Gesellschaftsrecht

Handlungsinstrumente zur Krisenbewältigung ohne Insolvenzverfahren und gegen den Willen Einzelner

Verfasst von

Dr. Thorsten Ehrhard

In einer zunehmend volatilen Wirtschaftsumgebung sehen sich Unternehmen immer häufiger mit finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert, die ihre Existenz bedrohen können. Traditionell führte der Weg aus einer solchen Krise oft durch ein formelles Insolvenzverfahren, das nicht nur zeitaufwendig und kostspielig ist, sondern auch das öffentliche Ansehen eines Unternehmens erheblich schädigen kann. Das moderne Sanierungsrecht bietet Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten innovative Handlungsinstrumente, die eine Krisenbewältigung ohne die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ermöglichen - auch gegen den Willen einzelner Gläubiger.

Das zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (auch Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, kurz StaRUG) dient der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung frühzeitig eingeleiteter und gut vorbereiteter Sanierungen. Ziel des Gesetzes ist die Minderung der Kosten der Restrukturierung, die Steigerung der Erfolgschancen einer Sanierung sowie die Abwendung eines gegebenenfalls drohenden Insolvenzverfahrens. Der Fokus auf die nachhaltige Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit verdeutlicht die andere Zielsetzung des StaRUG im Vergleich zum Insolvenzverfahren, dessen Ziel gemäß § 1 der Insolvenzordnung (InsO) die bestmögliche Gläubigerbefriedigung ist.

Geschäftsleiterpflicht zur Krisenfrüherkennung und Ausgangspunkt des Restrukturierungsverfahrens

Gemäß GmbHG und AktG obliegt es den Geschäftsleitern, die Geschäfte der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu führen. Kern dieser Verantwortung ist die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und rechtzeitigen Krisenbewältigung. Vor allem § 43 GmbHG und § 93 AktG legen fest, dass Geschäftsführer und Vorstände dafür verantwortlich sind, die Liquidität und die wirtschaftliche Stabilität der Gesellschaft zu sichern. Bei Anzeichen für eine drohende Insolvenz sind sie verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Unternehmen zu sanieren. Diese Pflichten bilden den Grundstein für den Handlungsrahmen nach dem StaRUG und werden durch dieses weiter konkretisiert. Dabei bleiben die weitergehenden gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, wie § 91 Abs. 2 AktG, ausdrücklich unberührt (§ 1 Abs. 3 StaRUG).

Ausgangspunkt des Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG ist die sich abzeichnende Krise des Unternehmens. Nach § 1 Abs. 1 StaRUG begründet der Eintritt einer wirtschaftlichen Krise besondere Pflichten der zur Geschäftsführung berufenen Organe juristischer Personen (Geschäftsleiter), um einer drohenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie einer Liquidation des Unternehmens entgegenzuwirken, die sog. Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement.

Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung umfasst ausweislich der Gesetzesbegründung die fortlaufende Überwachung zur Erkennung von Entwicklungen, die den Fortbestand des Rechtsträgers gefährden können. Ein Ermessen der Geschäftsleitung zum „Ob“ der Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung besteht nach allgemeiner Ansicht nicht. Lediglich die Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung liegt im Ermessen der Geschäftsleitung (Bei der Kellen in: Harder/Kindler/Kluth, Sanierungsrecht, 1. Auflage 2024, StaRUG § 1 Rn. 16). Die Liquiditätsplanung sollte dabei unabhängig von der Unternehmensgröße mindestens 24 Monate weit reichen und kontinuierlich aktualisiert werden. Auch die Überwachung des Markt- und Wettbewerbsumfeldes kann zur frühzeitigen Erkennung von Krisen entscheidend beitragen und sollte entsprechend durchgeführt werden.

