Kammergericht entscheidet zur Unwirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln im Bankenverkehr
Das Kammergericht („KG“) entschied mit Urteil vom 27. März 2024 (Az. 26 MK 1/21) in einem Musterfeststellungsklageverfahren über eine Änderungsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen („AGB“) der Berliner Sparkasse im Hinblick auf vorgenommene Änderungen von Entgelten und Gebühren für Bankdienstleistungen.
Im Ausgangspunkt schließt sich das KG ohne nähere Begründung der vielseitig kritisierten Rechtsprechung des BGH zur Unwirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln an. Nach Auffassung des KG sei wegen der bloßen Weiternutzung des Girokontos im vertragsgemäßen Umfang nicht von einer konkludenten Entgeltvereinbarung auszugehen. Der Senat lehnt die in der Literatur diskutierte und von Teilen der Rechtsprechung bereits auf den Bankenbereich übertragene sog. „Dreijahreslösung“ ab und schafft darüber hinaus Klarheit zu den Voraussetzungen der Verjährung etwaiger Rückzahlungsansprüche.
1. „Postbank-Urteil“ des BGH löste Rechtsunsicherheit in der Bankenbranche aus
Ausgangspunkt für dieses Musterfeststellungsklageverfahren war das umstrittene sog. „Postbank-Urteil“ des BGH vom 27. April 2021 (Az. XI ZR 26/20), in dem der BGH eine bis dato im gesamten Banken- und Sparkassenverkehr gebräuchliche Zustimmungsfiktionsklausel – die nahezu identisch mit dem Wortlaut des § 675g Abs. 2 Satz 1 BGB war – für AGB-rechtlich unwirksam erklärt hatte. Dieser Änderungsmechanismus sah vor, dass die Zustimmung der Kundinnen und Kunden zu AGB-Änderungen – somit auch zu Änderungen von Entgelten und Gebühren für Bankdienstleistungen – als erteilt galt, wenn die ausdrückliche Ablehnung nicht innerhalb einer bestimmten Frist erklärt wurde. Nach der Auffassung des BGH stellt die Erhöhung von Entgelten und Gebühren mittels einer fingierten Zustimmung eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucherinnen und Verbraucher dar, die aus diversen Gründen wie „Lethargie, Desinteresse, intellektuelle Überforderung, Unbeholfenheit, Krankheit oder tatsächliches Einverständnis“ (a.a.O. BGH, Rn. 26) nicht aktiv werden, um eine solche Vertragsänderung zu verhindern. Dementsprechend führe dies insbesondere gegenüber „ungewandten“ (a.a.O. BGH, Rn. 26) Verbraucherinnen und Verbrauchern zu einer einseitigen Änderungsbefugnis des Kreditinstituts.
Angesichts dieser Entscheidung sahen und sehen sich Banken und Sparkassen zahlreichen Rückzahlungsforderungen ihrer Kundinnen und Kunden ausgesetzt. Die Kreditinstitute hätten die mittels der Zustimmungsfiktion erhöhten Entgelte und Gebühren infolge unwirksamer AGB-Klausel ohne Rechtsgrund erlangt. Hiergegen wenden sich die Kreditinstitute regelmäßig mit dem Einwand, dass ein unwirksamer AGB-Änderungsmechanismus nicht zwingend eine rechtsgrundlose Bereicherung der Banken und Sparkassen zur Folge haben müsse. Denkbar sei u.a. eine wirksame Entgeltvereinbarung durch konkludente Annahme der Kundinnen und Kunden. Jedenfalls ergäbe sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung, dass die Rückzahlungsforderungen nur für die letzten drei Jahre geltend gemacht werden können (Übertragbarkeit der Dreijahres-Lösung aus der Rechtsprechung zu Energielieferungsverträgen). Schließlich seien Ansprüche teilweise verjährt bzw. verwirkt.
Die beklagte Berliner Sparkasse hatte auf Grundlage einer solchen in ihren AGB enthaltenen Änderungsklausel im Jahr 2016 die Entgeltstrukturen für die als Kontokorrentkonten geführten Girokonten für ihre Bestandskundschaft umgestellt. Damit einher ging u.a. eine Änderung und teilweise Erhöhung der monatlichen Kontoführungsgebühren sowie die Einführung eines jährlichen Entgelts für die Girokarte.
Mit den Feststellungszielen des klagenden Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. („vzbv“) soll im Wesentlichen die Feststellung erreicht werden, dass die Berliner Sparkasse die Entgelte bzw. Gebühren zu Unrecht erhalten hätte und dementsprechend die Verbraucherinnen und Verbraucher die Erstattung der Mehrkosten verlangen dürfen.
2. Unwirksamkeit der „Zustimmungsfiktionsklausel“
Im ersten Schritt schließt sich das KG der Auffassung des BGH im „Postbank-Urteil“ zur Unwirksamkeit der Zustimmungsfiktion nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB an.
