Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Änderung der AGVO zur Förderung und Beschleunigung des „Green Deal“

Verfasst von

Dr. Simone Merkl

Die EU-Kommission hat am 9. März 2023 die schon länger angekündigte jüngste Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) erlassen. Die neue Fassung wird derzeit in alle Amtssprachen übersetzt und in Kürze im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie wird am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft treten.

Im Grundsatz müssen staatliche Beihilfen gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV von den Mitgliedsstaaten bei der EU-Kommission angemeldet werden. In Abweichung hierzu stellt die AGVO unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Gruppen von Beihilfen von der Anmeldepflicht bei der EU-Kommission frei und erklärt sie für mit dem Binnenmarkt vereinbar. Die AGVO hat sich im Laufe der Jahre zu einem der wichtigsten und inhaltlich aktuellsten Instrumente im EU-Beihilfenrecht entwickelt, wie auch die nachfolgenden Änderungen verdeutlichen.

Zahlreiche Änderungen im Überblick

In Übereinstimmung mit den aktuellen Zielen des „European Green Deal“ und zur Anpassung an mehrere kürzlich aktualisierte Beihilfeleitlinien enthält die AGVO-Novelle mehrere überarbeitete oder neu geschaffene Beihilfetatbestände und Schwellenwerte. Zudem wurde damit auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine und auf die Inflation reagiert:

  • Vereinfachungen für Umweltschutz- und Energiebeihilfen zur Förderung Erneuerbarer Energien, Energieeffizienz, Dekarbonisierung, umweltfreundliche Mobilität und Biodiversität durch neue und überarbeitete Tatbestände in Kapitel III Abschn. 7: So werden z.B. mit Art. 36b und Art. 38a neue Tatbestände für die Beschaffung bzw. Umrüstung von emissionsarmen Fahrzeugen und Gebäudesanierungen geschaffen.
  • Signifikante Erhöhung der Anmeldeschwellen für Umweltbeihilfen und Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation:  Allgemeine Investitionsmaßnehmen für den Umweltschutz (Art. 4 Abs. 1 lit. s) können künftig mit 30 Mio. € statt mit 15 Mio. € anmeldefrei finanziert werden. Ferner werden für spezifische neu geschaffene Investitionsmaßnahmen die Anmeldeschwellen hoch angesetzt (z.B. für E-Ladeinfrastruktur oder Gebäudeenergieeffizienz bei 30 Mio. €).
  • Pauschaler Inflationsausgleich: Darüber hinaus werden zwecks Inflationsausgleichs zahlreiche AGVO-Anmeldeschwellen in Art. 4 Abs. 1 pauschal um 10% angehoben, z:B. die Anmeldeschwelle für KMU-Investitionsbeihilfen (Art. 4 Abs. 1 lit. c) ab 8,25 Mio. statt bisher 7,5 Mio. €.
  • Neue Freistellungstatbestände für Maßnahmen der Mitgliedsstaaten zur Regulierung der Energiepreise (neue Art. 19c und 19d): Dies betrifft insbesondere die Deckelung der Verbraucherpreise für Strom, Gas und daraus gewonnene Wärme sowie Einmalzahlungen an KMUs und Kleinstunternehmen.
  • für mehr Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen eine deutliche Anhebung der Anmeldeschwellen für Ausbildungsbeihilfen auf 3 Mio. statt bisher 2 Mio. € pro Ausbildungsmaßnahme (Art. 4 Abs. 1 lit. n).
  • Erhöhung der Anmeldeschwellen und Beihilfeintensitäten (um 25%) für bestimmte Forschungs- und Entwicklungsprojekte (Art. 25), an denen Beihilfeempfänger aus verschiedenen Mitgliedsstaaten teilhaben, speziell zur Förderung von Vorhaben im gemeinsamen Europäischen Interesse („Important Projects of Common European Interest - IPCEI“)
  • Klarstellung und Vereinfachung der Tatbestände für Risikofinanzierungsbeihilfen für KMU und Start-Ups sowie für aus dem Fonds „InvestEU“ geförderte Finanzprodukte.
  • Verlängerung der Geltungsdauer der AGVO bis Ende 2026.

Außerdem werden die Schwellenwerte für Veröffentlichungspflichten über Einzelbeihilfen in Art. 9 Abs. 1 lit. c), die im Umfang über die Anforderungen des Art. 11 hinausgehen (sog. TAM-Meldung), deutlich herabgesetzt. Insbesondere müssen reguläre Einzelbeihilfen bereits ab 100.000 € (statt bisher 500.000 €) gemäß Annex III veröffentlicht werden. Das bedeutet in der Praxis, dass im Grunde mit jeder AGVO-Anmeldung nach Art. 11 AGVO auch eine TAM-Meldung erforderlich wird.

Fazit und Ausblick

Gemeinsam mit der AGVO werden auch die Kriterien im „Temporary Crisis and Transition Framework – TCTF“ neu aufgestellt, unter denen Beihilfen zur Bewältigung der Energiekrise außerhalb des Anwendungsbereiches der AGVO genehmigungsfähig sind (siehe unseren Blogbeitrag unter https://legal.pwc.de/de/news/fachbeitraege/dritte-aenderung-des-befristeten-krisenrahmens-tctf-hohe-foerderungen-fuer-schluesselsektoren-moeglich).

Damit ist und bleibt die AGVO eine der grundlegenden Regelungen des EU-Beihilfenrechts. Die aktuellen Änderungen fördern maßgeblich Investitionen in den Klimaschutz und stärken die Mitgliedsstaaten bei der Reaktion auf Inflation und Versorgungskrisen. In diesen Bereichen zeigt die AGVO einfache Wege für Beihilfen ohne den erschwerenden Gang nach Brüssel auf. Gleichzeitig wird die Transparenz von Beihilfen durch strengere TAM-Meldepflichten verschärft. Auch wenn die AGVO-Änderungen vorrangig auf die rasche Verwirklichung kleinerer, „Green Deal“-verwandter innovativer Projekte zielen, werden sie für staatliche Förderstellen auch eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 sowie des Ukraine-Krieges spielen.