Die Pflicht zum Krisenmanagement verpflichtet die Geschäftsleitung bei Erkennung einer gefährdenden Entwicklung zur Ergreifung geeigneter Gegenmaßnahmen im Unternehmensinteresse zur Beseitigung der Krise. Zudem ist den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen unverzüglich Bericht zu erstatten und auf die Befassung anderer Organe hinwirken. Dabei hat die Geschäftsleitung die Sorgfalt ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter anzuwenden.

Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, §§ 2 ff. StaRUG

Das StaRUG erweitert die oben genannten Pflichten der Geschäftsleiter. Der zweite Teil des StaRUG (§§ 2 ff. StaRUG) trifft dabei Regelungen zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen und gibt den Geschäftsleitern spezifische Instrumente zur Stabilisierung und Restrukturierung an die Hand, um der in § 1 Abs. 1 StaRUG statuierten Pflicht nachzukommen. Der präventive Restrukturierungsrahmen erlaubt es Unternehmen, frühzeitig und noch vor Eintritt einer akuten Insolvenzgefahr Maßnahmen zur Restrukturierung zu initiieren. Dieser Rahmen umfasst insbesondere die Möglichkeit, mit wesentlichen Gläubigern Vereinbarungen zu treffen, die finanzielle Stabilität wiederherzustellen und somit die Liquidität des Unternehmens zu sichern.

Wesentliches Instrument der präventiven Sanierung nach den Vorschriften des StaRUG ist der Restrukturierungsplan (§§ 3 ff. StaRUG). Dieser beschreibt die Grundlagen und Auswirkungen der Restrukturierung und enthält alle Angaben, die für die Entscheidung der Planbetroffenen über die Zustimmung zum Plan sowie für dessen gerichtliche Bestätigung erheblich sind, einschließlich der Krisenursachen und der zur Krisenbewältigung vorzunehmenden Maßnahmen (sog. darstellender Teil, § 6 StaRUG). Zudem legt der Restrukturierungsplan fest, welche Änderungen hinsichtlich der Rechtsstellung der Inhaber der Restrukturierungsforderungen, der Absonderungsanwartschaften, der Rechte aus gruppeninternen Drittsicherheiten und der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte vorgenommen werden sollen (sog. gestaltender Teil, § 7 StaRUG).

Der Restrukturierungsplan stellt demnach ein zentrales Element dar, in dem die zur Umsetzung notwendigen Maßnahmen konkretisiert werden. Er bietet eine strukturierte Vorgehensweise bei der Umgestaltung von Verbindlichkeiten und ermöglicht es, auf eine geordnete Weise mit Gläubigern und anderen Stakeholdern zu verhandeln.

Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Restrukturierungsplan

Die im Restrukturierungsplan getroffenen Maßnahmen können grundsätzlich frei gestaltet werden. Neben den Regelungen zur Stabilisierung und Schuldenrestrukturierung gestattet das StaRUG ausdrücklich auch die Durchführung von gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen und sieht hierbei weitreichende Möglichkeiten zur Änderung des Gesellschafterkreises und zur Modifizierung gesellschaftsrechtlicher Bestimmungen vor. Diese Schritte sind relevant, um die gesellschaftsinterne Struktur an die Gegebenheiten und Bedürfnisse in der Krise anzupassen.

Das StaRUG ermöglicht es, durch Vereinbarungen im Restrukturierungsplan Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur sowie im Kreis der Gesellschafter vorzunehmen. Dabei kommen aus gesellschaftsrechtlicher Sicht insbesondere Kapitalmaßnahmen, Strukturmaßnahmen oder Satzungsänderungen in Betracht. Diese Modifikationen gestatten es Unternehmen, ihre internen Strukturen flexibel anzupassen und auf neue strategische Anforderungen in der Krisenbewältigung zu reagieren. Der Restrukturierungsplan kann auch die Umgestaltung, Neuregelung oder Übertragung von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten vorsehen. Dies kann notwendig werden, um neue Investoren an Bord zu holen oder bestehende Kapitalgeber stärker in die Verantwortung zu nehmen. Eine klassische Möglichkeit des planbasierten gesellschaftsrechtlichen Eingriffs stellt dabei der Debt-Equity-Swap dar, bei dem die Fremdkapitalgeber einen Teil ihrer Forderungen gegen Anteilsrechte an der reorganisierten Gesellschaft eintauschen. Rechtlich beinhaltet dies häufig eine Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss und Anteilsübernahme gegen Sacheinlage.