Das KG bejaht das Feststellungsinteresse des Musterklägers und verweist zutreffend darauf, dass es hierzu bislang nur eine höchstrichterliche Entscheidung gibt und von einer „gefestigten Rechtsprechung, […] jedoch bisher nicht die Rede sein [könne]“ (S. 27 des Urteils). Daher sei, auch angesichts der erheblichen Kritik aus der Literatur gegen die vorgenannte Entscheidung des BGH, nicht auszuschließen, dass die Wirksamkeit der Änderungsklausel in Individualklageverfahren unterschiedlich beurteilt wird. Daher verwundert es allerdings, dass – abgesehen von der bloßen Erwähnung der vorhandenen Kritik – das Urteil des KG jegliche inhaltliche Auseinandersetzung damit vermissen lässt.
Infolge der festgestellten Unwirksamkeit der Klausel habe die Berliner Sparkasse nach Auffassung des KG alle auf Grundlage dieser Zustimmungsfiktionsklausel erhöhten Entgelte bzw. Gebühren rechtsgrundlos erhalten, sodass den Kundinnen und Kunden ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB zustehe, der auf die Erstattung desjenigen Anteils der vereinnahmten Entgelte gerichtet sei, der auf eine unwirksame Entgeltanpassung zurückzuführen ist.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Kundinnen und Kunden gemäß Ziffer 7 Abs. 3 Satz 2 der AGB-Sparkassen durch die widerspruchslose Hinnahme der quartalsweisen Rechnungsabschlüsse, die solche erhöhten Entgelte bzw. Gebühren beinhalteten, diese Rechnungsabschlüsse in der Regel genehmigt haben werden. Solche Saldoanerkenntnisse habe die Sparkasse nämlich ebenfalls ohne Rechtsgrund erlangt.
3. Keine konkludente Zustimmung durch Weiternutzung des Kontos im vertragsgemäßen Umfang
Des Weiteren ist der Senat der Auffassung, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auch nicht konkludent ihre Annahme zu dem auf die Zustimmungsfiktionsklausel gestützten Angebot auf Änderung der Entgelte bzw. Gebühren für das Girokonto erklärt hätten, indem sie nach Angebotserhalt das Girokonto im vertragsgemäßen Umfang weitergenutzt haben.
Eine konkludente Entgeltvereinbarung zwischen den Kreditinstituten und den Verbraucherinnen und Verbrauchen sei zwar nicht generell ausgeschlossen (S. 29 des Urteils). Allerdings sei in der bloßen Weiternutzung des Girokontos im bisherigen Umfang aus Sicht eines objektiven Empfängers keine Annahme eines Änderungsangebots zu erkennen. Zum einen würden die Kundinnen und Kunden mit der Weiternutzung des Girokontos lediglich ihre vertraglichen Rechte wahrnehmen. Zum anderen fehle es an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein der Kundinnen und Kunden. Beide Vertragsparteien seien von der Wirksamkeit des AGB-Anpassungsmechanismus ausgegangen, infolgedessen wegen der fingierten Zustimmung kein Mitwirken erforderlich gewesen sei.
4. Keine Übertragbarkeit der „Dreijahreslösung“ aus der Rechtsprechung zu Energielieferungsverträgen
Der Senat lehnt außerdem eine Übertragbarkeit der vom BGH entwickelten sog. „Dreijahreslösung“ bei unwirksamen Entgeltanpassungsklauseln in Energielieferungsverträgen auf den hiesigen Fall einer unwirksamen Zustimmungsfiktionsklausel bei Girokontoverträgen ab.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zu Energielieferungsverträgen (BGH, Urteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11) ist im Hinblick auf die rückwirkende Geltendmachung unwirksamer Entgeltanpassungen anerkannt, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung nicht geltend gemacht werden kann, wenn sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach der erstmaligen Berücksichtigung in einer Jahresabschlussrechnung beanstandet worden ist. Ein Teil der Literatur und der erstinstanzlichen Rechtsprechung hält die darin entwickelten Grundsätze auf die Bankenbranche übertragbar (u.a. AG Hamburg, Urteil vom 14. Oktober 2022 - 12 C 30/22; AG Steinfurt, Urteil vom 4. Mai 2022 - 21 C 825/21; Grigoleit, WM 2023, 697, 705). Das überzeugt. Zahlungsdienstrahmenverträge weisen ebenso wie Versorgungsverträge im Energiebereich einen langfristigen Charakter auf und werden im Massengeschäft verwendet. Zudem hat das Bankrecht das Ziel, eine Versorgungssicherheit durch ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten.
