Überarbeitete EU-Leitlinien für Regionalbeihilfen veröffentlicht – Die wesentlichen Neuerungen im Überblick
Am 19.04 hat die EU-Kommission die überarbeiteten EU-Leitlinien für Regionalbeihilfen („Regionalbeihilfeleitlinien“) veröffentlicht. Die Leitlinien werden am 1. Januar 2022 in Kraft treten und den Zeitraum bis einschließlich 2027 abdecken. Nach der Veröffentlichung der Leitlinien sind nun die Mitgliedstaaten an der Reihe: Bis zum Ende des Jahres haben sie Zeit, die neuen Fördergebietskarten vorzubereiten und bei der EU-Kommission anzumelden.
Hintergrund
Die EU-Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020 sind bis Ende 2021 verlängert worden, um die Ausarbeitung neuer Leitlinien zu ermöglichen. Dafür hatte die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr einen Entwurf der Regionalbeihilfeleitlinien veröffentlich und in einer Konsultation Beiträge von Interessensträgern eingeholt. Diesem Entwurf war eine umfassende Eignungsprüfung vorhergegangen, mit der die EU-Kommission feststellen wollte, ob die Rechtsvorschriften zur Modernisierung des EU-Beihilferechts noch zweckmäßig sind.
Aus Sicht der EU-Kommission waren die Ergebnisse der Eignungsprüfung zufriedenstellend. Sie betont in der Einführung zu den überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien ausdrücklich, dass die bisherige Regionalbeihilfeleitlinien den verfolgten Zweck der regionalen Entwicklung und des territorialen Zusammenhalts auf zufriedenstellende Weise gefördert haben.
Als unmittelbare Konsequenz bleiben die wesentliche Struktur, die Ziele und die Prinzipien der Regionalbeihilfeleitlinien weitestgehend gleich. Die Kommission hat insbesondere betont, dass die effektiven Schutzmechanismen, die Mitgliedstaaten daran hindern sollen, öffentliche Mittel einzusetzen, um Arbeitsplätzen von einem in den anderen Mitgliedstaat verlegen zu können, beibehalten und verstärkt werden.
Die wesentlichen Neuerungen und Änderungen
Trotzdem nutzt die EU-Kommission die Möglichkeit, die sich durch den Ablauf der alten Regionalbeihilfeleitlinien bot, an bestimmten Stellen nachzujustieren und der aktuellen politischen Zielsetzung Rechnung zu tragen.
Grüner Deal, Industrie- & Digitalstrategie: Die überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien nehmen die Zielsetzungen des europäischen Grünen Deal, der EU-Industriestrategie und der EU-Digitalstrategie auf. Aus Sicht der EU-Kommission können die Regionalbeihilfeleitlinien einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Übergang zu einer grünen und digitalisierten Wirtschaft zu ermöglichen.
Mechanismus für einen gerechten Übergang: Zeitgleich sind die überarbeitet Regionalbeihilfeleitlinien auch mit dem Mechanismus für einen gerechten Übergang (Just Transition Mechanism) verknüpft, dessen Zweck es ist, Regionen zu unterstützen, die negativ vom Übergang zu einer grüneren Wirtschaft betroffen sein werden. Aufgrund der vergleichbaren Zielsetzung erscheint es daher schlüssig, beide Systeme aneinander anzugleichen. Besonders deutlich wird diese Anpassung in den folgenden zwei Punkten.
Zusätzliche Voraussetzungen für große Unternehmen: Regionalbeihilfen für große Unternehmen werden weiterhin grundsätzlich als nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen, da sie in der Regel keinen Anreizeffekt haben. Für den Nachweis des Anreizeffektes ist – wie bereits in den Regionalleitlinien 2014-2020 – erforderlich, dass die Regionalbeihilfe für Investitionen großer Unternehmen zur Diversifizierung der Produktion einer Betriebsstätte durch vorher dort nicht hergestellte Produkte oder zur grundlegenden Änderung des gesamten Produktionsprozesses der von der Investition in die Betriebsstätte betroffenen Produkte gewährt werden. Nun müssen jedoch zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden:
- Die Regionalbeihilfe muss eine Erstinvestition in einem Gebiet betreffen, das für eine Kofinanzierung aus dem JTF in Betracht kommt und in einem C-Fördergebiet mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als 100 % des Durchschnitts der EU-27 liegt;
- die Investition und der Begünstigte sind in einem von der Kommission genehmigten territorialen Plan für einen gerechten Übergang eines Mitgliedstaats aufgeführt;
- die Beihilfe für die Investition wird bis zur zulässigen Obergrenze durch den JTF abgedeckt.
