Gesellschaftsrecht

Geschäftsleiterpflichten nach § 1 StaRUG: Entwurf eines IDW-Standards zur Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements

Verfasst von

Dr. Georg Haas

Dr. Thorsten Ehrhard

Dieser Beitrag ist Bestandteil unserer Reihe zur Organhaftung. Zuletzt ist am 20. Dezember 2024 ein Überblick unter dem Titel „Haftungsrisiken für Führungskräfte 2025“ erschienen. An die dort geschilderten Haftungsrisiken im Zusammenhang mit steigenden Insolvenzraten knüpft der hiesige Beitrag an.

Dieser Beitrag ist Bestandteil unserer Reihe zur Organhaftung. Zuletzt ist am 20. Dezember 2024 ein Überblick unter dem Titel „Haftungsrisiken für Führungskräfte 2025“ erschienen. An die dort geschilderten Haftungsrisiken im Zusammenhang mit steigenden Insolvenzraten knüpft der hiesige Beitrag an.

Organhaftung nach dem StaRUG

Zum 1. Januar 2021 ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (auch Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, kurz StaRUG) in Kraft getreten. Als wesentliche Neuerung des StaRUG muss der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen gelten, der die bewährte „Restrukturierungs-Toolbox” aus Insol-venz(plan)verfahren einerseits und außergerichtlicher Sanierung andererseits um eine Reihe weiterer Instrumente, insbesondere gerichtliche Anordnungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung (sog. Stabilisierung), ergänzt.

Gleichzeitig bringt das StaRUG für Geschäftsleiter eine Reihe von bedeutsamen Änderungen mit sich, die das Pflichtengefüge betreffen und damit zugleich mögliche Haftungsgefahren andeuten. Was die Insolvenzordnung angeht, so ist die Überleitung der Zahlungsverbote bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung aus § 64 GmbHG a.F. und aus korrespondierenden Vorschriften (§§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, §§ 130a, 177a HGB, § 99 GenG) in die rechtsformneutrale Vorschrift des § 15b InsO bedeutsam.

Geschäftsleiterpflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement

Zudem wird mit § 1 StaRUG die bereits zuvor geltende, aber nur punktuell kodifizierte Verpflichtung zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement für alle haftungsbeschränkten Unternehmensträger gesetzlich normiert. 

Nach § 1 StaRUG wachen die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können (sog. Krisenfrüherkennung). Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht (sog. Krisenmanagement). Dabei legt § 1 StaRUG nur Mindestanforderungen fest. Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, wie § 91 Abs. 2 AktG, bleiben ausdrücklich unberührt (§ 1 Abs. 3 StaRUG).

Für Verletzungen der sich aus § 1 StaRUG ergebenden Krisenfrüherkennungspflichten und der daran anknüpfenden Krisenreaktionspflicht im Vorfeld einer etwaigen Restrukturierungssache greifen die allgemeinen Haftungstatbestände des Gesellschaftsrechts wie § 93 Abs. 2 AktG für die AG und § 43 Abs. 2 GmbHG für die GmbH.

Entwurf IDW-Standard ES 16 zur Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements nach § 1 StaRUG

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat am 28. Februar 2025 den Entwurf eines IDW-Standards zur Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements nach § 1 StaRUG (IDW ES 16) veröffentlicht. Der Entwurf ist unter folgendem Link abrufbar.

Der Entwurf wurde vom Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des IDW verabschiedet und beinhaltet eine noch nicht abschließend abgestimmte Berufsauffassung. Stellungnahmen zu dem Entwurf können bis zum 12. Mai 2025 abgegeben werden.

In dem Entwurf legt das IDW vor dem Hintergrund des derzeitigen Stands der Theorie, Praxis und Rechtsprechung die Anforderungen des § 1 StaRUG an die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans haftungsbeschränkter Unternehmensträger in Bezug auf eine Krisenfrüherkennung und an das eventuelle Krisenmanagement nach § 1 StaRUG dar.

Nach § 1 StaRUG müssen die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmensträger fortlaufend über die Entwicklung des Unternehmens wachen, um den Fortbestand der juristischen Person gefährdende Risiken jederzeit erkennen zu können und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. 

Nach IDW ES 16 ist für ein frühzeitiges Erkennen fortbestandsgefährdender Risiken eine Unternehmensplanung unerlässlich, um künftige negative Ereignisse frühzeitig erkennen, mit anderen Chancen und Risiken aggregieren und bewerten zu können. Dies soll grundsätzlich unabhängig von der Rechtsform und der Größe des Unternehmens erfolgen, wobei Ausgestaltung und Umfang bei wenig komplexen Unternehmen deutlich überschaubarer seien als bei größeren Unternehmen. Angesichts der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Krise werde mit IDW ES 16 die Bedeutung und die Notwendigkeit einer angemessenen Unternehmensplanung nochmals hervorgehoben, ohne dabei überbordende Dokumentationspflichten zu statuieren.

Werden fortbestandsgefährdende Entwicklungen erkannt, ist ein Krisenmanagement erforderlich. Dabei können diese Risiken bereits vorliegen, wenn der Eintritt des dem Risiko zugrunde liegenden Ereignisses nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dieses Ereignis im Falle eines (unwahrscheinlichen) Eintritts den Fortbestand des Unternehmensträgers aber gefährden würde. Denkbar sind etwa Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten oder Großkunden, denen durch eine Diversifizierung der Lieferanten- oder Kundenstruktur strategisch entgegengewirkt werden kann. 

Spätestens wenn sich die fortbestandsgefährdenden Entwicklungen zu einer fortgeschrittenen Krise (insb. Erfolgs- oder Liquiditätskrise) verdichten, sind weitergehende Maßnahmen (z. B. Teilbetriebsschließungen, Kurzarbeit, Stundungen, Prolongationen) erforderlich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt haben die gesetzlichen Vertreter das Vorliegen von Insolvenzeröffnungsgründen zu prüfen.

Um die fortgeschrittene Krise zu überwinden, müssen die Geschäftsleiter Maßnahmen identifizieren, wie sie ausgehend vom Status quo wieder ein tragfähiges Geschäftsmodell erreichen können. Hierzu gehören u.a. die Analyse von Krisenstadium und -ursachen sowie die Identifikation von Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise sowie zur Herstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens.

Bei den vorgenannten Anforderungen an das Krisenmanagement handelt es sich um die Kernbestandteile eines Sanierungskonzeptes nach IDW S 6, auf den der Entwurf zur weiteren Konkretisierung verweist.

Einschätzung

Aus Sicht der Praxis ist der Entwurf des IDW-Standards ES 16 uneingeschränkt zu begrüßen. Der Entwurf gibt praxisnahe und rechtssichere Vorgaben zur Ausfüllung der noch jungen Vorschrift des § 1 StaRUG. 

Die Vorgaben sind zugleich wertvoll für die Konkretisierung des Pflichtenkanons des allgemeinen Gesellschaftsrechts im Hinblick auf die Krisenerkennung und -bewältigung. Zweckmäßig erscheint insbesondere die Verknüpfung der Maßnahmen des Krisenmanagements mit den bestehenden Vorgaben für das Sanierungskonzept nach IDW S6.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der neue IDW-Standard vergleichbare Maßstäbe setzen wird wie entsprechende Vorgaben des IDW für den Bereich Compliance (bspw. IDW PS 980). Mit Spannung darf erwartet werden, ob und inwieweit sich nach Ablauf der Stellungnahmefrist noch Anpassungen aufgrund von Impulsen aus Wissenschaft und Praxis ergeben werden.