Wegweisende Urteile des EuGH zur Auslegung der AGVO – „Dilly’s Wellnesshotel I und II“
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinen Urteilen zu „Dilly’s Wellnesshotel“ wichtige Feststellungen zur Auslegung der AGVO (VO Nr. 651/2014) getroffen. Das Urteil vom 21.07.2016 (C-493/14, „Dilly’s Wellnesshotel I“) ist inzwischen bereits bekannter, das im November letzten Jahres getroffene Urteil vom 14.11.2019 (C-585/17, „Dilly’s Wellnesshotel II“) hingegen weniger.
Hintergrund
In den Verfahren geht es um einen österreichischen Dienstleister, die Dilly’s Wellnesshotel GmbH, die beim zuständigen österreichischen Finanzamt die Vergütung von Energieabgaben verlangte. Sie berief sich auf eine österreichische Regelung, die eine derartige Vergütung für bestimmte Betriebe vorsah und auf Art. 25 VO Nr. 800/2008 („Beihilfen in Form von Umweltsteuerermäßigungen“), der Vorgängerfassung der AGVO gestützt wurde. In der aktuellen Fassung der AGVO findet sich die entsprechende Regelung in Art. 44 AGVO.
Das Finanzamt lehnte den Antrag der Dilly’s Wellnesshotel GmbH ab, woraufhin diese Klage beim Finanzgericht erhob. Das österreichische Bundesfinanzgericht und der österreichische Verwaltungsgerichtshof als oberste Instanz in Verwaltungsangelegenheiten hatten über den Fall zu entscheiden und ersuchten wegen einzelner Fragen zur Auslegung der AGVO eine Vorabentscheidung beim EuGH.
Dilly’s Wellnesshotel I: Einhaltung formaler Voraussetzungen zwingend
In dem ersten Urteil vom 21.07.2016 stellte der EuGH grundlegend klar, dass die formalen Voraussetzungen, die in Art. 3 AGVO aufgeführt sind, zwingend einzuhalten sind und keine bloße Formalität darstellen. Die Freistellungswirkung der AGVO greift deswegen nur, wenn auch die formalen Anforderungen erfüllt sind. Der EuGH begründete dies damit, dass die AGVO und die von ihr vorgesehenen Voraussetzungen eine Ausnahme von der allgemeinen Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV darstellen und als Ausnahme von der allgemeinen Regel eng auszulegen sind. Auch die formalen Voraussetzungen dienten der Transparenz, der Rechtssicherheit und damit der wirksamen Beihilfenkontrolle. Im konkreten Fall führte das Fehlen eines ausdrücklichen Verweises auf die AGVO unter Angabe des Titels sowie auf die Fundstelle im Amtsblatt der EU in der österreichischen Regelung dazu, dass der EuGH die Anforderungen der AGVO als nicht erfüllt ansah.
Diese Anforderungen können nach der Rechtsprechung auch nicht nachgeholt werden. So genügte es nicht, dass die österreichische Regierung eine nachträgliche Durchführungsmaßnahme erließ, mit der sie dem fehlenden Verweis auf die AGVO abhelfen wollte und diese Maßnahme bei der EU-Kommission anmeldete.
Dilly’s Wellnesshotel II: Änderungen bei bestehenden Beihilfen und rückwirkende Anwendung der AGVO
In dem zweiten Urteil vom 14.11.2019 ging es um die Klärung spezifischer Einzelfragen rund um die AGVO:
Erstens stellte der EuGH klar, dass eine Änderung einer Beihilferegelung, die den Empfängerkreis verkleinert, grundsätzlich der Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV unterliegt. Zum einen ergebe sich aus den allgemeinen AGVO-Bestimmungen, dass der Begriff der neuen Beihilfen auch solche umfasst, die die Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe zum Inhalt haben. Zum anderen habe eine Änderung der Kriterien auch Auswirkung auf die Frage, ob tatbestandlich eine Beihilfe vorliegt. Voraussetzung einer Beihilfe ist nämlich, dass die Maßnahme bestimme Unternehmen oder Produktionszweigen begünstigt und dadurch den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht. Ob eine solche wettbewerbsverfälschende Begünstigung von Unternehmen auch nach Änderung des Empfängerkreises noch vorliegt, müsse erst noch geprüft werden. Die vorherige Anmeldung einer solchen Änderung bei der EU-Kommission ermögliche gerade die Prüfung, ob dies der Fall sei.
Zweitens stellte das Gericht klar, dass die AGVO auch die vor dem 1. Juli 2014 und damit vor Inkrafttreten der heute geltenden AGVO gewährten Beihilfen von der Notifizierungspflicht freistellen kann, sofern diese Beihilfen alle Voraussetzungen der AGVO mit Ausnahme des Art. 9 AGVO erfüllen. Das entspricht der Übergangsvorschrift des Art. 58 Abs. 1 AGVO und gibt diese – streng genommen – nur wieder. Interessant sind jedoch die Ausführungen des EuGH in diesem Zusammenhang: Er macht deutlich, dass die neu gefasste AGVO eng auszulegen sei und nimmt dabei Bezug auf sein erstes Urteil in dieser Sache. Damit bekräftigt er seine dort getroffene Grundsatzfeststellung.
Die dritte Feststellung in dem Urteil betrifft die Berechnung der Ausgleichsleistungen. Der EuGH führt aus, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten bei der Berechnung von Ausgleichsleistungen, hier im Zusammenhang mit Art. 44 Abs. 3 AGVO, einen gewissen Spielraum einräume. Wesentlich sei nur, dass der Gesetzgeber den Behörden eine feste Berechnungsformel bzw. festen Berechnungsmechanismus zur Hand gäbe und diese die Beträge nicht frei bestimmten. Dies ergebe sich aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit.
Praxishinweis
Die AGVO ist mit ihrem weiten Anwendungsbereich und der von ihr erfassten vielen Beihilfegruppen auf einem guten Weg, zu einem der wichtigsten Instrumente des EU-Beihilfenrechts zu werden. Sie ist eine erhebliche Erleichterung der rechtskonformen Gestaltung öffentlicher Finanzierungen, vor allem im Infrastrukturbereich. Dieser Vorteil wird indes begleitet durch einen hohen Sorgfaltsmaßstab bei der Einhaltung der AGVO-Voraussetzungen. Der EuGH betont – wie auch schon in den Sachen Dilly´s Wellness Hotel I (C-493/14) und Eesti Pagar (C-349/17) – abermals, dass die AGVO-Vorschriften als Ausnahme von der grundsätzlichen Notifizierungspflicht eng auszulegen und alle Anforderungen, auch die formaler Art, zwingend einzuhalten sind. Das ist ein deutlicher Unterschied zum deutschen Verwaltungsrecht, in dem Verfahrens- und Formvorschriften einen geringeren Stellenwert haben und Verstöße vielfach geheilt werden können. Jede AGVO-Gestaltung sollte deshalb – angesichts des höheren Sorgfaltsmaßstabs – einer neuen Prüfung dahingehend unterzogen worden, ob die Voraussetzungen der AGVO eingehalten werden.
Der zweite Themenkomplex betrifft die Änderung von Gewährungsgrundlagen. Bei einer wesentlichen Änderung des Gewährungsaktes (z.B. Prolongation von Darlehen, Umschuldungen, Prolongation von Bürgschaften) kann sich eine bestehende und damit einer Rückforderung entzogene Beihilfe in eine neue Beihilfe umwandeln. Eine neue Beihilfe setzt die Verjährungsfrist neu in Gang und muss daher einer EU-beihilfenrechtlichen Prüfung unterzogen werden.