Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes: EuGH-Urteil zum Rundholzkartell fördert Inkasso-Sammelklagen bei Kartellschadensersatz
Autoren dieses Beitrages: Malgorzata Wojtas und Heiner Mecklenburg
Mit dem Urteil vom 28. Januar 2025 im Rundholzkartell-Fall (Rs. C-253/23) hat der EuGH die Bedeutung von Inkasso-Sammelklagen für die kollektive Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen gestärkt. Der EuGH stellte klar, dass das RDG mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, solange alternative Möglichkeiten zur Bündelung von Ansprüchen bestehen oder individuelle Klagen zumutbar sind. Diese Voraussetzungen dürften gegeben sein, sodass die Zulässigkeit von Inkasso-Sammelklagen gemäß dem RDG geprüft werden kann. Die Oberlandesgerichte haben die Zulässigkeit von Inkasso-Sammelklagen im Bereich des Kartellschadensrechts bereits bestätigt. Ein Urteil des BGH steht zwar noch aus, jedoch wird nicht erwartet, dass der Kartellsenat von der Linie der Oberlandesgerichte wesentlich abweichen wird. Exponierte Unternehmen und ihre Inhouse-Abteilungen sollten daher auf einen effizienten und ressourcenschonenden Umgang mit Inkasso-Sammelklagen vorbereitet sein.
I. Relevanz der Inkasso-Sammelklagen für mittelständische und große Unternehmen im Kartellschadensrecht ist hoch
In den letzten Jahren haben sich Inkasso-Sammelklagen in Deutschland zu einem wichtigen Instrument für die kollektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen entwickelt. Ursprünglich konzipiert, um überhöhte Mieten zurückzufordern, werden sie mittlerweile auch von Fluggästen bei Flugverspätungen sowie von Käufern defekter Dieselfahrzeuge genutzt. Mit der Einführung der Abhilfeklage, die es Verbrauchern ermöglicht, gebündelte Zahlungsklagen einzureichen, dürfte die Bedeutung der Inkasso-Sammelklagen im Verbraucherschutzbereich abnehmen.
Für mittelständische und große Unternehmen fehlt es nach wie vor an einem gesetzlichen, der Abhilfeklage ähnelnden Instrument zur Bündelung ihrer Ansprüche in einer Sammelklage. Für diese Klägergruppe stellt die Inkasso-Sammelklage eine der wenigen Optionen dar, ihre Ansprüche zu bündeln, und ist daher von großer praktischer Bedeutung.
Insbesondere im Bereich des Kartellschadensrechts, wo komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge und erhebliche finanzielle Interessen eine Rolle spielen, haben sich Inkasso-Sammelklagen als bevorzugtes Instrument zur kollektiven Durchsetzung von Ansprüchen etabliert. Die rechtliche Landschaft in diesem Bereich bleibt jedoch dynamisch und für Kläger und Geschädigte damit unsicher. Im Mittelpunkt des rechtlichen Diskurses steht die Vereinbarkeit des Konstrukts der Inkasso-Sammelklage mit den Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (im Folgenden „RDG“).
Im Bereich des Kartellschadensrecht ist die Rechtslage noch nicht vollständig geklärt, da eine höchstrichterliche Entscheidung zu den Zulässigkeitskriterien für Inkasso-Sammelklagen noch aussteht. Zur Komplexität der rechtlichen Auseinandersetzung trägt im diesem Rechtsbereich die Frage der Vereinbarkeit des RDG mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz bei.
II. EuGH legt klare Kriterien für die Bejahung der Unionsrechtkonformität des Rechtsdienstleistungsgesetzes fest
Einen bedeutenden Schritt zur Klärung der Zulässigkeitsfragen der Inkasso-Sammelklagen im Bereich des Kartellschadensrechts markiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden „EuGH“) vom 28. Januar 2025 in einem durch das Landgericht Dortmund initiierten Vorabentscheidungsverfahren im Rundholzkartell-Fall (Rs. C-253/23). Das Urteil etabliert Leitplanken für die Frage, ob die bei Inkasso-Sammelklagen im Fokus stehenden Regelungen des RDG mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz vereinbar sind.
