Steht das arbeitgeberseitige Kapitalwahlrecht vor dem Aus?
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 17. Januar 2023, Az.: 220/20, das arbeitgeberseitige Kapitalwahlrecht zur Erfüllung von Betriebsrentenansprüchen, anstatt Zahlung einer laufenden Rente, auf den Prüfstand gestellt und damit die volle Aufmerksamkeit auf ein bisher probates Mittel zur Risikobegrenzung gelenkt. Der nun veröffentlichte Urteilstext erlaubt weitere Einblicke.
Dem BAG lag dabei folgende Formulierung im Leistungsplan einer Gruppen-Unterstützungskasse zur Entscheidung vor: „Die Versorgungskasse behält sich vor, anstelle einer laufenden Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe der 10-fachen Jahresrente zu zahlen.“
Das BAG erachtete den von der Unterstützungskasse gestellten Leistungsplan als Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB. Im Rahmen einer Auslegung der im Leistungsplan gewählten Formulierungen „behält sich vor“ und „anstelle“ gelangte das BAG zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um eine Ersetzungsbefugnis und keine Wahlschuld i.S.d. § 262 BGB handelte. Damit war der Anwendungsbereich der Regelung des § 308 Nr. 4 BGB eröffnet. Danach ist die Änderung von einer bereits versprochenen Leistung (hier Rente) unwirksam, wenn eine solche Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil (hier Rentners) unzumutbar ist.
Nach der Ansicht des BAG ist eine solche Zumutbarkeit bei Ausübung der arbeitgeberseitig vorbehaltenen Kapitalabfindung nicht gegeben, wenn keine „(Bar-)Wertgleichheit“ zwischen der einmaligen Kapitalleistung und der laufenden Rente besteht. Das BAG teilte die Auffassung der Vorinstanz, dass eine lediglich 10-fache Jahresleistung nicht “(bar-)wertgleich“ ist und erklärte die durch den Arbeitgeber ausgeübte Kapitalersetzungsklausel für unwirksam. Die durch den Arbeitgeber bereits geleistete Kapitalleistung hatte damit dem betriebsrentenrechtlichen Versorgungsversprechen nicht genügt, sodass er zur Zahlung einer laufenden Rente verpflichtet ist.
Welche Maßstäbe für Arbeitnehmerwahlrechte, kollektivrechtliche Zusagen und echte Wahlschulden i.S.d. § 262 BGB anzulegen sind, bleibt abzuwarten. Jedenfalls sollten Arbeitgeber ihre Versorgungszusagen darauf hin überprüfen, ob diese AGB-Charakter haben und ein einseitiges Recht zur Kapitalisierung nach den vorgenannten Maßstäben wirksam ist. Im Zweifelsfall sollte auf die Ausübung der Kapitalisierungsoption verzichtet werden.
Besonders bitter trifft dies jene Arbeitgeber, deren Rentenversprechen erkennbar unterfinanziert ist. Diese Arbeitgeber können sich vom „Langfrist“-Risiko einer Rentenzusage möglicherweise nicht mehr einseitig befreien.
Die Autoren
Arne Ferbeck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Dietmar Ketzer, Rechtsanwalt
Die Autoren und die Ihnen ggf. schon bekannten Ansprechpartner unserer 50 Mitglieder starken Praxisgruppe Arbeitsrecht stehen Ihnen bei weitergehenden Fragen zur Bedeutung der gesetzlichen Neuerungen für Ihre betriebliche Situation oder Planungen jederzeit gerne zur Verfügung.