Gerichtsverfahren in Zeiten von Corona
„Corona“ ist in aller Munde und beschäftigt nicht nur Politiker zu jeder Tageszeit. Die weitreichenden Maßnahmen der Regierungen haben Auswirkungen auf Berufs- und Privatleben in bislang ungekannten Ausmaßen. Eine echte Herausforderung auch für die Justiz. Nachfolgend sollen einige Aspekte aufgezeigt werden, die aus Sicht des Prozessanwalts in dieser schwierigen Zeit zu beachten sind.
Unterbrechung der Verfahren wegen Stillstands der Rechtspflege?
Wenn Anwälte aufgrund von Ausgangssperren nicht mehr zu Gericht können; wenn Richter und Gerichtspersonal nicht mehr zur Arbeit gelangen; wenn das gesamte Gericht aufgrund eines Corona-Falles unter Quarantäne steht: All diese Szenarien – bis vor kurzem kaum vorstellbar – sind heute bereits teilweise Realität oder werden für die nächsten Tage erwartet. Bedeutet dies nicht einen Stillstand der Rechtspflege, der nach § 245 ZPO zur Unterbrechung laufender Verfahren führt mit der Wirkung, dass auch der Lauf einer jeden Fristen aufhört, § 249 ZPO?
Nach gegenwärtigem Stand der Dinge könnte dies zweifelhaft sein. Zu einem Stillstand der Rechtspflege kommt es, wenn die Gerichtsorganisation insgesamt „auf Eis gelegt“ ist. Das heißt nicht allein die Einstellung des Sitzungsbetriebes oder die Schließung des Gerichtsgebäudes für Publikumsverkehr ist entscheidend, sondern ein umfassendes Arbeitsverbot auch der Rechtspfleger, Richter und insgesamt für die Geschäftsstellen.
Und dieser Zustand müsste für einen unabsehbaren Zeitraum andauern. Zwar ist bei der Corona-Pandemie zweifellos noch vieles unklar, insbesondere auch wie lange sich die Pandemie hinzieht. Gänzlich unabsehbar scheint dies jedoch nicht, insbesondere wenn man bedenkt, dass eine angeordnete Quarantäne von nur bestimmter Dauer ist und mit Hochdruck an einem Impfstoff gearbeitet wird.
Ausweichen auf schriftliche Verfahren?
Gerichte können auf das schriftliche Verfahren ausweichen, sofern die Parteien dem zustimmen, § 128 Abs. 2 S. 1 ZPO. Dies bietet sich insbesondere für einfach gelagerte Sachverhalte an, bei denen in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen nur Anträge gestellt werden.
Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 GVG
Möglich ist auch der Ausschluss der Öffentlichkeit wegen Gefährdung des Lebens oder des Leibes gem. § 172 Abs. 1a GVG. Die Gefahren für die Gesundheit aller Verfahrensbeteiligten und Zuschauer sind – wie man mittlerweile weiß – immens, wenn sich auch nur ein mit dem Covid-19-Virus Infizierter im Gerichtssaal befindet.
Allerdings stellt der Ausschluss der Öffentlichkeit einen starken Eingriff in einen der Grundpfeiler des Zivilprozesses dar. Die Öffentlichkeit garantiert ein rechtsstaatliches Verfahren und dessen Überprüfbarkeit. In dem Spannungsfeld zwischen dem zivilprozessualen Beschleunigungsgrundsatz, Öffentlichkeitsgrundsatz und Gesundheitsschutz dürfte daher regelmäßig die Verlegung von Terminen oder Vertagung von Verhandlungen das mildere Mittel sein.
Warum nicht per Skype, FaceTime oder sonstige Videoübertragung?
Eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ist zumindest rechtlich mittlerweile möglich, § 128a ZPO. Tatsächlich wird dieser Weg jedoch noch vielfach an der mangelnden Ausstattung der Gerichte mit entsprechendem technischem Gerät scheitern (s. hierzu die unter www.justiz.de aktuell gelisteten Standorte von „Videokonferenzanlagen“ bei den Gerichten).
Wie sieht es mit Fristen aus?
