Gesellschaftsrecht

Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz

Verfasst von

Jan Gerd Möller

Hintergrund und Zielsetzung des VerSanG-E

Am 21. April 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den seit langem erwarteten Referentenentwurf zum „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (Verbandssanktionengesetz – VerSanG-E), veröffentlicht.

Das BMJV hat den Verbänden nun eine Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 12. Juni 2020 eingeräumt. Es ist davon auszugehen, dass zeitnah ein Kabinettsbeschluss erzielt und das parlamentarische Verfahren abgeschlossen sein könnte. Es ist vorgesehen, dass das Gesetz zwei Jahre nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt.

Zielsetzung des VerSanG-E ist der bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Plan, eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität zu schaffen. Bisher können Straftaten, die aus Unternehmen heraus begangen werden, gegenüber dem Unternehmen lediglich nach § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) geahndet werden. § 30 OWiG sei nach der Entwurfsbegründung jedoch nicht hinreichend für die Sanktionierung von Verbänden (juristische Personen und Personenvereinigungen) geeignet. Mit dem neuen VerSanG soll daher eine eigenständige gesetzliche Grundlage für die Sanktionierung von Verbänden geschaffen werden. Zudem wird die Ahndung von Verbandstaten mit dem VerSanG-E dem Legalitätsprinzip unterworfen und die Ahndungsmöglichkeiten verbessert. Der VerSanG-E soll darüber hinaus einen rechtssicheren Anreiz für Investitionen in Compliance schaffen und die Aufklärung von Straftaten durch interne Untersuchungen fördern.

Bedeutung für Unternehmen

Das Vorliegen von angemessenen Compliance-Maßnahmen wird spätestens mit der Einführung des VerSanG unerlässlich sein. Für Unternehmen besteht jetzt Handlungsbedarf. Sofern noch keine angemessenen Compliance-Maßnahmen existieren, sind solche jetzt zu konzipieren und einzuführen. Bestehende Compliance-Management-Systeme sind auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Dokumentation von Compliance-Maßnahmen und Prozessen haben jetzt zu erfolgen.

Anwendungsbereich

Der VerSanG-E regelt die Sanktionierung von Verbänden. Als Verbände werden juristische Personen des öffentlichen Rechts und privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften angesehen, sofern deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Verbände und Vereinigungen, die keinen Geschäftsbetrieb unterhalten, oder staatliche Stellen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich. Gegen diese kommt nur eine Sanktionierung nach § 30 OWiG in Betracht.

Der VerSanG-E ist auch auf alle in Deutschland strafbaren Verbandstaten anwendbar, auch wenn sie im Ausland begangen wurden; und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters. Zudem werden auch in Deutschland nicht strafbare Auslandstaten erfasst, wenn der Verband seinen Sitz in Deutschland hat, die Tat bei Begehung in Deutschland strafbar wäre und auch eine Strafbarkeit im Ausland besteht. Für deutsche Unternehmen besteht daher das Risiko einer weltweiten Verantwortlichkeit für Straftaten ihrer Leitungspersonen.

Voraussetzungen der Verbandsverantwortlichkeit

Der VerSanG-E setzt die Begehung einer Straftat voraus, durch die den Verband treffende Pflichten verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (sog. Verbandstat).

Dem Verband werden Verbandstaten zugerechnet, die

  • von einer Leitungsperson (z. B. Vorstand, Organ, Geschäftsführer, Leitungspersonen kraft Rechtsstellung, ggf. Leiter Innenrevision und Compliance Officer) begangen worden sind
  • von einer anderen Person (Mitarbeiter aber ggf. auch außenstehender Dritter) in Wahrnehmung von Verbandsangelegenheiten begangen worden ist, wenn eine Leitungsperson die Begehung der Tat durch angemessene Vorkehrungen (Organisation, Auswahl, Anleitung oder Aufsicht) hätte verhindern oder wesentlich erschweren können.

Die vorgenannten Vorkehrungen zur Verhinderung von Verbandstaten kann insbesondere die Implementierung eines Compliance-Management-Systems darstellen. Das Unterlassen der Vorkehrungen muss nur objektiv pflichtwidrig sein. Im Unterschied zu § 130 OWiG ist es nicht erforderlich, dass die Leitungsperson ihre Aufsichtsmaßnahme vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat.

Verbandsanktionsrahmen und Bemessung

Der VerSanG-E sieht als Sanktionen die Verbandsgeldsanktion sowie die Verwarnung mit Geldsanktionsvorbehalt („Geldstrafe auf Bewährung“) vor.

