppen die Austauschbarkeit von Standorten für bzw. den Betrieb von Ladestationen in der Regel regional begrenzt. Mit anderen Worten: Der Kunde hat eine begrenzte Reichweite und muss in einem gewissen Umkreis aufladen. Auch für bundesweit tätige EMP sind die einzelnen regionalen Ladepunkte grundsätzlich nicht mit Ladepunkten in anderen Regionen austauschbar. Allein das Angebot von E-Mobility-Lösungen an private oder gewerbliche Nutzer könnte nach Ansicht des Bundeskartellamtes möglicherweise eine nationale Dimension haben.
Grundsätzlich bestehen nach Ansicht des Bundeskartellamtes überzeugende Gründe für finanzielle Fördermaßnahmen des Staates, z. B. Beschleunigung des Aufbaus oder verbesserte Flächendeckung.
Bei der Ausgestaltung des Förderregimes müsse aber auf die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen geachtet werden. Hier gebe es zum Beispiel bei der gegenwärtig laufenden Ausschreibung „Deutschlandnetz“ Bedenken im Hinblick auf den Zuschnitt der einzelnen Lose, die Festlegung von Preisen oder die vollständige staatliche Übernahme des Betriebsrisikos.
Im Hinblick auf den Zugang zu geeigneten Flächen durch CPO besteht nach Ansicht des Bundeskartellamtes das wesentliche potentielle Problem darin, dass öffentliche Eigentümer Flächen in sehr langfristigen Verträgen an einen starken lokalen CPO vergeben könnten, der dann seinerseits Monopolist beim Angebot der lokalen Ladeinfrastruktur wird. Dabei ist allerdings die Vergabe an den lokalen Stromnetzbetreiber nach § 7c ENWG nur bei Marktversagen möglich.
Kartellrechtlich bestehen die folgenden Lösungsmöglichkeiten:
- Geht man z. B. davon aus, dass sich der relevante Markt auf regional verfügbare Flächen bezieht, dann können öffentliche Eigentümer durchaus relevante Marktpositionen erreichen, die die Missbrauchskontrolle durch das Bundeskartellamt auslösen können. Dies würde noch verstärkt, wenn man zusätzlich zwischen privaten und öffentlichen Eigentümern unterscheiden würde. Gleiches gilt z. B. für Konzessionsnehmer für Nebenbetriebe an Bundesautobahnen. Für sonstige private Grundstückseigentümer scheint es allerdings eher ausgeschlossen, dass diese relevante Marktanteile auch in eng begrenzten geographischen Gebieten erreichen könnten. Dabei ergeben sich vor allem zwei potentielle Missbrauchstatbestände: überhöhte (Miet-)Preise für die Flächen oder aber Diskriminierung bei der Vergabe der Flächen, z. B. durch Vergabe an bestimmte CPOs in einer Region, die dann selbst eine marktbeherrschende Stellung in dieser Region erhalten.
Für öffentliche Eigentümer gilt die Missbrauchskontrolle allerdings nur insoweit, wie der jeweilige öffentliche Eigentümer privatrechtlich handelt. Dies kann zweifelhaft sein, wenn die Flächen statt über Mietverträge hoheitlich über Sondernutzungsgenehmigungen zugewiesen werden.
- Daneben kommt für alle Verträge zwischen Marktteilnehmern (ob öffentlich oder private, mit starker Marktposition oder nicht) die kartellrechtliche Vertragskontrolle in Betracht.
- Insoweit gilt grundsätzlich die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung solange die Marktanteile der Teilnehmer der Vereinbarung jeweils 30% nicht überschreiten. Allerdings sind vor allem bestimmte Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Exklusivität nicht von der V-GVO gedeckt und können einer Einzelprüfung durch das Bundeskartellamt unterliegen. Die V-GVO gilt außerdem dann nicht, wenn einer der Teilnehmer der Vereinbarung (etwa der CPO) einen Marktanteil von 30 % oder mehr hat. In diesem Fall unterliegt der Vertrag der vollständigen Einzelüberprüfung und kann dann zur kritischen Prüfung sämtlicher Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Exklusivität und überlanger Laufzeiten führen.
- Außerdem können öffentliche Eigentümer über die Vergabe öffentlicher Flächen im Wege einer öffentlichen Ausschreibung eine diskriminierungsfreie Vergabe sicherstellen. Allerdings beanstandet das Bundeskartellamt, dass die öffentlichen Grundstückseigentümer oft andere Verfahren für die tatsächliche Flächenvergabe wählen.
- Schließlich erwägt das Bundeskartellamt, dass eine an den § 46 EnWG angelehnte Verpflichtung zur diskriminierungsfreien Vergabe von Flächen für Ladeinfrastruktur sinnvoll sein könnte. Dies würde aber eine Ergänzung durch den Gesetzgeber erfordern.
Vertragspartner hier sind die CPOs und zum einen EMPs, zum anderen aber auch die privaten oder gewerblichen Endkunden, denn CPOs müssen nach § 4 Ladesäulenverordnung Endkunden jedenfalls immer ad hoc Zugang zur Ladesäule gewähren.
Dabei sieht das Bundeskartellamt ein wettbewerbliches Problem vor allem dann, wenn ein ggf. marktbeherrschender CPO bzw. ein CPO mit relativer Marktmacht überhöhte Preise verlangt oder etwa einem oder mehreren EMPs den Zugang zu seinen Ladesäulen verweigert. Dabei hält das Bundeskartellamt das hierfür zur Verfügung stehende kartellrechtliche Instrumentarium grundsätzlich für ausreichend und sieht jedenfalls momentan keinen Handlungsbedarf für Regulierung durch den Gesetzgeber.