Laut EuGH widerspricht es dem im EU-Recht verankerten Effektivitätsgrundsatz, wenn die Auslegung einer nationalen Regelung (wie des RDG) bewirkt, dass mutmaßlich durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigte daran gehindert werden, ihre Schadensersatzansprüche an einen Rechtsdienstleister zur gebündelten Geltendmachung im Rahmen einer Schadensersatzklage abzutreten, falls:
- das nationale Recht keine alternative Möglichkeit zur Bündelung individueller Forderungen vorsieht, die eine wirksame Durchsetzung dieser Schadensersatzansprüche gewährleistet, und
- die Erhebung einer individuellen Klage für die Geschädigten aufgrund der Umstände des Einzelfalls unmöglich oder übermäßig schwierig ist, wodurch ihr Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beeinträchtigt würde.
Die Feststellung des Bestehens von Alternativen zu Inkasso-Sammelklagen sowie der Zumutbarkeit der Erhebung individueller Klagen obliegt dem nationalen (im entschiedenen Fall dem deutschen) Zivilgericht. Falls das deutsche Zivilgericht beide vom EuGH genannten Kriterien bejaht, wird das RDG als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen. Damit dürfte die Zulässigkeitsprüfung einer Inkasso-Sammelklage nicht mehr am Maßstab des RDG erfolgen. Falls das deutsche Zivilgericht hingegen eines der vom EuGH genannten Kriterien verneint, ist das RDG mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz vereinbar, und die Zulässigkeit kann gemäß dem RDG geprüft werden.
III. Zulässigkeitsprüfung der Inkasso-Sammelklage gemäß dem RDG ist voraussichtlich unionsrechtskonform
Die Überprüfung der durch den EuGH genannten Voraussetzungen zur unionsrechtlichen Vereinbarkeit der Regelungen des RDG durch nationale Gerichte steht noch aus.
Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung kann jedoch prognostiziert werden, dass das RDG bereits wegen der Zumutbarkeit der Erhebung von Individualklagen als unionsrechtskonform angesehen wird. Bereits das erste Kriterium, der Existenz alternativer Möglichkeiten einer gebündelten Geltendmachung von Ansprüchen, dürfte bejaht werden und gegen die Unvereinbarkeit des RDG mit dem Unionsrecht sprechen.
1. Im deutschen Recht bestehen Alternativen zur Inkasso-Sammelklage
Als Alternativen zur gebündelten Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen stehen Unternehmen die Optionen einer Streitgenossenschaft und eines echten Factorings offen:
- Die Streitgenossenschaft kann ein geeignetes Mittel zur Bündelung von Ansprüchen sein, falls zwischen den Streitgegenständen und den Klägern ein Sachzusammenhang besteht. Ob dies bei einer Vielzahl von Geschädigten der Fall ist, bleibt fraglich, insbesondere wenn diese sich in unterschiedlichen Branchen bzw. mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen betätigen und unterschiedlich groß sind.
- Das echte Factoring, also die Abtretung der Ansprüche gegen Entgelt, ist im Bereich des Kartellschadensrechts zwar möglich, aber wenig praktikabel. Die hypothetische Höhe des wettbewerbskonformen Preises lässt sich selbst durch ökonometrische Berechnungen nur annähernd bestimmen, was die Festlegung des Kaufpreises für die Ansprüche erheblich erschwert.
Dennoch: Es existieren alternative Optionen, wirtschaftlich zusammenhängende Ansprüche gebündelt geltend zu machen. Die Alternativen sind zwar begrenzt und nicht so lukrativ wie eine Inkasso-Sammelklage, aber es gibt sie.
