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Das Warten hat (k)ein Ende: Level-2-Texte liegen nun vor, doch bleiben wichtige Punkte weiterhin offen

Zuletzt hatten wir noch gespannt auf die Level-2-Texte zu den Umweltzielen eins und zwei der EU-Taxonomie gewartet – jetzt wurde der europäische Gesetzgeber tätig und veröffentlichte eine Reihe bedeutender Dokumente zur Taxonomie. Doch die neuesten Entwicklungen stoßen nicht nur auf Beifall. Es mehren sich kritische Stimmen und die Kommission gerät unter Druck, das Ziel womöglich zu verfehlen.

Nachdem wir in unserem letzten Beitrag das Stocken der Realisierung der EU-Taxonomie thematisiert hatten, hat die EU-Kommission mit den am 21. April 2021 vorgelegten Level-2-Texten zu den Umweltzielen eins (Klimaschutz) und zwei (Anpassung an den Klimawandel) dem Warten zunächst ein Ende gesetzt. Wichtige Änderungen betreffen die erfassten Aktivitäten sowie die sogenannten Übergangs- und ermöglichenden Tätigkeiten.

Doch sorgen diese lang erwarteten Texte zu den technischen Bewertungskriterien nicht nur für Begeisterung. Bereits im Vorfeld ihrer Veröffentlichung waren kritische Stimmen lauter geworden. Es wurde ein Abweichen von den Kernzielen der Taxonomie bemängelt. Auch werde man dem in der Taxonomieverordnung formulierten Verständnis der Übergangstätigkeiten nicht hinreichend gerecht.

Einen Schwerpunkt der Expertenkritik bildet der Energiesektor. Hier habe man zuletzt Kriterien aufgestellt, die in dieser Form nicht tragbar seien und im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stünden. Dies sei unvereinbar mit Artikel 19 der Taxonomieverordnung. Nach Meinung einiger Experten weiche man die Kriterien für die von der Taxonomie erfassten Aktivitäten unnötig auf. Die Vorwürfe wiegen schwer, teilweise ist sogar von der Taxonomie als Greenwashing-Instrument die Rede.

Die EU-Kommission hat dem entgegengehalten, dass die Taxonomie ständiger Weiterentwicklung unterliege und nicht abschließend sei. Sie sei ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, das Transparenz schaffen solle. Es sei ein Trugschluss, dass lediglich solche Aktivitäten, die der Taxonomie entsprechen, als nachhaltig anzusehen seien. Nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten existierten auch über die Taxonomie hinaus. Die Taxonomie erfasse nur diejenigen Wirtschaftsaktivitäten, die einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen der Taxonomie leisten. Eine Wirtschaftsaktivität, die diesen wesentlichen Beitrag nicht leiste, sei nicht erfasst. Damit werde sie jedoch nicht zwingend als „nicht nachhaltig“ eingestuft. Sie entspreche lediglich nicht dem von der Taxonomie geforderten Maß an ökologischer Nachhaltigkeit.

Aufgrund der Kritik bezüglich des Energiesektors reagierte die Kommission kurzfristig mit der Ankündigung eines gesonderten delegierten Rechtsaktes, den sie im weiteren Verlauf dieses Jahres vorzulegen beabsichtige. Dieser solle sich insbesondere auf die Dekarbonisierung des Energiesektors konzentrieren. Auf diesem Wege wolle man eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien ermöglichen und eine ausgereifte Lösung finden. Ebenso werde sich dieser spätere delegierte Rechtsakt mit der Landwirtschaft befassen. Trotz Kritik einiger Mitgliedstaaten an einer Aufspaltung der klimabezogenen Level-2-Texte hält die Kommission an diesem Vorgehen fest.

Dem geschilderten Konflikt kommt eine große Bedeutung zu. Die Entwicklung von ausgereiften technischen Bewertungskriterien ist wichtig für die Ausgestaltung der Taxonomie. Sie sind eine zentrale Komponente bei der Ermittlung der ökologischen Nachhaltigkeit einer Wirtschaftsaktivität gemäß Artikel 3 der Taxonomieverordnung. Dies spielt auch über die Taxonomie hinaus eine Rolle, insbesondere auf Grund einer Reihe von Verschränkungen mit der Richtlinie für nichtfinanzielle Berichterstattung sowie der Offenlegungsverordnung.

Dennoch vermag die Argumentation der Kommission gegen die aufkommende Expertenkritik nicht gänzlich zu überzeugen. Sieht man die Taxonomie nicht als ein abschließendes Instrument zur Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit an, bleibt die Frage, inwiefern sie ihrem Zweck gerecht wird. Nach diesem Verständnis bietet die Taxonomie lediglich eine Orientierungshilfe für ausgewählte Aktivitäten, während sie zu anderen maßgeblichen Themen, zumindest vorerst, schweigt. Ob man vor diesem Hintergrund noch von einem allgemeinen Klassifizierungssystem für ökologische Nachhaltigkeit sprechen kann, bleibt offen.

Im Ergebnis werden die bereits vorhergesehenen Schwierigkeiten in der Ausgestaltung der Taxonomie an den neuesten Entwürfen und den damit verbundenen Diskussionen noch einmal deutlich. Das Europäische Parlament und der Rat der EU haben nun eine viermonatige Prüfzeit, mit Option zur zweimonatigen Verlängerung. Man darf darauf gespannt sein, ob und wie es gelingen kann, die unverändert bestehenden kontroversen politischen Positionen zu einem Ausgleich zu bringen und die Ziele der Taxonomie dabei konsequent weiter zu verfolgen. Mit Blick auf die Erreichung des unlängst festgelegten neuen Klimaschutzziels (Reduzierung der CO2-Emissionen um 55% bis 2030) wird es auch einer ambitionierten und umfassenden Taxonomie bedürfen.