Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO
Im Zuge von Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO begegnen Verantwortliche auch solchen Anträgen, die den Verdacht einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nahelegen. Für viele Unternehmen sind Fälle, in denen der Antragsteller die Informationen zur Verbesserung seiner Position beispielsweise in (vor-)gerichtlichen Verfahren, Insolvenzstreitigkeiten oder anderer Auseinandersetzungen gebrauchen möchte, besonders relevant. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum aktuellen Stand der Rechtsprechung und zeigt Handlungsoptionen auf, wie im Falle derartige Anträge vorgegangen werden kann.
Gesetzliche Ausgangslage
Grundsätzlich haben betroffene Personen nach der DSGVO ein sehr weites Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO. Dieses Recht soll den Betroffenen in die Position versetzen, sich einen Überblick dazu verschaffen, (i.) welche ihrer personenbezogenen Daten verarbeitet werden und (ii.) prüfen zu können, ob die Datenverarbeitungen rechtmäßig sind. Diese Anforderung ergibt sich aus Erwägungsgrund 63 S. 1 zur DSGVO. Jedoch bietet die DSGVO in wenigen Ausnahmen dem Verantwortlichen die Möglichkeit, dem Auskunftsanspruch nur eingeschränkt oder gar nicht nachzukommen. Von besonderer Relevanz ist Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b) DSGVO. Danach hat der Verantwortliche das Recht bei (i.) offenkundig unbegründeten oder (ii.) exzessiven Anträgen einer betroffenen Person das Auskunftsrecht zu verweigern. Ein in der deutschen Rechtsprechung anerkannter Fall der Exzessivität stellen neben der häufigen Wiederholung die rechtsmissbräuchlichen Auskunftsersuchen dar. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Judikatur zur Rechtsmissbräuchlichkeit.
Übersicht aktueller Rechtsprechung in Deutschland
Bereits im Dezember 2021 berichteten wir zu der Entscheidung des LG Detmold (Link zu unserem Beitrag), nach der eine Verweigerung des Auskunftsrechts bei Rechtsmissbräuchlichkeit gestützt werden kann. Das LG Detmold zog damals nicht den unionsrechtlich vorrangigen Anspruch aus Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO zur Begründung der Rechtsmissbräuchlichkeit heran, vielmehr stützte das LG die Rechtsmissbräuchlichkeit auf § 242 BGB.
Darüber hinaus gab es zur Auslegung des Tatbestandsmerkmal der Exzessivität in jüngster Zeit mehrere Urteile von Oberlandesgerichten, die sich mit dem Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit auseinandergesetzt haben. Hierzu zählen das OLG Hamm (Link zum Urteil), das OLG Dresden (Link zum Urteil) sowie das OLG Nürnberg (Link zum Urteil). Nach dem OLG Hamm beispielsweise fallen grundsätzlich rechtsmissbräuchliche Anträge unter Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO, bei der Auslegung der Rechtsmissbräuchlichkeit sei auch der Schutzzweck der DSGVO zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Auskunftsverlangen nach Art. 15 DSGVO ergibt sich dieser aus Erwägungsgrund 63 DSGVO. Für eine betroffene Person ist der Schutzzweck darin zu sehen, sich (i.) der Verarbeitung bewusst zu sein und (ii.) deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Sofern es einem Antragsteller aber nicht um diesen Schutzzweck gehe, stünde einem solchen Auskunftsbegehren der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit entgegen. Dieser Ansicht haben sich die Oberlandesgericht Nürnberg und Dresden – teils unter Wiederholung der Ausführungen des OLG Hamm – angeschlossen.
Eine andere Auffassung vertrat in jüngster Zeit das OLG Köln (Urt. v. 13.5.2022 – 20 U 295/21). Dessen Auffassung nach erschöpfe sich die Funktion von Art. 15 DS-GVO nicht in einer datenschutzinternen Nutzung der erlangten Informationen. Vielmehr bezwecke die Verordnung insgesamt den Schutz der Rechte und Freiheiten der Person gegen Beeinträchtigungen und Gefährdungen durch Verarbeitungen personenbezogener Daten. Dabei komme es nicht darauf an, ob die geltend gemachten Rechte und Freiheiten selbst im Datenschutzrecht oder in einer anderen Teilordnung des Rechts verankert seien. Unbedenklich und grundsätzlich zu erfüllen sei darum etwa ein Ersuchen, mit dem die betroffene Person sich Informationen zur Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens gegen den Verantwortlichen, in dem sie datenschutzexterne Ansprüche geltend machen will, beschaffen wolle.
Vorlage zum EuGH: Europarechtliche Bedenken
Der BGH hat die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit im März 2022 dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Es ist damit davon auszugehen, dass zu dieser Frage alsbald eine erste Entscheidung des EuGH ergehen wird. Der BGH scheint insbesondere an dem Hauptargument der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung der OLG Hamm, Dresden und Nürnberg Zweifel zu haben, ob es nämlich grundsätzlich dem freien Willen des Betroffenen überlassen bleiben muss, ob und aus welchen Gründen er seine Rechte aus Art. 15 DSGVO einfordert. Solange die Frage durch den EuGH nicht abschließend geklärt ist, kann jedenfalls nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden, dass die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auch zukünftig Bestand haben wird.
Handlungsoptionen für Unternehmen
Vor dem Hintergrund der aktuellen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung sollte der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO für jeden Fall sorgfältig geprüft werden. Aus den o.g. Urteilen ergeben sich eine Reihe guter Argumente, sich gegen einen solchen Auskunftsanspruch zu wehren, ohne dadurch einen Verstoß gegen die Verordnung befürchten zu müssen. In Zweifelsfällen sollten Unternehmen die Orientierungshilfen/Tätigkeitsberichte der jeweils zuständigen Datenschutzbehörde auf den Umgang mit der Exzessivität prüfen. Darüber hinaus sollte sorgfältig geprüft werden, ob eine Beauskunftung nach dem sog. Stufensystem in Betracht kommt. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieses System zur Anwendung kommt, sofern ein unpräziser Auskunftsanspruch gestellt wurde. In Fällen der Rechtsmissbräuchlichkeit dürften die Anträge in aller Regel hinreichend präzisiert sein, da ansonsten die Rechtsmissbräuchlichkeit gar nicht festgestellt werden könnte. Jedoch ist es denkbar, dass sich der Einwand nur auf Teile des Auskunftsbegehren erstreckt. Sofern der Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit erhoben wird, muss eine Dokumentation der Gründe sichergestellt werden, da den Verantwortlichen die Pflicht trifft, den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen. Darüber hinaus muss das Unternehmen der betroffenen Person mitteilen, dass der Einwand erhoben wird. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Unternehmen die o.g. ausstehende Entscheidung des EuGH zur Reichweite des Missbrauchseinwands gem. Art. 12 Abs. 5 DSGVO im Auge behalten müssen.