Verbandsgeldsanktionen

Bei vorsätzlichen Straftaten beträgt der Sanktionsrahmen zwischen 1.000 EUR und 10 Mio. EUR, bei fahrlässigen Straftaten zwischen 500 EUR und 5 Mio. EUR. Bei Verbänden mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. EUR erhöhen sich die jeweiligen Obergrenzen auf 10 % bzw. 5 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Maßgeblich ist der durchschnittliche Jahresumsatz der letzten drei Geschäftsjahre vor dem Zeitpunkt der Sanktionsverhängung. Bei der Bestimmung des durchschnittlichen Jahresumsatzes, der auch geschätzt werden kann, erfolgt eine Zurechnung der Umsätze von natürlichen und juristischen Personen, die mit dem Verband in einer wirtschaftlichen Einheit, d.h. in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen.

Bei der Bemessung der Geldsanktion werden u.a. die Bedeutung der Verbandstat, Schwere und Ausmaß von Aufsichtspflichtverletzungen und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verbandes berücksichtigt. Darüber hinaus hat das Gericht nach dem VerSanG-E als weitere Zumessungsgesichtspunkte insbesondere auch die vor bzw. nach der Verbandstat getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten sowie die Mitwirkung an der Aufklärung der Verbandstat zu berücksichtigen. Das Vorliegen eines Compliance-Management-Systems oder die nachträgliche Implementierung eines solchen sowie verbandsinterne Untersuchungen wirken sich also sanktionsmildernd aus.

Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt

wenn:

  • Verwarnung ausreichend ist, um Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden,
  • besondere Umstände eine Verbandsgeldsanktion entbehrlich machen, und
  • Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung nicht gebietet

Vorbehalt eines Teils (max. 50%) der Verbandsgeldsanktion

  • Bloße Verwarnung nicht ausreichend, aber

Verhängung eines Teils der Verbandsgeldsanktion ausreichend, um Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden

Auflagen, Weisungen und Compliance-Monitor

Die Verwarnung kann mit Auflagen versehen werden, insbesondere der Wiedergutmachung des durch die Verbandstat verursachten Schadens oder der Zahlung eines Geldbetrags zu Gunsten der Staatskasse.

Zudem kann das Gericht dem Verband Weisungen erteilen, um der Begehung von Verbandstaten entgegenzuwirken. Hier kommen insbesondere Weisungen zur Einführung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten, beispielsweise zur Einführung oder Verbesserung von Compliance-Systemen oder Compliance-Prozessen in Betracht. Die Ausführung dieser Vorgaben ist durch Vorlage der Bescheinigung einer sog. „sachkundigen Stelle“ nachzuweisen. Diese „sachkundige Stelle“ könnte künftig das deutsche Pendant zum US-Monitor werden.

  • Die Auswahl eines solchen Compliance-Monitors bedarf der Zustimmung des Gerichts
  • Auswahlkriterium: Sachkunde und Unabhängigkeit
  • Gericht bestimmt den Gegenstand der Prüfung und gibt die Häufigkeit der zu erstellenden Bescheinigungen vor
  • Verband beauftragt z.B. Rechtsanwälte / Wirtschaftsprüfer
  • Vorbehaltszeitraum: ein bis fünf Jahre

Solche Auflagen und Weisungen können auch bei einer Einstellung des Verfahrens erteilt werden.

Verbandssanktionsregister und öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung

Mit dem neuen VerSanG soll zudem ein Verbandssanktionsregister geschaffen werden. Dieses enthält rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen über die Verhängung der Verbandssanktionen sowie über die Festsetzung einer Geldbuße nach dem OWiG, wenn die Geldbuße mehr als dreihundert Euro beträgt. Ferner enthält es u.a. Angaben zur Verbandstat, über den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung sowie die Namen der Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. des gesetzlichen Vertreters des Verbandes. Hierdurch können sich monetäre Risiken für den Verband ergeben, insbesondere durch den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen.

Ferner sieht der VerSanG-E vor, dass das Gericht bei einer großen Zahl von Geschädigten zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes auch im Internet anordnen kann. Dies kann neben Reputationsschäden weiteren monetäre Risiken zur Folge haben.

Bedeutung für Compliance

Das Vorliegen eines angemessenen Compliance-Management-Systems wird spätestens mit der Einführung des VerSanG unerlässlich sein.

  • Eine unzureichende Compliance-Organisation ist der wichtigste Anknüpfungspunkt für eine Verbandssanktion. Die Aufsichtspflichtverletzung eines Leitungsorgans begründet die Zurechnung einer durch eine andere Person begangenen Verbandstat. Durch ein wirksames Compliance-Management-System kann daher bereits die Voraussetzung für eine Verbandsverantwortlichkeit entfallen.
  • „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandsstraftaten“, werden nach dem VerSanG-E strafmildernd berücksichtigt. Bei der Verhängung einer Verbandssanktion ist das Vorliegen eines geeigneten Compliance-Management-Systems maßgeblich für die Art und Höhe der Verbandssanktion sowie die Erteilung etwaiger Weisungen. Selbst ein erst nach Begehung einer Verbandstat eingeführtes oder verbessertes Compliance-Management-System kann nach dem VerSanG-E sanktionsmindernd berücksichtigt werden.
  • Ebenso kann ein fehlendes oder unzureichendes Compliance-Management-System nach dem VerSanG-E sanktionsschärfend gewertet werden.

