Stillstand auf der Baustelle wegen COVID-19: Eine Bestandsaufnahme
Von Dr. Philipp Pröbsting, maître en droit, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Senior Manager im Team Real Estate der PwC Legal AG
Viel wurde bereits zur Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft geschrieben. Umfassend beleuchtet wurde die Frage, wer sich in den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen deshalb auf Force Majeure berufen kann und mit welchen Konsequenzen.
Die Baustellen im Bundesgebiet laufen – trotz bundesweit einheitlich vorgegebenen Kontaktverbots und diversen Corona-Verordnungen und Allgemeinverfügungen in den Ländern – weiter, wenn auch vielleicht nicht immer reibungslos und bestimmt nicht mit unveränderter Geschwindigkeit. Das wiederum bedeutet, dass offenbar nicht der völlige Force Majeure-Kollaps eintritt, sich wohl aber Verzögerungen einstellen und den Vertragspartnern hieraus Kosten entstehen. Dieser Artikel beleuchtet, welche rechtlichen Konsequenzen dies für die Vertragspartner hat, die in aller Regel auf der Basis eines Bauvertrages tätig sein werden, der den Eintritt der Corona-Pandemie noch nicht antizipieren konnte.
1. Aus der Praxis: Was sind die aktuellen Herausforderungen für die Baubeteiligten?
Der Bauherr findet sich derzeit wohl in aller Regel (noch) nicht in der Situation, dass er dem Auftragnehmer das Baugrundstück nicht zur Verfügung stellen könnte, weil behördliche Verfügungen eine Fortführung der Arbeiten vollständig untersagen würden. Zwar haben die Bundesländer bereits auf die Corona-Pandemie reagiert und entsprechende Verordnungen oder Allgemeinverfügungen erlassen. Derzeit untersagt jedoch keine von diesen vollständig die Ausübung handwerklicher Tätigkeiten auf Baustellen.
Der Bauherr wird aber feststellen, dass seine üblicherweise vertraglich geschuldeten Mitwirkungshandlungen für das Baugeschehen wegen der Corona-Pandemie erschwert sein können: Behördliche Genehmigungen ergehen wegen bundesweit angeordneter Tätigkeit im Home Office, die auch Beamte betreffen, nur verzögert, auch die Planer mögen mit der pünktlichen Lieferung ihrer Pläne momentan ihre Schwierigkeiten haben.
Hinzu kommt, dass der Bauherr seine Baustelle „coronakonform“ organisieren muss. Er muss sicherstellen, dass vor Ort kein inakzeptabel hohes Infektionsrisiko für die dort tätigen Arbeiter entsteht. Möglichkeiten zur Handdesinfektion müssen bereitgestellt werden, auch wird die Baustelle nicht im gewohnten Maße mit parallel arbeitenden Handwerkern „bestückt“ werden können, damit zwischen ihnen Sicherheitsabstände eingehalten werden können.
Die diesbezüglichen Verpflichtungen zum Schutz der Arbeiter können – je nach Vertragsinhalt – auch den Auftragnehmer treffen, einschließlich der Erweiterung bzw. Anpassung der Baustelleneinrichtung z.B. mit geänderten Pausenräumen und Sanitäreinrichtungen zur Senkung von Infektionsrisiken.
Der Auftragnehmer wird zudem feststellen, dass krankheitsbedingt mehr Mitarbeiter ausfallen als sonst, oder dass solche nicht zur Arbeit erscheinen können, weil sie als ausländische Mitbürger momentan Reisebeschränkungen unterworfen sind. Auch die rechtzeitige Beschaffung von Gerät und Material kann den Auftragnehmer momentan vor Probleme stellen.