2. Erhebung einer Individualklage ist dem Geschädigten zumutbar
Unabhängig davon, ob im deutschen Recht alternative Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes zur Verfügung stehen, ist es für Geschädigte auch zumutbar, eine Individualklage zu erheben. Es ist nicht erkennbar, dass Kläger im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen höhere Hürden zu überwinden haben als Kläger in anderen schadensersatzrechtlichen Zivilverfahren. Hierfür sorgen erhebliche Erleichterungen gemäß der aktuellen Gesetzeslage und der Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf die Darlegung der Kartellbetroffenheit und des Schadens:
a. Für Kartellbetroffenheit genügt die Darlegung einer abstrakten Möglichkeit der Schadensentstehung
Für die Kartellbetroffenheit hat der Geschädigte lediglich darzulegen, dass das wettbewerbsbeschränkende Verhalten abstrakt geeignet ist, seinen Schaden unmittelbar oder mittelbar zu begründen. Auf die Darlegung der tatsächlichen Auswirkungen des Kartells auf den Geschädigten kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – KZR 24/17 – Schienenkartell II). Es genügt also darzulegen, dass die streitgegenständlichen Produkte im zeitlichen und räumlichen Wirkbereich eines kartellrechtlichen Verstoßes bezogen wurden und somit Auswirkungen auf die Preisbildung möglich erscheinen. Es schadet nicht, dass kartellbefangene Produkte erst nach dem Ende des Verstoßzeitraums bezogen wurden. Denn auch Nachwirkungen eines Kartells zählen zu den möglichen Folgen einer Kartellabsprache (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023, KZR 46/21 – LKW-Kartell III).
Für Schadensfälle, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, bestimmt § 33a Abs. 2 Satz 4 GWB sogar eine gesetzliche Vermutung der Kartellbetroffenheit. Die beklagte Partei müsste dann darlegen, dass die streitgegenständlichen Produkte im Einzelfall – entgegen der gesetzlichen Vermutung – nicht kartellbetroffen sind.
b. Kläger kann Schadenseintritt auch ohne Schadensgutachten darlegen
Zur Darlegung eines kartellbedingten Preisschadens muss der Kläger auch kein ökonometrisches Schadensgutachten vorlegen. Es genügt, wenn er alle greifbaren Anhaltspunkte für die gerichtliche Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er ohne weiteres in der Lage ist (BGH, Urteil vom 9. Juli 2024, KZR 98/20 – LKW-Kartell IV). Dadurch können die Kosten für teure Privatgutachten vermieden werden und auch geringfügige Schäden werden einer Klage zugänglich gemacht.
Für Schadensfälle, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, wird der Schadenseintritt gemäß § 33a Abs. 1 Satz 1 GWB sogar gesetzlich vermutet, was zur Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf die Beklagtenseite führt. Sie hat nun zu beweisen, dass kein Schaden eingetreten ist.
Für Geschädigte, deren Schaden vor dem 27. Dezember 2016 entstanden ist (sog. Alt-Fälle), hat die Rechtsprechung eine tatsächliche Vermutung für die Schadensentstehung entwickelt, die auf der Annahme basiert, dass Kartelle typischerweise zu Preiserhöhungen führen. Diese Vermutung führt zwar nicht zur formalen Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast, erleichtert aber erheblich die für die Erhebung eines Sachverständigenbeweises oder den Erlass eines Grundurteils erforderliche Darlegung des Schadens. Zudem findet die tatsächliche Vermutung sehr umfassend Anwendung, sogar auf einen reinen Informationsaustausch (BGH, Urteil vom 29. November 2022, KZR 42/20 – Schlecker) und Erwerbe auf nachgelagerten Marktstufen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023, KZR 46/21 – LKW-Kartell III).
c. Nullschadensgutachten genügt nicht zur Schadenswiderlegung
Die Beklagte kann die Annahme eines Schadenseintritts (ob per tatsächlicher oder gesetzlicher Vermutung) auch nicht erschüttern oder widerlegen, indem sie lediglich ein ökonometrisches Schadensgutachten zur Nullschadenhypothese vorlegt. Derartige Regressionsanalysen, wonach nicht mit der statistisch erforderlichen Sicherheit auszuschließen ist, dass das Kartell keinen Preiseffekt hatte, stellen nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen Nachweis dafür dar, dass ein Preiseffekt und Schaden nicht eingetreten ist (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 – KZR 46/21, LKW-Kartell III). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs belege ein in Regressionsanalysen der Beklagtenseite als nicht statistisch signifikant erachteter Preiseffekt vielmehr, dass ein Schadenseintritt zumindest nicht ausgeschlossen sei. Auf Grundlage dieser (fragwürdigen) Rechtsprechung (da ein Nullschaden ökonometrisch niemals positiv feststellbar wäre) dürfte die Beklagtenseite erhebliche Schwierigkeiten haben, die Behauptung eines Schadens dem Grunde nach zu widerlegen und den Erlass eines Grundurteils abzuwenden. Dieser Umstand führt zu einer weiteren erheblichen Vereinfachung der Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen mittels einer Individualklage.
