Neues zum sog. „Herausformwechsel“: Analoge Anwendung der Vorschriften für grenzüberschreitende Verschmelzungen nach §§ 122a ff. UmwG
Das OLG Saarbrücken hat mit Beschluss vom 7. Januar 2020 (Az. 5 W 79/19) entschieden, dass die Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung nach § 122a ff. UmwG auf einen identitätswahrenden grenzüberschreitenden Formwechsel einer deutschen GmbH in das EU-Ausland analog anzuwenden sind. Das OLG misst insbesondere der neuen EU-Richtlinie, die bisher nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, Vorwirkung zu.
Hintergrund
Ein grenzüberschreitender Formwechsel ermöglicht Gesellschaften ihren Satzungssitz unter Wahrung ihrer Identität (d.h. ohne Auflösung und Neugründung der Gesellschaft) innerhalb der EU in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern. Diese Möglichkeit des Zu- bzw. Wegzugs einer Gesellschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen ist bislang in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Die neue Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen (Richtlinie (EU) 2019/2121 zur Änderung der Gesellschaftsrechtsrichtlinie (EU) 2017/1132, nachfolgend „EU-Richtlinie“), die u.a. die Möglichkeit und die Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels regelt, ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Sie muss jedoch erst bis zum 31. Januar 2023 in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Rechtspraxis beruft sich daher bei grenzüberschreitenden Formwechseln auf die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit. Der EuGH hat in mehreren Urteilen entschieden, dass sowohl der sog. Hereinformwechsel, als auch der sog. Herausformwechsel grundsätzlich zulässig sind. Auf dieser Grundlage wurden in Deutschland in den letzten Jahren zahlreiche grenzüberschreitende Formwechsel zugelassen und im Handelsregister eingetragen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl deutscher Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Zulässigkeit bzw. den Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels befassen. In der deutschen Literatur und Rechtsprechung ist man sich weitgehend einig, dass bei der Umsetzung eines grenzüberschreitenden Formwechsels die Vorschriften über den inländischen Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) entsprechend anzuwenden sind. Jedoch wird im Fall des sog. Herausformwechsels diskutiert, ob ergänzend nicht auch Vorschriften zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern, wie insbesondere in den Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) oder grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer europäischen Aktiengesellschaft, der sog. SE (Art. 8 SE-VO, Art. 12 ff. SEAG), niedergelegt, entsprechend anzuwenden sind.
Entscheidung
Zu dieser Fragestellung hat das OLG Saarbrücken in seinem Beschluss vom 7. Januar 2020 im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer deutschen GmbH in die Rechtsform einer französischen Kapitalgesellschaft Stellung genommen. Das zuständige Handelsregister in Deutschland hatte die Anmeldung des Formwechsels u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass der Entwurf des Formwechselbeschlusses mangels Bekanntmachung analog § 122d UmwG nichtig sei. Es seien wesentliche nationale Schutzvorschriften, die bei zutreffender europarechtskonformer Auslegung anzuwenden gewesen wären, unbeachtet geblieben.
Das OLG Saarbrücken hat sich in seinem Beschluss der Auffassung des Registergerichts angeschlossen und entschieden, dass aufgrund fehlender nationaler Vorschriften zum grenzüberschreitenden Formwechsel, eine analoge Anwendung der Vorschriften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) mit Blick auf den Schutz von Gläubigern und Arbeitnehmern zwingend erforderlich sei. Das Gericht weicht damit von der bisher existierenden (obergerichtlichen) Rechtsprechung ab, die im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels ausschließlich die §§ 190 ff. UmwG anwendet.
Das Gericht stützt seine Auffassung dabei u.a. auf die EU-Richtlinie, welche in ihrem Art. 86g eine dem § 122d UmwG vergleichbare Regelung vorsieht. Damit misst das Gericht der EU-Richtlinie eine Vorwirkung zu, obwohl der Formwechselbeschluss hinsichtlich des Wegzugs der GmbH aus Deutschland nach Frankreich vor dem Inkrafttreten der Richtlinie am 1. Januar 2020 gefasst wurde.
Praxishinweis
Eine in der Rechtspraxis erhoffte Klärung der im Zuge der Umsetzung von grenzüberschreitenden Formwechseln bestehenden Unsicherheiten, bringt der Beschluss des OLG Saarbrücken nicht. Im Gegenteil, der Beschluss vertieft die bestehende rechtliche Ungewissheit. Neben der bereits vor dem Beschluss des OLG Saarbrücken zu lösenden Rechtsfrage zur (analogen) Anwendbarkeit nationaler Vorschriften, gilt es nun zusätzlich zu hinterfragen, inwieweit die noch nicht umgesetzten Vorschriften der EU-Richtlinie bei der Implementierung von grenzüberschreitenden Formwechseln (oder anderen grenzüberschreitenden Transaktionen) zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund wäre es zu begrüßen, wenn der deutsche Gesetzgeber die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie nicht voll ausschöpfen und zeitnah verlässliche nationale Regelungen implementieren würde. Bis es so weit ist, heißt es für die Beraterpraxis (weiterhin), sich im Vorfeld der Umsetzung des geplanten Formwechsels, eng mit dem zuständigen Registergericht abzustimmen.