2. Rechtliche Konsequenzen
Die praktischen Konsequenzen aus den oben genannten Umständen sind klar: Es kommt zu Verzögerungen und zu Mehrkosten. Zu fragen ist jedoch, wer dafür am Ende rechtlich die Verantwortung (bzw. die Kosten) übernehmen muss. Hier muss differenziert werden:
- Kann der Auftragnehmer wegen der oben beschriebenen Probleme seine eigenen Leistungspflichten nicht oder nicht zeitgerecht erfüllen, läge die Vermutung nahe, dass er gegenüber dem Bauherrn in Verzug gerät und sich insoweit ersatzpflichtig macht. Soweit aber die Probleme des Auftragnehmers auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen sind, kann der Auftragnehmer geltend machen, dass er mit einem solch einschneidenden und niemals dagewesenen Ereignis und seinen Auswirkungen nicht zu rechnen brauchte. Es fehlt dann an einem Verschulden und damit an Verzug.Der Teufel steckt aber im Detail: Hat der Auftragnehmer Probleme mit der rechtzeitigen Erbringung seiner Leistungen, die nichts mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu tun haben, kann er auch ganz regulär gegenüber dem Bauherrn in Verzug geraten. Auch muss er alles ihm Zumutbare unternehmen, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kompensieren und Verzögerungen zu vermeiden. Das kann im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen und auch Streit führen.Noch riskanter ist es für den Auftragnehmer, der heutzutage in Kenntnis der Corona-Pandemie gegenüber seinem Bauherrn feste Terminzusagen in einem neu zu schließenden Vertrag macht, ohne gesonderte Regelungen zur Corona-Pandemie aufzunehmen. Soweit sich nicht noch völlig unerwartete neue Auswirkungen für den Betrieb des Auftragnehmers ergeben, wird er sich wegen den schon heute bekannten Erschwernissen und Behinderungen nicht gegenüber dem Bauherrn auf Force Majeure und damit fehlendes Verschulden berufen können.
- Den Auftragnehmer treffen Verzögerungen in der Sphäre des Bauherrn vor allem dergestalt, dass er länger an einem Projekt „festhängt“ und seine Ressourcen nicht für die nächsten Projekte nutzen kann. Auch dies stellt einen wirtschaftlichen Schaden dar. Aber auch für den Bauherrn stellt die Corona-Pandemie (soweit bei Vertragsschluss noch nicht absehbar) ein überraschendes und vor allem unverschuldetes Ereignis dar. Die üblichen Anspruchsgrundlagen wegen Verzuges aus BGB und VOB/B, die stets an das Verschulden des Anspruchsgegners anknüpfen, scheiden daher aus.642 BGB billigt allerdings dem Auftragnehmer einen Entschädigungsanspruch zu, wenn der Besteller (Bauherr) mit dem Bewirken einer Mitwirkungshandlung in Verzug gerät. Und obwohl in der Norm von Verzug die Rede ist, der normalerweise Verschulden verlangt, ist diese Anspruchsgrundlage verschuldensunabhängig – so hat es der BGH in einem am 30.01.2020 ergangenen Urteil nochmals bekräftigt (BGH, VII ZR 33/19). § 642 BGB ist bei Juristen allerdings eine einigermaßen unbeliebte Norm, weil bislang niemand genau weiß, wie die angemessene Entschädigung, die auch dem Auftragnehmer in unserem „coronabedingten“ Fall zustünde, genau berechnet wird.Der BGH hat in dem genannten Urteil nun ausgeführt, dass der Auftragnehmer insoweit angemessene Entschädigung vom Bauherrn verlangen kann, als die Dauer der Verzögerung und die Höhe der vereinbarten Vergütung zu berücksichtigen sind, ferner dasjenige, was der Auftragnehmer in Folge des Verzuges an Aufwendungen erspart bzw. durch anderweitige Verwendung seiner Mittel erwerben kann. Auch sollen nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26.10.2017, VII ZR 16/17) bei der vereinbarten Vergütung die Anteile für Wagnis und Gewinn sowie allgemeine Geschäftskosten betrachtet werden. Dies alles soll schließlich im Rahmen einer Abwägung in eine angemessene Entschädigung münden.Dass dies im echten Leben selten gut gehen wird und auch manchen Richter vor unlösbare Probleme stellen wird, hat der BGH auch gesehen. Er hat deshalb in seinem Urteil vom 30.01.2020 eigens darauf hingewiesen, dass der Richter stets abwägen muss und auch auf das Mittel der Schätzung (§ 287 ZPO) zurückgreifen darf. Mit anderen Worten: Ein Auftragnehmer, der Ersatzansprüche aus § 642 BGB gegen den Bauherrn wegen Verzögerungen in Folge der Corona-Pandemie geltend machen möchte, geht nach wie vor ein Wagnis ein, weil die Höhe des so realisierbaren Anspruchs ungewiss ist, bis das Gericht letztlich rechtskräftig abgewogen und geschätzt hat.
- Parteien eines Bauvertrages, die einen solchen heutzutage abzuschließen wünschen, sei abschließend dringend ans Herz gelegt, eine sogenannte „Corona-Klausel“ ins Vertragswerk aufzunehmen, die möglichst präzise und ausgewogen regelt, welcher Partei was zustehen soll, wenn sich die Corona-Pandemie auf das gemeinsame Bauvorhaben auswirken sollte. Dabei wird nur ein entsprechend spezialisierter Rechtsanwalt helfen können.