d. Passing-On-Einwand blieb bislang praktisch ausgeschlossen
Ferner hat die Rechtsprechung die Möglichkeit des Passing-on-Einwands, also der Behauptung einer Weiterwälzung etwaiger kartellbedingter Preiserhöhungen auf nachgelagerte Marktstufen, erheblich beschränkt. Insbesondere bei Streuschäden (beispielsweise bei Preiserhöhungen von ÖPNV-Tickets infolge kartellbedingt erhöhter Schienenpreise), bei denen für mittelbar Geschädigte nur geringe und schwer quantifizierbare Schadensersatzansprüche bestünden, hat die Rechtsprechung den Einwand der Vorteilsausgleichung zur Vermeidung einer Entlastung der Schädiger und im Interesse der unionsrechtlich gebotenen effektiven Durchsetzung kartellrechtlicher Verbotstatbestände ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 23. September 2020, KZR 4/19, Schienenkartell V).
3. Wegen der Zumutbarkeit von Individualklagen sind die Beschränkungen von Inkasso-Sammelklagen nach dem RDG mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar
Schon wegen der zahlreichen prozessualen Erleichterungen dürfte die Erhebung von Individualklagen für Kartellgeschädigte zumutbar sein im Sinne des zweiten EuGH-Kriteriums. Damit wären die Bestimmungen des RDG mit dem Unionsrecht vereinbar – selbst wenn das RDG einer konkreten Inkasso-Sammelklage im Einzelfall entgegenstehen könnte. Deutsche Gerichte müssten die Zulässigkeit einer Inkasso-Sammelklage also stets am Maßstab des RDG überprüfen.
IV. BGH wird Beurteilungsmaßstäbe aus dem allgemeinen Zivilrecht voraussichtlich auf Kartellschadensersatzrecht übertragen
Die Zulässigkeit von Inkasso-Sammelklagen nach dem RDG hatte der BGH bislang in Fällen in den Bereichen Mietrecht (BGH, Urteil vom 21. November 2019 – VIII ZR 285/18, Lex Fox), Fluggastrechte (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - II ZR/84/20, Airdeal) und Rechte der Erwerber von Dieselfahrzeugen (BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 – IVa ZR 418/21, financialright) zu prüfen. Die dort etablierten Beurteilungsmaßstäbe dürften für den Bereich des Kartellschadensersatzes Orientierungshilfe bieten. In den bisherigen Entscheidungen des BGH standen potenzielle Interessenkollisionen und eine etwaige Überschreitung der Inkassoerlaubnis im Fokus.
1. Interessenkonflikte sind vermeidbar
Der BGH hat festgestellt, dass das Modell der Inkasso-Sammelklagen nicht per se gegen das Verbot der Interessenkollision (§ 4 RDG) verstößt. Mögliche Interessenkonflikte sind bei einer korrekten Gestaltung der Inkasso-Sammelklage vermeidbar:
- Im Verhältnis der Geschädigten untereinander ist laut BGH entscheidend, dass die Ansprüche gleichartig sind. Es ist ausreichend, wenn sich das Inkassounternehmen bei der Annahme der Abtretung verpflichtet, nur gleichartige Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Etwaige spätere Abweichungen der Ansprüche, wie beispielsweise Verjährung oder Zeitpunkt und Art des Erwerbs, können durch eine Gruppierung oder Abtrennung der Ansprüche nach § 145 ZPO ausgeräumt werden.
- Im Verhältnis zwischen Geschädigten und Prozessfinanzierern betont der BGH die strikte Begrenzung des Einflusses des Prozessfinanziers auf den Prozessverlauf sowie die institutionelle Trennung zwischen Inkassounternehmen und Prozessfinanzierer. Auch die Begrenzung des Gewinnanteils des Prozessfinanziers wird regelmäßig überprüft. Diese Leitplanken stehen im Einklang mit Empfehlungen des EU-Parlaments vom 13. September 2022 für eine verantwortungsvolle private Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten.
