EuG-Urteil zur fehlenden Binnenmarktrelevanz
Das EuG hat sich in einem lange erwarteten Urteil vom 14. Mai 2019 (T-728/17) zur Binnenmarktrelevanz (staatliche Handelsbeeinträchtigung) geäußert und diese für den Fall der Förderung eines kommunalen Mittelmeerhafens verneint. Dies ist – soweit ersichtlich – das erste Urteil, mit dem das EuG zur extensiven jüngeren Entscheidungs-praxis der EU-Kommission, in der diese eine Reihe von Einzelmaßnahmen wegen rein lokaler Bedeutung als Nichtbeihilfe eingestuft hat, Stellung nimmt.
Das EuG hat in diesem Urteil die Entscheidung der EU-Kommission bestätigt, die die staatliche Fördermaßnahme zugunsten des kommunalen Hafens als „rein lokal“ und damit als Nichtbeihilfe behandelt hatte (siehe Kommission, State Aid, SA.45220, 2016/FC, Slovenia, Alleged aid in favour of Komunala Izola d.o.o.). Ob mit diesem Beschluss eine pauschale Bestätigung der Entscheidungspraxis der EU-Kommission einhergeht, die die staatliche Förderung kommunaler Tätigkeiten im Allgemeinen vereinfacht, ist indes fraglich. Das EuG verlangt vielmehr eine differenzierte Einzelfallbetrachtung.
Dem EuG-Verfahren liegt die Klage zweier Wettbewerber, Betreiber privater Yachthäfen in der 16.000-Einwohner Gemeinde Izola in Slowenien, gegen eine Entscheidung der EU-Kommission zugrunde, mit der die EU-Kommission die Förderung des kommunalen Hafen-Betreibers wegen fehlender Binnenmarktrelevanz als Nichtbeihilfe eingeordnet hatte. Die Gemeinde Izola begünstige ihren eigenen Hafen, der sich im selben Hafengebiet wie die Anlegestellen der Kläger befindet. Der kommunale Hafen genieße eine günstigere Besteuerung als ihr Hafen, unterliege keiner Konzessionsabgabenpflicht und könne auf eine kostenlose Infrastruktur zurückgreifen.
Beschluss der EU-Kommission
Der im EuG-Verfahren angegriffene Beschluss der EU-Kommission fügt sich in ihre jüngere Entscheidungspraxis ein, in der sie von einer fehlenden Binnenmarktrelevanz ausgeht, weil die staatliche Förderung „rein lokal“ wirke. Eine rein lokale Wirkung nimmt die EU-Kommission an, wenn die Begünstigung erstens Waren oder Dienstleistungen zugutekommt, die in einem geographisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedsstaat angeboten werden und wahrscheinlich keine Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anziehen. Zweitens muss mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, dass die Maßnahme mehr als nur marginale Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen hat.
Diese Voraussetzungen sah die EU-Kommission nach einer detaillierten Analyse der örtlichen Gegebenheiten, des betroffenen Marktes, der Wettbewerbssituation und der Tätigkeit des geförderten Unternehmens als erfüllt an. Die EU-Kommission war der Auffassung, dass der kommunale Hafen sich primär an die lokale Bevölkerung richtet. Dies beruhte auf folgenden Argumenten: Der kommunale Hafen beschränke den Zugang auf kleinere Schiffe bis 8m, vermiete längerfristige Anlegeplätze nur an Einwohner der Gemeinde mit dauerhafter Residenz und verbiete Untervermietungen und kommerzielle Nutzung. Der kommunale Hafen weise auch keine überregionale Bedeutung auf, weil er generell geringere Standards anbiete, wovon fehlende Sanitäreinrichtungen oder Parkplätze zeugten. Hingegen hätten die Kläger durchaus eine überregionale Bedeutung auf Grund ihres EU-weiten Aktionsradius und ihres kommerziellen Fokus. Beispielsweise werden deren Angebote auf Homepages für internationale Touristen beworben, die Homepage des kommunalen Hafens ist hingegen nur an lokale Interessenten gerichtet.
Dabei ermittelte die EU-Kommission die „marginalen Auswirkungen“ der Förderung des kommunalen Hafens auf den zwischenstaatlichen Handel unter anderem durch eine detaillierte Analyse der Nutzung der Hafenkapazitäten. Von den 505 Anlegeplätzen des kommunalen Hafens sind 93% der dauerhaften Vermietung an Anwohner, lokale Fischer und der Hafenbehörde gewidmet und nur 7% für eine vorübergehende Anmietung freigegeben. Nur diese wenigen Plätze, die auch von Touristen oder Nichteinwohner der Gemeinde gemietet werden können, seien für den grenzüberschreitenden Binnenmarkt relevant. Da diese Plätze jedoch nur ca. 1,07% aller Anlegeplätze in Slowenien und nur 0,05% der Anlegeplätze im gesamten Mittelmeerraum ausmachten, könnten sie vernachlässigt werden.
