Gesellschafterhaftung: Insolvenzanfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen
In einem Urteil vom 21. November 2019 (Aktenzeichen IX ZR 223/18) hat sich der BGH erneut mit der Anfechtung der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen gemäß § 135 InsO befasst. Gegenstand der Entscheidung war insbesondere die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Anfechtungsanspruch nach § 135 InsO entfallen kann, wenn der Gesellschafter nach Erhalt der Darlehensrückzahlung seinerseits wieder Zahlungen an die Gesellschaft vornimmt.
Hintergrund
In Konzernstrukturen sind Darlehensverhältnisse zwischen Gruppengesellschaften Gang und Gäbe, doch auch außerhalb von Unternehmensgruppen sind Finanzierungen mittels Gesellschafterdarlehen häufig anzutreffen, insbesondere in Fällen, in denen aufgrund einer Krise der Gesellschaft eine Fremdfinanzierung nicht mehr ohne weiteres zu erlangen ist. Die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen unterliegt im Fall einer späteren Insolvenz der Darlehensnehmerin der Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Hiernach kann der Insolvenzverwalter die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens anfechten und eine Erstattung des zurückgezahlten Betrags an die Insolvenzmasse verlangen, wenn die Zahlung im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung oder nach Antragstellung erfolgt ist. Die Bestellung von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen ist gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sogar anfechtbar, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor Insolvenzantragstellung oder nach dem Antrag erfolgt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Darlehensnehmerin zum Zeitpunkt der Gewährung und/oder der Rückzahlung des Darlehens bereits in einer Krise befunden hat. Die geringen Anfechtungsvoraussetzungen sowie die lange Anfechtungsfrist machen die Vorschrift des § 135 InsO aus Sicht des Insolvenzverwalters zu einem scharfen Schwert. Für den Gesellschafter birgt sie ein erhebliches Risiko.
Entscheidung
Der Entscheidung des BGH liegt (stark vereinfacht) folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagten (und Anfechtungsgegner) waren Kommanditisten der A GmbH & Co. KG (der späteren Insolvenzschuldnerin, nachfolgend: „Schuldnerin“) und zugleich Gesellschafter der Komplementärin der Schuldnerin. Die Beklagten waren zudem Alleingesellschafter der S GmbH, die an der SV GmbH beteiligt war. Weitere Gesellschafterin der SV GmbH war die SH GmbH. Letztere schloss mit den Beklagten einen Darlehensvertrag über zuletzt 16 Mio. €. Die Beklagten wiederum überließen der Schuldnerin Darlehensmittel in Höhe von insgesamt 16 Mio. €. Im August 2013 erstattete die Schuldnerin den Beklagten einen Darlehensbetrag in Höhe von 3,5 Mio. € per Direktzahlung an die SH GmbH. Im Dezember 2013 stellten die Beklagten der Schuldnerin durch eine Zahlung der SH GmbH weitere Darlehensmittel in Höhe von 4,5 Mio. € zur Verfügung. Die Schuldnerin hatte zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Auszahlung der weiteren Darlehensmittel. In dem im Mai 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin focht der Insolvenzverwalter die o. g. Zahlung der Schuldnerin in Höhe von 3,5 Mio. € an.
Der BGH hat die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bejaht. Insbesondere sei die durch die Zahlung der 3,5 Mio. € eingetretene und für eine Anfechtung erforderliche Gläubigerbenachteiligung nach wie vor gegeben. Zwar könne eine zunächst eingetretene Gläubigerbenachteiligung nachträglich dadurch wieder behoben werden, dass der Anfechtungsgegner den anfechtbar erhaltenen Gegenstand oder dessen vollen Wert in das Vermögen des Schuldners zurückführt. Dies setze allerdings voraus, dass die entsprechende Leistung des Anfechtungsgegners eindeutig zu dem Zweck erfolgt, dem Schuldner den entzogenen Vermögenswert zu erstatten und damit die Verkürzung der Haftungsmasse ungeschehen zu machen. Die Leistung muss sich somit als vorweggenommene Befriedigung eines späteren Rückgewähranspruchs / Anfechtungsanspruchs darstellen. Nach diesen Maßstäben sei die durch die Zahlung der Schuldnerin in Höhe von 3,5 Mio. € eingetretene Gläubigerbenachteiligung nicht dadurch behoben worden, dass die Beklagten der Schuldnerin anschließend Darlehensmittel von 4,5 Mio. € überließen. Die letztgenannte Zahlung diente nämlich gerade nicht der Rückgewähr der zuvor von der Schuldnerin gezahlten 3,5 Mio. €, sondern sie erfolgte vor dem Hintergrund eines Anspruchs der Schuldnerin auf Bereitstellung weiterer Darlehensmittel. Die Zahlung der Beklagten an die Schuldnerin war nicht auf die vorweggenommene Begleichung eines Anfechtungsanspruchs gerichtet, sondern auf die Erfüllung eines Darlehensauszahlungsanspruchs.
Praxishinweis
Aus den Entscheidungsgründen ist ersichtlich, dass der BGH den Anfechtungsanspruch auch bejaht hätte, wenn die Beklagten nicht auch Kommanditisten der Schuldnerin, sondern nur Gesellschafter der Komplementär-GmbH und damit lediglich mittelbare Gesellschafter der Schuldnerin gewesen wären. Denn § 135 InsO erfasst nicht nur Darlehensverhältnisse zwischen der schuldnerischen Gesellschaft und ihrem unmittelbarer Gesellschafter. Vielmehr ist die Anfechtung einer Darlehensrückzahlung nach § 135 InsO z. B. auch in Konstellationen denkbar, in denen die Darlehensgewährung erfolgt ist durch
- verbundene Unternehmen iSd §§ 15 ff. AktG (u. U also auch Schwestergesellschaften);
- wirtschaftliche Gesellschafter, insbesondere Treugeber;
- Nießbraucher oder Pfandgläubiger am gesamten Geschäftsanteil oder gesamten Ertrag;
- nahe Angehörige des Gesellschafters oder sonstige Dritte, sofern die Darlehensgewährung aus Mitteln des Gesellschafters erfolgt ist;
- atypisch stille Gesellschafter.
Im Kontext der hier erörterten Entscheidung ist ergänzend das Urteil des BGH vom 11. Juli 2019 (Aktenzeichen IX ZR 210/18) von Interesse. Laut diesem Urteil sind aus einem Austauschgeschäft herrührende Forderung eines Gesellschafters, die über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten zugunsten der später insolventen Gesellschaft gestundet werden, in ein Gesellschafterdarlehen umzuqualifizieren. Die Konstellation ist durchaus gängig: Ein Gesellschafter liefert Waren an „seine“ Gesellschaft bzw. erbringt Leistungen für diese. Um die Liquidität der Gesellschaft zu schonen, stundet er seine Kaufpreis- / Entgeltforderung stillschweigend oder sogar ausdrücklich. Dauert diese Stundung über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten an, kommt es zu der oben angesprochenen Umqualifizierung der Forderung in eine Darlehensforderung. Leistet die Gesellschaft sodann Zahlungen auf diese Forderung und kommt es anschließend binnen Jahresfrist zu einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft, unterliegen die vorgenannten Zahlungen in dem anschließenden Insolvenzverfahren der Anfechtung nach § 135 InsO.