Fristen sind weiter einzuhalten, es sei denn das Verfahren wurde unterbrochen oder ausgesetzt, § 249 ZPO. Ein möglicher Aussetzungsgrund kann die temporäre Unerreichbarkeit des Gerichts sein, wenn eine Partei durch obrigkeitliche Anordnung oder durch andere Zufälle von dem Verkehr mit dem Prozessgericht abgeschnitten ist, § 247 ZPO.
Ansonsten können und sollten Fristen verlängert werden. Das ist bei Vortrag erheblicher Gründe, z.B. bei Erkrankung der Partei oder ihrer Bevollmächtigten, unproblematisch möglich. Sollten neue Fristen gesetzt werden, ist es ratsam, diese von Beginn an großzügig zu bemessen, um weitere Fristverlängerungsanträge zu vermeiden.
Notfristen können allerdings nicht verlängert werden. Bei Fristversäumnis gilt es dann einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen. Auch hier ist angesichts des momentanen Zustands wohl ein großzügiger Maßstab bei Wiedereinsetzungsanträgen zugrunde zu legen.
Im Hinblick auf die körperliche Nähe und das damit verbundene momentane Risiko für alle im Verhandlungssaal anwesenden Personen als auch im Hinblick auf etwaige Reiseverbote ist davon auszugehen, dass Terminverlegungsanträge derzeit sehr wohlwollend und großzügig von den Gerichten beschieden werden.
Die Corona-Krise dürfte auch ein erheblicher Grund im Sinne des § 227 ZPO sein, sodass Gerichtstermine von Amts wegen verschoben werden können.
Was passiert, wenn Angriffs- und Verteidigungsmittels zu spät eingelegt werden?
Die Einlegung von Angriffs- und Verteidigungsmittel muss in der Regel fristgerecht erfolgen, § 296 I ZPO. Im Rahmen der Corona-Krise kann dies erschwert sein.
Das Gericht hat die Möglichkeit, das Fristversäumnis in diesem Fall zu entschuldigen. Im Hinblick auf die Corona-Krise wird dieses Merkmal weit auszulegen sein und Anforderungen an die Darlegung dürften niedriger anzusetzen sein.
Was passiert, wenn meine Klage gar nicht erst zugestellt wird?
Auch hier zunächst einmal Entwarnung. Denn wenn mit der Zustellung die Wahrung einer Frist beabsichtigt ist, so gilt bereits der Eingang der Klage bei Gericht als fristwahrend, solange die Klage demnächst zugestellt wird, § 167 ZPO. Was genau unter „demnächst“ zu verstehen ist, ist Auslegungssache und wird in Zeiten von Corona sicher weiter auszulegen sein als üblich. Eine Untätigkeit des Gerichts geht somit nicht zu Lasten des Klagenden.
Auch eine vorübergehende Einstellung des Geschäftsbetriebs des Gegners hindert die Zustellung einer Klage übrigens nicht. Mit Hilfe eines Einschreibens mit Rückschein, § 175 ZPO, oder durch bloßes Einlegen in den Briefkasten, § 180 ZPO, kann die Zustellung ohne Mitwirkung des Anspruchsgegners erfolgen.
Fazit
Die Corona-Pandemie ist ohne Frage eine Ausnahmesituation. Bundesweit liegt die Entscheidung über die Aufhebung von Gerichtsterminen und die Gewährung von Fristverlängerungen aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit weiterhin bei den einzelnen Richtern.
Doch die ZPO bietet ein Instrumentarium, um der Herausforderungen zivilprozessrechtlich Herr zu werden.
Bleiben Sie dabei …
Nicht nur zivilprozessrechtlich ergeben sich durch die Corona-Pandemie neue rechtliche Herausforderungen. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht sind einige Fragen zu beantworten.
Dazu gehören beispielsweise Folgende:
- Wie wirkt sich die Corona-Krise auf meine Leistungs- und/oder Gegenleistungsansprüche aus?
- Ist die Pandemie als „höhere Gewalt“ einzustufen?
- Folgt hieraus eine Hemmung der Verjährung meiner Ansprüche?
Mit unter anderem diesen Themen beschäftigen wir uns im nächsten Newsflash.
Lassen Sie sich beraten – und vor allem bleiben Sie gesund!