Urteil des EuG
Das EuG bestätigt die Analyse der EU-Kommission hinsichtlich der Auswirkungen der Fördermaßnahmen zugunsten des kommunalen Hafens. Gleichwohl ist darin keine Blanko-Ermächtigung für die jüngere Entscheidungspraxis der EU-Kommission zu sehen. Vielmehr hat das EuG darauf hingewiesen, dass die Ausführungen der EU-Kommission in Ziffer 192 ihrer Mitteilung zum Beihilfebegriff (ABl. EU vom 19.07.2016, C 262/1) eine zwischenstaatliche Handels-beeinträchtigung von Mittelgewährungen an kleinere Unternehmen „nicht automatisch“ ausschließen, sondern das EuG fordert insofern mit Nachdruck einen Nachweis „von Fall zu Fall“ und damit eine konkrete Einzelfallprüfung der Binnenmarktrelevanz.
Fazit und Bedeutung für die Praxis
Das EuG-Urteil in dieser Sache ist Entspannung und Mahnung zugleich: Es ist grundsätzlich zu begrüßen und eine Erleichterung für kommunale wirkenden Fördermaßnahmen, dass das EuG ebenso wie die EU-Kommission davon ausgeht, dass ihnen die Binnenmarktrelevanz fehlen kann. Gleichwohl wäre es verfehlt, das EuG-Urteil als pauschale Bestätigung der jüngeren Entscheidungspraxis der EU-Kommission anzusehen. Es ist auch kein Präzedenzfall, der als Ausdruck einer (neuen) Rechtsprechungspraxis zu werten wäre. Im Übrigen kann gegen das Urteil noch Rechtsmittel eingelegt werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH in einem etwaigen Urteil positioniert.
Vielmehr ist weiterhin eine detaillierte und sorgfältige Einzelfallanalyse der potentiellen Auswirkungen der Fördermaßnahme erforderlich. Es ist nicht möglich, kommunalen Mittelgewährungen pauschal die Binnenmarktrelevanz abzusprechen und diese vollständig aus der Beihilfenkontrolle herauszunehmen. Das EuG betont ausdrücklich, dass es unter Berücksichtigung der konkreten Elemente der ihm vorgelegten Streitigkeit sowie des technischen oder komplexen Charakters der von der Kommission vorgenommenen Bewertungen die uneingeschränkte Kontrolle darüber ausübt, ob eine Maßnahme in den Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt. Damit bestätigt das EuG gleichsam die in der Praxis bestehende Vorsicht vor einer allzu pauschalen Übertragung der jüngeren Entscheidungspraxis der EU-Kommission auf vermeintlich rein lokal wirkende Mittelgewährungen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich für die Mittelgewährungen auf der Kommunalebene Folgendes herleiten: Die mittelgewährende Stelle muss mittels einer plausiblen Marktanalyse prüfen, ob die Maßnahme Binnenmarktrelevanz aufweist. Die Marktanalyse hat die Merkmale der geförderten Tätigkeit, die Markt- und Wettbewerbssituation sowie die räumliche Dimension des betroffenen Marktes (lokal/regional, überregional) einzubeziehen. Erst wenn die Analyse ergibt, dass aus der Fördermaßnahme nur marginale Auswirkungen auf den Binnenmarkt ausgeht, erscheint es vertretbar, von einer Nichtbeihilfe auszugehen. Mit einer solchen Analyse kann im Streitfall auch die Plausibilität der Argumentation zur rein lokalen Bedeutung erhöht werden.
Nichtsdestotrotz liegen die Komplexität und der Aufwand einer Marktanalyse auf der Hand. Es wird sich zeigen, ob mittelgewährende Stellen diesen Aufwand leisten möchten. Als Alternative kommt immer noch in Betracht, die Problematik nicht auf der risikobehafteten Tatbestandsebene zu lösen, sondern sich der bestehenden Möglichkeiten einer Legitimation zu bedienen. Im Zuge der State Aid Modernisation hat sich der Kanon an Legitimationsmöglichkeiten in Form des DAWI-Freistellungsbeschlusses (Beschluss 2012/21/EU), der erweiterten Allgemeinen Gruppen-freistellungsverordnung (Verordnung Nr. 651/2014) und den de-minimis-Verordnungen (Verordnung Nr. 360/2012, Nr. 1407/2013) verfeinert. Sie bieten einen höheren Grad an Rechtssicherheit und sind daher vorzugswürdiger.