Gesellschaftsrecht

Die Digitalisierung zieht ins Vertragsrecht ein

Verfasst von

Dr. Thomas Wenninger, LL.M. (GWU)

Alexander Schmidt

Die Digitalisierung des Alltags schreitet mit immer größeren Schritten voran. Von Video-Streaming über Smart-Home bis zum vernetzten Pkw – digitale Produkte und Komponenten bestimmen unser Leben. Diese Entwicklung führt zu neuen rechtlichen Problemstellungen, die mit den bisher vorhandenen Regelungen nicht befriedigend gelöst werden können.

Zur Anpassung des Verbraucherschutzes an diese neuen Herausforderungen hat die EU die Digitale-Inhalte-Richtline (EU) 2019/770 sowie die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 erlassen. Beide Richtlinien werden zum 01.01.2022 in das deutsche Recht umgesetzt.

Mit den §§ 327 bis 327u BGB n.F. wird zum 01.01.2022 ein neuer Abschnitt in das BGB eingefügt, der umfassende Regelungen zu Verträgen über digitale Produkte enthalten wird. Unter anderem wird ein eigenes Regime der Leistungsstörungen geschaffen. Unter bestimmten Voraussetzungen bleibt für Waren mit digitalen Komponenten zwar das allgemeine Kaufrecht anwendbar. Dieses wurde jedoch, insbesondere hinsichtlich des Mangelbegriffs, auf die neuen Regelungen zu digitalen Produkten abgestimmt.

Im Folgenden stellen wir einige der wesentlichen Neuregelungen kurz vor:

Neue Regelungen für Verbraucherverträge über digitale Produkte

  • Anwendungsbereich und Abgrenzung zum allgemeinen Kaufrecht
    Der neue (Unter-)Titel des BGB „Verbraucherverträge über digitale Produkte“ findet auf B2C-Verträge über die Bereitstellung digitaler Produkte gegen Zahlung eines Preises Anwendung (§ 327 BGB n.F.). Bei digitalen Produkten handelt es sich um Daten, die digital erstellt und bereitgestellt werden. Auf die Art der digitalen Bereitstellung kommt es nicht an. Die Regelungen finden deshalb mit wenigen Ausnahmen auch auf Datenträger Anwendung, wenn diese ausschließlich als Träger der digitalen Inhalte dienen. Digitale Dienstleistungen stellen ebenfalls digitale Produkte dar.
    Besonders erwähnenswert ist, dass der zu zahlende „Preis“ neben Geld oder einer digitalen Darstellung des Wertes (z.B. elektronische Gutscheine oder „E-Coupons“) auch in der bloßen Bereitstellung personenbezogener Daten bestehen kann. Dadurch dürfte die praktische Relevanz der neuen Vorschriften – nicht nur im Social Media-Bereich – deutlich erweitert werden. Haben Verträge neben der Bereitstellung von digitalen Produkten auch andere Sachen oder Dienstleistungen zum Gegenstand (sogenannte Paketverträge), so finden die neuen Regelungen für digitale Produkte nur auf die digitalen Komponenten Anwendung, während im Übrigen allgemeines Kaufrecht anwendbar bleibt (§ 327a BGB n.F.). Ebenso verhält es sich, wenn Sachen digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind (z. B. Online-Funktionen eines Pkw), es sei denn, die Sache kann ihre Funktion ohne die digitalen Produkte nicht erfüllen (z. B. mobiles Navigationsgerät). In letzterem Fall ist ausschließlich Kaufrecht anzuwenden.
  • Verpflichtung zu mangelfreier Leistung
    Der Unternehmer hat die digitalen Produkte frei von Produkt- und Rechtsmängeln bereitzustellen (§ 327d BGB n.F.). Digitale Produkte sind frei von Produktmängeln, wenn sie zum Zeitpunkt der Bereitstellung bezieungsweise für den Zeitraum einer dauerhaften Bereitstellung den subjektiven (d. h. individuell vereinbarten) Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Anforderungen an die Integration in die digitale Umgebung entsprechen. Hinsichtlich der subjektiven Anforderungen nennt das Gesetz Kriterien wie etwa Eignung für eine vorausgesetzte Verwendung und Kompatibilität mit bestimmter Software oder Geräten.
    Auch in Bezug auf die objektiven Anforderungen enthält das Gesetz verschiedene Kriterien. So muss sich das digitale Produkt für die gewöhnliche Verwendung eignen oder seine Beschaffenheit, Funktionalität, Kompatibilität, Sicherheit usw. muss dem entsprechen, was ein Verbraucher bei derartigen Geräten erwarten kann. Außerdem müssen die digitalen Produkte einer vom Unternehmer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellten Testversion oder Voranzeige entsprechen und, soweit nicht anders vereinbart, in der zum Vertragsschluss neuesten verfügbaren Version bereitgestellt werden.
    Integration ist die Einbindung des digitalen Produkts in die digitale Umgebung des Verbrauchers. Den Anforderungen ist genügt, wenn die Integration sachgemäß durchgeführt wurde oder eine unsachgemäße Durchführung weder auf der Integration durch den Unternehmer noch auf einem Mangel der vom Unternehmer bereitgestellten Anleitung beruht.
  • Verpflichtung zur Aktualisierung digitaler Produkte
    Zu den objektiven Anforderungen an ein mangelfreies digitales Produkt gehört auch, dass der Unternehmer gemäß § 327f BGB n.F. Aktualisierungen des Produkts bereitstellt und den Verbraucher hierüber informiert. Diese Maßgabe stellt für Unternehmer eine einschneidende und risikoträchtige Neuregelung dar.
    Bisher waren Unternehmer weitgehend frei in der Entscheidung, ob und in welchem Umfang sie nach Gefahrenübergang weitere, vielfach kostenpflichtige Updates einer zunächst vertragsgemäßen Software anbieten. Die neue Aktualisierungspflicht reicht dagegen unter Umständen bis weit über den Gewährleistungszeitraum hinaus. Hintergrund der Regelung ist, dass die Funktionsfähigkeit und Sicherheit des digitalen Produkts auch bei späteren Änderungen der digitalen Umgebung – zu denken ist etwa an eine neue Version eines Betriebssystems – jedenfalls für einen gewissen Zeitraum aufrechterhalten werden sollen. Über die Erhaltung der „vertragsgemäßen Beschaffenheit“ hinaus besteht allerdings keine Verpflichtung zur Verbesserung digitaler Produkte im Sinne von „Upgrades“.
    Bei nicht-dauerhafter Bereitstellung digitaler Produkte, also insbesondere beim einmaligen Leistungsaustausch, besteht die Aktualisierungspflicht für einen Zeitraum, den „der Verbraucher erwarten kann“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist mit erheblicher Unsicherheit verbunden. Bei sehr langlebigen Produkten kann die Aktualisierungspflicht unter Umständen mehrere Jahre betragen. Die entsprechenden Ansprüche des Verbrauchers verjähren dabei nicht vor Ablauf von 12 Monaten nach Ende der Aktualisierungspflicht (§ 327j Abs. 3 BGB n.F.). Auch die Pflicht, den Verbraucher über Aktualisierungen zu informieren, dürfte den Unternehmer gerade bei nicht-vernetzten digitalen Produkten vor erhebliche Herausforderungen stellen.
  • Abweichende Vereinbarungen über Produktmerkmale
    Von den objektiven Anforderungen darf nur abgewichen werden, wenn (i) der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal des digitalen Produkts von den objektiven Anforderungen abweicht, und (ii) die Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde (§ 327h BGB n.F.). Der Unternehmer hat somit keine Möglichkeit, sich Abweichungen z. B. in den AGB vorzubehalten oder lediglich pauschal gehaltene Vereinbarungen zu möglichen Abweichungen zu treffen.

