Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Seltene Entscheidung der EU-Kommission zu DAWI-Voraussetzungen

Verfasst von

Dr. Simone Merkl

In einem kürzlich veröffentlichen Beschluss (EU) 2020/1411 vom 02.03.2020 (C 64/99 (ex NN 68/99), ABl. EU L 12.10.2020, S. 1.) nahm die EU-Kommission zu einem Fall Stellung, in dem es um die Einhaltung von Voraussetzungen ging, die die Finanzierung von DAWI (Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) betreffen. Das ist insofern bemerkenswert, als es in der Entscheidungspraxis der EU-Kommission und der europäischen Gerichte vergleichsweise wenige Entscheidungen zu DAWI gibt, obwohl ein wesentlicher Teil der staatlichen Mittelgewährungen im Daseinsvorsorgebereich über die DAWI-Regelungen (Altmark Trans-Rechtsprechung, DAWI-Freistellungsbeschluss, DAWI-de-minimis-Verordnung) erfolgen. Zwar betrifft der Beschluss einen Fall, der nach dem sog. DAWI-Rahmen (2012/C 8/03) beurteilt wird. Gleichwohl sind die Aussagen der EU-Kommission zu den DAWI-Voraussetzungen auch über den DAWI-Rahmen hinaus von großer Geltung.

Hintergrund des Beschlusses

Die EU-Kommission hatte hier zu entscheiden, ob Seeverkehrsdienste von Unternehmen einer italienischen Unternehmensgruppe auf Basis von mit dem italienischen Staat geschlossenen öffentlichen Dienstleistungsverträgen DAWI sind und die zum Ausgleich dafür gewährten Beihilfen legitimiert sind. Dem Beschluss liegen jahrelange Verfahren zu Grunde. Die EU-Kommission hatte bereits in einigen Entscheidungen die Beihilfen als mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt, die allerdings vom EuG im Jahr 2009 für nichtig erklärt wurden (verb. Rs. T-265/04, T-292/04, T-504/04). Nach der erneuten Prüfung kam die EU-Kommission nun zu dem Schluss, dass die Beihilfen als Ausgleichsleistungen für DAWI eingestuft werden können und damit grundsätzlich mit dem Binnenmarkt vereinbar sind.

Ausführungen der EU-Kommission zu den Legitimationsvoraussetzungen

Prüfungskriterien der EU-Kommission waren insbesondere die nachfolgenden drei Legitimations-voraussetzungen nach dem DAWI-Rahmen. Dieser ist grundsätzlich nur eine ergänzende Auslegungshilfe und bindet die EU-Kommission im Sinne einer Selbstbindung. Die Auslegung der grundlegenden Vorgaben durch die EU-Kommission ist gleichwohl wichtig für alle DAWI-Regelungen.

– Echte und genau abgesteckte DAWI

Mit einer „echten“ DAWI ist gemeint, dass die DAWI von unter normalen Marktbedingungen handelnden Unternehmen unter Bedingungen, die sich mit dem öffentlichen, staatlich definierten Interesse decken (z.B. im Hinblick auf den Preis, die objektiven Qualitätsmerkmale, die Kontinuität und den Zugang zu der Dienstleistung) nicht oder nicht zufriedenstellend erbracht werden können (sog. Marktversagen). Keine echte DAWI läge demnach vor, wenn es alternative Angebote gibt und die Dienstleistung ebenso gut von einem unter normalen Marktbedingungen handelnden Unternehmen erbracht werden könnte, der Staat also nicht lenkend in das Marktgeschehen eingreifen müsste. Die Mitgliedstaaten haben bei der Festlegung und insoweit „Absteckung“ der DAWI ein weites Ermessen, das die EU-Kommission nur auf offenkundige Fehler überprüft.

Ausgangspunkt war im konkreten Fall, ob das von den Gebietskörperschaften festgelegte Ziel, dem öffentlichen Beförderungsbedarf zu genügen, nicht allein durch das freie Spiel der Marktkräfte erreicht werden konnte. Die EU-Kommission berücksichtigte bei ihrer Analyse allgemeine Kriterien, die auch in jedem anderen Daseinsvorsorgebereich maßgeblich sind. Dabei setzt DAWI nicht voraus, dass es überhaupt kein Marktangebot gibt. Der Mitgliedstaat kann vielmehr im eigenen Ermessen darüber befinden, ob auf dem betreffenden Markt ein ausreichendes Angebot besteht. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob es auf dem Markt konkurrierende Unternehmen gibt, die vergleichbare Dienstleistungen nicht ebenso gut entsprechend der behördlichen Anforderungen mit der erforderlichen Kontinuität (in Hinblick auf Regelmäßigkeit, Häufigkeit und Zuverlässigkeit) und in der von staatlichen Stellen geforderten Qualität erbringen können und ob dem beauftragten Unternehmen durch die Dienstleistung Kosten entstehen, die es bei einer reinen Orientierung an seinen marktwirtschaftlichen Interessen nicht gehabt hätte. Die Analyse erfolgt am Maßstab der örtlichen Gegebenheiten und der Bedürfnisse der lokalen, insbesondere der einkommensschwachen, Bevölkerung, d.h. erfordert stets eine Einzelfallbetrachtung. Ein „echter Bedarf“ an der finanzierten Dienstleistung ist aber erforderlich, der „vom Markt allein nicht gedeckt“ wird.