Mit wenig überzeugender Argumentation schließt sich der Senat der Gegenansicht an (LG Trier, Urteil vom 25. November 2022 - 1 S 69/22). Der Senat erkennt zwar an, dass bei langfristigen Austauschverträgen ein Interesse dahingehend bestehe, Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten. Allerdings liegen Äquivalenzstörungen, die durch unwirksame Preisanpassungsklauseln entstehen, im Regelfall im Risikobereich des Kreditinstituts. Ferner sei die AGB-Änderungsklausel nicht nur als Preisanpassungsklausel ausgestaltet, sondern fingiere auch die Zustimmung zu sonstigen Änderungen im Vertragsverhältnis. Eine vergleichbare Interessenlage liege schließlich nicht vor. Für den Senat sei zum einen nicht erkennbar, dass die Kosten der Sparkasse ähnlichen Preisschwankungen unterliegen, wie es in der Energiebranche der Fall ist, und zum anderen sei auch eine Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems nicht ersichtlich.
5. Klageerhebung war vor dem „Postbank-Urteil“ für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht unzumutbar
Deutliche Worte findet der Senat indes hinsichtlich der Voraussetzungen für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB für die Rückzahlungsansprüche. Entgegen der Auffassung des vzbv komme es bei der Beurteilung des Fristbeginns nicht darauf an, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher Kenntnis von der Unwirksamkeit der AGB-Klausel hatten. Vielmehr beziehe sich das Kennenmüssen oder die grob fahrlässige Unkenntnis auf die tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Rechtsgrundlosigkeit ergibt.
Zudem sei der Anlauf der regelmäßigen Verjährungsfrist nicht ausnahmsweise wegen Unzumutbarkeit der Klageerhebung bis zum „Postbank-Urteil“ des BGH im April 2021 hinausgeschoben gewesen. Zum einen stand der Durchsetzung der Ansprüche vorher keine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen. Dieser Einwand des vzbv ist auch fernliegend, da der BGH in seinem „Postbank-Urteil“ selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass der höchstrichterlichen Rechtsprechung zuvor keine ausdrückliche Billigung entsprechender Klauseln zu entnehmen sei. Ferner war die Klageerhebung auch nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar.
Nach Auffassung des Senats bedarf es hiervon auch keiner abweichenden Beurteilung im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Bestimmungen. Angesichts der aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Januar 2024 (Az. C-810/21 u.a.) zur Vereinbarkeit von nationalen Verjährungsfristen für die Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen auf Grund unwirksamer formularmäßig verwendeter Klauseln mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz besteht dennoch (auch weiterhin) erheblicher Diskussionsbedarf.
6. Ausblick
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Sowohl der vzbv als auch die Berliner Sparkasse haben bereits Revision eingelegt (BGH, Az. XI ZR 45/24).
Am OLG Hamm (Az. I-31 MK 1/21) ist ein weiteres Musterfeststellungsklageverfahren anhängig, das die Wirksamkeit einer in den AGB enthaltenen Zustimmungsfiktionsklausel betrifft. Dort klagt der vzbv gegen die Sparkasse KölnBonn. Dieses Verfahren wurde jedoch im Februar 2024 im Hinblick auf eine Entscheidung des vor dem KG anhängigen Verfahren ruhend gestellt. Die dortigen Parteien haben nun die Wahl, die Entscheidung des BGH abzuwarten oder das Verfahren bereits vorher wieder aufzunehmen.
Abgesehen von den Musterfeststellungsklageverfahren ist es in den zahlreichen noch anhängigen Individualklageverfahren nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die zuständigen Gerichte zumindest in Teilen eine andere Auffassung als das KG vertreten. Insbesondere muss dort geprüft werden, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine konkludente Entgeltanpassung getroffen wurde. So beispielweise, wenn Kundinnen und Kunden ihr bisheriges Vertragsverhältnis um weitere Leistungen bzw. Produkte erweitert haben und infolgedessen die gesamten Vertragsbeziehung den zu diesem Zeitpunkt geltenden AGB des Kreditinstituts unterworfen haben (S. 32 des Urteils). Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall etwaig geltend gemachten Rückzahlungsansprüche bereits verwirkt sind.
Schließlich ist festzuhalten, dass auch durch das Urteil des KG dem Bedürfnis der Bankenbranche nach einer effizienten Anpassung von Verträgen an neue Umstände weiterhin nicht abgeholfen ist. Ein erster Antrag einer Bundestagsfraktion (BT-Drs. 20/4888) mit dem Vorschlag der Neufassung des § 675g BGB wurde im Oktober 2023 bereits abgelehnt. Um die durch das „Postbank-Urteil“ des BGH hervorgerufenen Rechtsunsicherheit zu beseitigen, besteht daher weiterhin dringender Handlungsbedarf des deutschen Gesetzgebers.
Einer der Schwerpunkte der Dispute Resolution Praxis von PwC Legal ist die Vertretung von Unternehmen bei der Abwehr von Kollektiv- und Massenklagen, wobei auch state-of-the-art Legal Tech-Lösungen zum Einsatz kommen. Insbesondere bei dem schon bislang vorgesehenen Instrument des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht – der Musterfeststellungsklage – hat das Dispute Resolution Team umfangreiche Praxiserfahrungen. Gleiches gilt für die Abwehr von Verbandsklagen nach dem UKlaG.