Compliance-Maßnahmen können auch dazu führen, dass von der Fortführung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verband abgesehen oder lediglich eine Verwarnung ausgesprochen wird.

Bedeutung für M&A – Transaktionen

Risiken von Sanktionen nach M&A – Transaktionen

Besonders hinweisen ist auf die Regelungen des VerSanG-E zur Haftungsnachfolge. Der VerSanG-E sieht die Möglichkeiten der Sanktion gegen den Rechtsnachfolger und der Ausfallhaftung vor.

Mit diesen Regelungen sind bedeutende Risiken für künftige M&A-Transaktionen verbunden.

Nach dem VerSanG-E wird bei umsatzstarken Unternehmen (mit einem Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio.) die Höhe der Verbandsgeldsanktion künftig bei fahrlässigen Verbandstaten bis zu 5% bzw., bei vorsätzlichen Verbandstaten bis zu 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Zur Ermittlung des durchschnittlichen Jahresumsatzes ist der weltweite Umsatz der letzten drei Geschäftsjahre aller natürlichen Personen und Verbände, die als wirtschaftliche Einheit operieren, heranzuziehen. Angelehnt an das Kartellrecht bejaht der Entwurf die wirtschaftliche Einheit für alle (Tochter-)Unternehmen, die in einem Konzernverbund unter einheitlicher Leitung stehen. Zu beachten ist hierbei, dass für die Bemessung des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei Geschäftsjahre nicht der Zeitpunkt der Tatbegehung, sondern der spätere Zeitpunkt der Sanktionsverhängung maßgeblich ist. Werden in dem Zeitraum zwischen der Begehung einer Verbandstat und deren Sanktionierung M&A-Transaktionen durchgeführt, so können im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge die Verbandssanktionen gegen den Rechtsnachfolger verhängt werden.

Ein besonderes Risiko birgt die Übernahme eines Unternehmens in sich, das auch nach der Übernahme sein Fehlverhalten fortsetzt. Das fortgeführte Fehlverhalten der neu akquirierten Tochtergesellschaft ist nach der Übernahme nun dem umsatzstarken Unternehmen zuzurechnen.

Eine solche Risikoübernahme lässt sich nur durch eine sorgfältige Compliance Compliance-Due Diligence im Vorfeld vermeiden. Nur so können etwaige Sanktionsrisiken durch Verbandsstraftaten im zu akquirierenden Unternehmen bereits vor eine Übernahme entdeckt und auf eine Unterbindung hingewirkt werden.

Dies gilt umso mehr, als dass sich durch die Übernahme eines Unternehmens regelmäßig die wirtschaftliche Einheit vergrößert und sich somit auch deren Jahresumsatz erhöht. Für umsatzstarke Unternehmen kommt es dadurch zu einer Erweiterung des möglichen Sanktionsrahmens, da sich dieser prozentual am durchschnittlichen Jahresumsatz bemisst.

Vom o.g. Sanktionsrahmen zu unterscheiden ist die konkrete Bemessung der einzelnen Verbandsgeldsanktion. Hierfür sieht der VerSanG-E u.a. die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens vor. Nach der Gesetzesbegründung sind bei Vergehen eines Tochterunternehmens allerdings nur dann die wirtschaftlichen Verhältnisse der Konzernmutter zu berücksichtigen, wenn eine konzernrechtliche Verlustübernahme besteht. Dies wird bei den meisten Unternehmen jedoch der Fall sein, wenn Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge vorliegen. Hier kann es zu sehr hohen Geldstrafen kommen.

Ausgeschlossen ist eine Haftungsnachfolge erst mit Eintritt der Verjährung. Für die typischerweise relevanten Delikte beträgt die Verjährungsfrist regelmäßig fünf Jahre.

Auch bei Umstrukturierungen und Vermögensverschiebungen nach Einleitung eines Sanktionsverfahrens kann das beherrschende Unternehmen und der Rechtsnachfolger in Anspruch genommen werden.

Compliance – Due Diligence

Für alle Unternehmen steigt das Risiko, durch die Übernahme eines „infizierten“ Unternehmens selbst Adressat einer Verbandssanktion zu werden. Dies kann zu teilweise drastischen finanziellen Schäden und schwerwiegenden Reputationsverlusten führen.

Eine sorgfältige Compliance – Due Diligence vor einer geplanten M&A-Transaktion ist damit unerlässlich, um Risiken aufzudecken und etwaiges Fehlverhalten zu unterbinden.

Neben der Identifikation von Compliance-Risiken, kann sich die Durchführung einer Compliance-Due Diligence auch sanktionsmildernd bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion auswirken. Der VerSanG-E spricht von „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandsstraftaten“, was u.a. Compliance-Maßnahmen umfasst.