Voraussetzung ist nach der gesetzlichen Regelung des §§ 2 Abs. 3, 7 Abs. 4 StaRUG jedoch stets die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit der im gestaltenden Teil des Plans enthaltenen Regelungen.

Planabstimmung und rechtlicher Schutz der Gesellschafter

Im Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG erfahren die Anteilsinhaber des Schuldners rechtlichen Schutz in erster Linie durch das ihnen im Rahmen der Planabstimmung gewährte Stimmrecht, §§ 25 Abs. 1, 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StaRUG. Den betroffenen Gläubigern und Anteilseignern wird der Plan zur Abstimmung vorgelegt, wobei zur Annahme des Plans die Mehrheit von drei Viertel der Stimmrechte in jeder Gruppe erforderlich ist. Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten stellen dabei gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StaRUG eine Pflichtgruppe dar, die gemäß § 20 Abs. 5 S. 1 StaRUG eigenständig über den Planinhalt abstimmt.

Sofern diese Mehrheit erreicht wird, ist nach gerichtlicher Planbestätigung auch die Minderheit der Gläubiger an ihn gebunden. Sofern in einer Gruppe die erforderliche Mehrheit von 75 % der Stimmrechte nicht erreicht wird, besteht die Möglichkeit der Überwindung der Ablehnung unter den Voraussetzungen der §§ 26 bis 28 StaRUG. Dabei kann unter bestimmten Voraussetzungen eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung nach § 26 Abs. 1 StaRUG getroffen werden. Die Zustimmung dieser Gruppe wird dann fingiert (sog. Cross-Class-Cram-Down). In einem solchen Fall ist die gerichtliche Planbestätigung erforderlich.

Hier wird ein bedeutender Vorteil der Restrukturierung nach den Vorschriften des StaRUG ersichtlich, der die Effizienz und Durchsetzbarkeit von Restrukturierungsmaßnahmen signifikant erhöht: während die außergerichtliche selbstbestimmte Restrukturierung nur durch die Einstimmigkeit aller Gläubiger durchführbar ist, ermöglicht ein Vorgehen nach dem StaRUG Eingriffe in Gläubigerrechte mittels Mehrheitsentscheidung. Traditionell war die Einstimmigkeit unter den Gläubigern erforderlich, um Änderungen in den vertraglichen Verpflichtungen und Strukturen durchzusetzen, was oft eine zentrale Hürde in der Restrukturierung darstellte. Das StaRUG bricht mit diesem Erfordernis der Einstimmigkeit und ermöglicht es, Restrukturierungspläne auch dann zu verabschieden, wenn nicht alle Gläubiger im Konsens sind.

Fazit

Zusammenfassend bietet das StaRUG einen umfassenden und stark integrierten Ansatz zur Krisenbewältigung, der die im GmbHG und AktG verankerten Pflichten des Geschäftsleiters erweitert und konkretisiert. Hierbei gibt das StaRUG den Schuldnern eine Reihe von Instrumenten an die Hand, die es Unternehmen ermöglichen, finanzielle Krisen frühzeitig und effektiv zu bewältigen.

Die Restrukturierung nach den Vorschriften des StaRUG bildet dabei einen Mittelweg zwischen der außergerichtlichen selbstbestimmten Restrukturierung des Unternehmens und einer gerichtlich angeordneten Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, der für Schuldner eine attraktive Möglichkeit der Krisenbewältigung darstellen kann.

 

Autoren dieses Beitrags sind Dr. Thorsten Ehrhard und Joanna Exner.