Top-ups (Aufschläge): Für bestimmte Gebiete sehen die überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien Aufschläge auf die Beihilfenintensität vor. Nach Auffassung der EU-Kommission soll dies einen zusätzlichen Anreiz schaffen, in besonders benachteiligten Gebieten der Mitgliedsstaaten zu investieren und dadurch schneller die Ziele des europäischen Grünen Deals und der EU-Digitalstrategie zu erreichen. Diese Aufschläge betreffen insbesondere die folgenden Gebiete:
- Gebiete in äußerster Randlage: 20 Prozentpunkte (Gebiete mit Pro-Kopf BIP von nicht mehr als 75% des EU-27 Durchschnitts) bzw. 10 Prozentpunkte (andere Gebiete)
- Ehemalige A-Fördergebiete bis Ende 2024: 5 Prozentpunkte
- Gebiete eines gerechten Übergangs i.S.d. Just Transition Mechanism: 10 Prozentpunkte
- Gebiete mit Bevölkerungsrückgang von mehr als 10% im Zeitraum 2009-2018: 10 bzw. 5 Prozentpunkte
Aktualisierungen: Für die Einteilung der prädefinierten C-Fördergebieten wurden in den überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien die aktuellen Eurostat-Daten zum BIP (2016-2018) und zur Arbeitslosigkeit (2017-2019) zu Grunde gelegt.
Anwendungsbereich: Auch im Anwendungsbereich schlägt sich die Zielsetzung des europäischen Grünen Deals nieder. Zusätzlich zu dem bereits in den vorherigen Regionalbeihilfeleitlinien ausgenommenen Stahlsektor, sind nunmehr auch der Braun- und Steinkohlesektor vom Anwendungsbereich ausgenommen.
Definitionen: Wichtigste Einführung ist wohl die Aufnahme einer Legaldefinition des Begriffs der Verlagerung, die nun mit der Legaldefinition des Begriffs in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) gleichläuft. Ebenfalls neu ist Übernahme der AGVO-Definition zum „Beginn der Arbeiten“, die nun auch den Beginn der Arbeiten bei Übernahmen regelt, Dieser liegt danach am Tag des Erwerbs der unmittelbar mit der erworbenen Betriebsstätte verbundenen Vermögenswerte.
Abwägungsentscheidung: In den überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien wurde der Abschnitt über die Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten (als Teil der Vereinbarkeitsprüfung von Regionalbeihilfen) neu gegliedert. Weiterhin können nun bei der Abwägungsprüfung neben ihrem Beitrag zur Kohäsion und zur regionalen Entwicklung auch andere positive und negative Auswirkungen berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere Investitionen, die mit den Zielen des europäischen Grünen Deals oder der EU-Digitalstrategie übereinstimmen und einen wesentlichen Beitrag zur Digitalisierung oder zum Übergang zu ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten (z. B. CO2-armen, klimaneutralen oder klimaresilienten Tätigkeiten) darstellen.
Halbzeitüberprüfung: Die Fördergebietskarten der Mitgliedsstaaten werden bereits 2023 einer Überprüfung unterzogen, um so auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren zu können. Dies ist ausdrücklich vorgesehen, um auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie reagieren zu können, da diese in strukturschwachen Gebieten länger andauern könnten. Ansonsten sollen die Regionalbeihilfeleitlinien explizit nicht für die Überwindung der COVID-19-Pandemie genutzt werden, da dafür der Befristeten Rahmen vorgesehen ist.
Fazit
Die überarbeiteten Regionalbeihilfeleitlinien sind eine konsequente Fortführung der Regionalbeihilfeleitlinien 2014-2020, deren Ergebnisse die EU-Kommission als zufriedenstellend erachtet. Dennoch hat die EU-Kommission die Möglichkeit genutzt, die Regionalbeihilfeleitlinien besser an das aktuelle rechtliche und politische Umfeld innerhalb der EU anzupassen. Erstens sind die Regionalbeihilfeleitlinien nun an weitere Teile des EU-Beihilferechtssystem angeglichen worden, beispielsweise durch die Übernahmen der Legaldefinitionen aus der AGVO. Zweitens hat die EU-Kommission auch Raum geschaffen, um klimaneutrale, nachhaltige und digitale Investitionen besonders positiv bewerten zu können, womit sie den Zielen des europäischen Grünen Deals und der EU-Digitalstrategie auch hinsichtlich der Regionalbeihilfen zur Umsetzung verhelfen will. Und drittens wurden die Regionalbeihilfeleitlinien mit dem ebenfalls bis 2027 angelegten Mechanismus eines gerechten Übergangs verknüpft, der € 150 Mrd. für Regionen zur Verfügung stellen wird, die am stärksten von den sozioökonomischen Auswirkungen des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft betroffen sind.