2. Inkassoerlaubnis ist ausreichend
In bisherigen Urteilen hat BGH keine Überschreitung der Inkassoerlaubnis gemäß §§ 3, 10 RDG festgestellt. Weder die begrenzte Fachkenntnis des Inkassodienstleisters noch seine Fokussierung auf die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen verstießen gegen den Zweck des RDG. Für die Erfassung der Inkasso-Sammelklage durch die Inkassoerlaubnis spräche zudem das Rechtsschutzbedürfnis der Zedenten. Andernfalls wären die Abtretungen nichtig gemäß § 134 BGB und Kartellschadensersatzansprüche (mangels wirksamer Klageerhebung) möglicherweise verjährt.
3. Oberlandesgerichte haben Inkasso-Sammelklagen im Kartellschadensersatz zugelassen
Das OLG München I (Urteil vom 28. März 2024, 29 U 1319/20 Kart – LKW-Kartell) und das OLG Stuttgart (Urteil vom 15. August 2024, 2 U 30/22 – Rundholzkartell) haben die Zulässigkeit der dort streitgegenständlichen Inkasso-Sammelklagen auf dem Gebiet des Kartellschadensrechts bereits bejaht. Beide Senate bewerteten die Sachkunde des jeweiligen Inkassodienstleisters als für die Geltendmachung der komplexen Kartellschadensersatzklagen ausreichend. Dass der Prozessfinanzierer die Kosten der Prozessbevollmächtigten, der beauftragten Ökonomen, die Gerichtskosten und die gegnerischen Prozesskosten erstatte, begründe eine bloße faktische Interessenkollision, die mit dem RDG noch vereinbar sei.
Die Rechtsprechung der Instanzgerichte auf dem Gebiet des Kartellschadensrechts zeigt damit eine klare Tendenz: Inkasso-Sammelklagen dürften im Bereich des Kartellrechts grundsätzlich RDG-konform sein. Der BGH wird diese Linie nach Einschätzung der Autoren dieses Beitrags bestätigen.
V. Ausblick: Bedeutung eines innovativen Managements von Massenverfahren auf Augenhöhe mit externen Beratern wird zunehmen
Die Bewertung der Zulässigkeit von Inkasso-Sammelklagen nach den Regelungen des RDG dürfte mit dem EU-Recht vereinbar sein. Das RDG bieten Gerichten den notwendigen Rahmen, um die Rechte und Interessen der Verfahrensbeteiligten (unter Beachtung des Schutzes des Rechtsverkehrs vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen) bestmöglich auszugleichen. Aufgrund der Vielzahl der beteiligten Parteien – darunter Geschädigte, Inkassodienstleister, Prozessfinanzierer und Rechtsbevollmächtigte – wird die Prüfung potenzieller Interessenkonflikte voraussichtlich weiterhin im Fokus der deutschen Zivilgerichte stehen.
Inkasso-Sammelklagen ermöglichen nicht nur die Entlastung mutmaßlich Geschädigter von prozessualen Risiken, sondern auch die umfassende Bündelung von (Kartellschadensersatz-)Ansprüchen, ähnlich der US-amerikanischen Class Action. Dies dürfte zur Schonung gerichtlicher Ressourcen und zur Reduzierung der Durchsetzungskosten beitragen. Insgesamt ist zu erwarten, dass sich Inkasso-Sammelklagen als entscheidendes Instrument des kollektiven Rechtsschutzes und als gängige Praxis in Massenverfahren etablieren werden.
In diesem Kontext sollten exponierte Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen Möglichkeiten eines effizienten und ressourcenschonenden Umgangs mit Massenverfahren, zumal im Kartellschadensbereich, ausschöpfen. Dies umfasst nicht nur die Beauftragung geeigneter Prozessvertreter und Ökonomen, sondern vor allem auch ein effektives (technologiegestütztes) Case-Management und eine Steuerung externer Berater auf Augenhöhe.
PwC Legal AG vertritt Unternehmen bei der Abwehr unberechtigter Forderungen und gewährleistet dank integrierter KI-Lösungen ein individuell optimiertes Case-Management. Unser Team umfasst ausgewiesene Experten – darunter Kartell- und Prozessrechtsanwälte, IT-Spezialisten und Service Center – mit jahrelanger Prozesserfahrung, unter anderem im LKW-Kartell-Fall.