Änderungen im Kaufrecht

  • Neuregelung des Mangelbegriffs
    Der allgemeine Mangelbegriff des Kaufrechts wurde, auch soweit digitale Produkte nicht betroffen sind, neu geregelt und mit der Bestimmung subjektiver und objektiver Anforderungen an die neuen Regelungen zu digitalen Produkten angelehnt (§ 434 BGB n.F.). Soweit einschlägig, sind auch Montageanforderungen zu beachten, die inhaltlich vergleichbar zu den Anforderungen an die Integration digitaler Produkte geregelt wurden.
  • Abweichende Vereinbarungen
    Eine von den objektiven Anforderungen abweichende Vereinbarung ist bei Verbrauchsgüterkäufen ab 01.01.2022 nur noch möglich, wenn (i) der Verbraucher vor Abgabe seiner Willenserklärung informiert wurde, dass ein bestimmtes Merkmal von den objektiven Anforderungen abweicht und (ii) diese Abweichung ausdrücklich und gesondert im Vertrag vereinbart wird (§ 476 Abs. 1 BGB n.F.). Dabei schließen Kenntnis oder (grob) fahrlässige Unkenntnis des Käufers von dem Mangel die Mängelrechte, anders als bisher, im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs nicht länger aus, da § 442 BGB bei Verbrauchsgüterkäufen künftig keine Anwendung mehr findet (§ 475 Abs. 3 BGB n.F.).
    Gerade beim Verkauf gebrauchter Waren dürfte der Dokumentationsaufwand für Händler somit deutlich steigen. Im B2C Bereich werden Vereinbarungen wie „gekauft wie gesehen“ Mängelansprüche des Käufers auch bei offensichtlichen Mängeln künftig wohl nicht mehr ausschließen.
  • Verlängerung der Beweislastumkehr
    Der Zeitraum für die Vermutung, dass bei Verbrauchsgüterkäufen auftretende Mängel schon zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden waren, wird für die meisten Fälle von 6 Monaten auf ein Jahr verlängert (§ 477 BGB n.F.).
  • Verbrauchsgüterkauf von Waren mit digitalen Elementen
    Für Waren, die über digitalen Elemente verfügen, welche für die Funktion der Waren wesentlich sind, werden die bisherigen Regelungen zum Verbrauchsgüterkauf um spezielle Sachmängelregelungen ergänzt (§§ 475a bis 475e BGB n.F.). Diese betreffen insbesondere die auch hier bestehende Verpflichtung des Unternehmers zur Bereitstellung von Updates sowie die entsprechende Information des Verbrauchers (§ 475b Abs. 4 Nr. 2 BGB n.F.).

Fazit

Die neuen Regelungen zu digitalen Produkten werden zurecht als umfassendste Reform des BGB der letzten 20 Jahre bezeichnet. Der Gesetzgeber betritt damit Neuland, außerdem enthalten die neuen Regelungen zahlreiche auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe. Die Gerichte sind aufgerufen, damit einhergehende Unsicherheiten durch richtungsweisende Entscheidungen zu verringern.