– Angemessener Betrauungsakt

Im Betrauungsakt müssen insbesondere der Gegenstand und die Dauer der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, das betraute Unternehmen, der Ausgleichsmechanismus sowie die Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen sowie Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung einer etwaigen Überkompensation festgelegt werden. Im Hinblick auf die erforderlichen Parameter des Ausgleichsmechanismus hat die EU-Kommission u.a. auf Bedingungen wie Routen, Frequenzen, Schiffstypen und Fahrpreise hingewiesen, die in den Fünfjahresplänen festgelegt wurden. Gerade die Ausführungen in diesem Rahmen sind für die Praxis sehr wichtig und zeigt die Bedeutung einer sorgfältigen Gestaltung des Betrauungsaktes. Die EU-Kommission hat es insoweit anerkennend hervorgehoben, dass die Höhe des jährlichen Zuschusses auf der Grundlage eines vom Begünstigten eingereichten und vom Ministerium genehmigten Antrags festgelegt wurde und darin die verschiedenen Erlös- und Kostenarten genau beschrieben wurden, die bei der Berechnung der Ausgleichsleistungen und der Kapitalrendite berücksichtigt werden. In gleicher Weise wies die EU-Kommission auf die Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung einer etwaigen Überkompensation hin und erachtete es als ausreichend, dass das betraute Unternehmen verpflichtet war, dem Ministerium unverzüglich alle relevanten Änderungen der im eingereichten Antrag vorgesehenen Ergebnisse mitzuteilen, damit der Ausgleich unverzüglich angepasst werden konnte. Die nachträgliche Kontrolle des Vorliegens/Nichtvorliegens einer Überkompensation sowie die Pflicht des betrauten Unternehmens zur Rückzahlung einer Überkompensation an die gewährende Stelle wurden ebenfalls unterstrichen.

Die EU-Kommission prüft die Einhaltung dieser Vorgaben genau, wie auch in dem Beschluss deutlich wird. Sie untersuchte hinsichtlich jeder einzelnen Voraussetzung, ob diese vorliegt und nahm eine präzise Subsumtion vor. Insofern ist mit größter Sorgfalt darauf zu achten, dass Betrauungsakte alle vorgenannten Vorgaben des DAWI-Freistellungsbeschlusses einhalten. Unter dem Gesichtspunkt der engen Prüfungsdichte der EU-Kommission empfiehlt es sich deshalb für betrauende Stellen, ihre Betrauungsakte im Hinblick auf die Einhaltung dieser Voraussetzungen kritisch durchzusehen.

– Verhältnismäßigkeit der Ausgleichsleistungen, insbesondere Verbot der Überkompensation

Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Ausgleichs hat die EU-Kommission geprüft, ob der für den Betrieb gewährte Ausgleich dem Nettobetriebsdefizit entsprach, also das betraute Unternehmen nicht mehr an Ausgleich erhalten hat, was erforderlich ist, um die um die Nettokosten für die Erfüllung der Verpflichtungen zur Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen einschließlich eines angemessenen Gewinns zu decken (Überkompensationsverbot).

Die EU-Kommission prüfte, in welchem Umfang der Aufwand für die Anschaffung und die Abschreibung von bestimmten Investitionsgüter, deren Einsatz für die finanzierte DAWI in dem Fünfjahresplan vorgesehen war, bei der Berechnung der jährlichen Ausgleichszahlung berücksichtigt werden kann. Soweit die eingesetzten Güter für die betraute DAWI eingesetzt wurden, durfte deren Abschreibung bei der Berechnung der jährlichen Ausgleichszahlung berücksichtigt werden. Die Abschreibung und die Abschreibungsdauer ist darüber hinaus für die Bemessung der Bemessungsdauer von Bedeutung: Wie schon in den DAWI-Regelung klargestellt, rechtfertigt aus Sicht der EU-Kommission die „Notwendigkeit, die für die Erbringung der Dienstleistung erforderlichen Investitionen abzuschreiben, die relativ lange Dauer des Betrauungszeitraums“.

Fazit

Der Beschluss der EU-Kommission führt einmal mehr vor Augen, dass die EU-Kommission – wenn mit DAWI-Fragestellungen konfrontiert – die Einhaltung der Voraussetzungen der DAWI-Regelungen kritisch und konsistent durchprüft. Von besonderer Bedeutung sind die Vorgaben, die an den Inhalt von Betrauungsakten zu stellen sind (echte und genau abgesteckte DAWI, genaue Beschreibung des Ausgleichsmechanismus, Maßnahmen zur Vermeidung von Überkompensationen etc.). Die EU-Kommission hat bereits in Auskunftsverfahren in den vergangenen Jahren klargestellt, dass ein vertretbarer Umgang mit diesen Vorgaben essentiell ist.

Für die Praxis ist der Beschluss eine lehrreiche Lektüre und eine Besonderheit insofern, als DAWI-Fragen in der Entscheidungspraxis der EU-Kommission und der europäischen Gerichte vergleichsweise unterrepräsentiert sind. Dies mag daran liegen, dass eine DAWI-Finanzierung nur selten Gegenstand von behördlichen und gerichtlichen Verfahren wird. Gleichzeitig steht es im Interesse der DAWI finanzierenden staatlichen Stellen, die Finanzierung auf solide rechtliche Grundlagen und Akte zu stellen und dafür zu sorgen, dass die kontinuierliche Einhaltung der vorstehend genannten Vorgaben gewährleistet ist.