- Das Verbot überhöhter Preise bedeutet, dass die Preise überprüfbar sind. Allerdings sieht das Bundeskartellamt Vergleiche mit Haushaltsstrom oder gar den Mineralölpreisen nicht als sachdienlich an. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Kosten für die Schaffung der Ladeinfrastruktur.
- Daneben gilt das Diskriminierungsverbot. Das bedeutet, dass ein CPO jedenfalls zwischen EMPs nur aus sachlichen Gründen unterscheiden darf.
- Ist der CPO selbst vertikal integriert, muss er bei Vereinbarungen mit dritten EMPs immer auch das Verbot der Preis-/Kostenschere im Blick behalten. Mit anderen Worten, er darf den EMPs den Zugang nicht zu Konditionen bereitstellen, die es diesen unmöglich machen bei gleicher Effizienz auf dem EMP Markt mit dem Angebot des CPOs zu konkurrieren.
- Auch bei fehlender Diskriminierung kann der Zugang durch EMPs möglicherweise über die so genannte „essential facilities“ Doktrin geltend gemacht werden. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn die existierende Ladeinfrastruktur im gleichen geographischen Markt objektiv nicht dupliziert werden kann. Das erscheint aus Sicht des Bundeskartellamtes fraglich.
- Schließlich kommt außerdem für alle Verträge zwischen CPO und EMP die kartellrechtliche Vertragskontrolle in Betracht. Insoweit gilt grundsätzlich die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung solange die Marktanteile der Teilnehmer der Vereinbarung jeweils 30 % nicht überschreiten. Allerdings sind vor allem bestimmte Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Exklusivität nicht von der V-GVO gedeckt und können einer Einzelprüfung durch das Bundeskartellamt unterliegen. Die V-GVO gilt nicht, wenn einer der Teilnehmer der Vereinbarung (etwa der CPO) einen Marktanteil von 30 % oder mehr hat, in dem Fall unterliegt der Vertrag der vollständigen Einzelüberprüfung und kann dann zur kritischen Prüfung sämtlicher Ausschließlichkeitsbindungen bzw. Exklusivität und überlanger Laufzeiten führen.
Außerdem weist das Bundeskartellamt ausdrücklich darauf hin, dass etwaige Zusammenschlüsse oder Kooperationsvereinbarungen zwischen CPOs ggf. der deutschen Fusionskontrolle unterliegen und deshalb vom Bundeskartellamt sowohl auf die Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung als auch auf die erhebliche Verringerung wesentlichen Wettbewerbs geprüft werden könnten.
Bisher vom Bundeskartellamt nicht beachtet scheint die umgekehrte Konstellation: Ein EMP nimmt einen CPO nicht in sein Programm auf. Hier stellt sich die Frage, ob der EMP marktbeherrschend ist und der CPO deshalb Anspruch auf eine diskriminierungsfreie Beurteilung seines Zugangsbegehrens hat. Tatsächlich erscheint es allerdings, dass EMP bisher eher nicht die Größe erreicht haben, die für eine Marktbeherrschung erforderlich ist.
Moment auch nicht als problematisch thematisiert wird die Frage, welche Stromanbieter an der Ladesäule ihren Strom anbieten können. Einen allgemeinen Durchleitungsanspruch zu Ladesäulen gibt es bisher nicht. Das bedeutet, dass z. B. Stromanbieter ihren Kunden zwar als EMP die Nutzungskonditionen für eine Ladesäule vermitteln, nicht keinen Anspruch darauf haben, ihren eigenen Strom an der Ladesäule zu verkaufen.
Kunden können entweder über zu den über ihren EMP verhandelten Preisen oder zu dem (verpflichtend anzubietenden) ad hoc Ladepreis an jeder auf öffentlich zugänglichen Flächen verfügbaren Ladesäule laden. Überhöhte Preise könnten nur dann vom Bundeskartellamt oder den Landeskartellbehörden aufgegriffen werden, wenn der jeweilige EMP oder der bei ad hoc Ladungen der CPO marktbeherrschend ist oder eine entsprechende relative Marktmacht besitzt.
Wie bereits oben dargelegt, lehnt das Bundeskartellamt allerdings allgemeine Vergleiche mit dem Haushaltstrom oder gar konventionellen Treibstoffen ausdrücklich ab. Es lehnt auch die Schaffung einer Transparenzstelle (angeregt von der Monopolkommission) ab. Es erklärt jedoch, dass etwaige gesetzliche Maßnahmen sinnvoll sein könnten, die es dem Verbraucher ermöglichen, Preise für Ladestrom besser zu vergleichen.
Auch hier fehlt jede Auseinandersetzung mit etwaigen Ansprüchen von Stromanbietern, diesen an der Ladesäule anzubieten, jedenfalls dann, wenn diese nicht als EMP auftreten.
Das Bundeskartellamt wird die Auswertung der bereits gewonnenen Daten fortsetzen und weitere Befragungen von Marktteilnehmern durchführen. Interessierte Parteien sollten prüfen, ob es sinnvoll ist, zu den o.g. Punkten oder möglichen weiteren wettbewerblichen Bedenken ggf. aktiv auf das Bundeskartellamt zuzugehen.