Equal Pay ist keine Verhandlungssache – Neues BAG-Urteil zum Entgelttransparenzgesetz
„Ziel des Gesetzes ist es, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen.“ So beginnt das Mitte 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Während das Gesetz in der Vergangenheit vielfach als „zahnlos“ oder als „Papiertiger“ kritisiert wurde, gewinnt das Thema Entgeltgleichheit zur Vermeidung des sogenannten Gender Pay Gap zunehmend an Bedeutung. Dies hat auch das Bundesarbeitsgerichts (BAG) erkannt und mit Urteil vom 16.02.2023 ein Grundsatzurteil erlassen. Das BAG verdeutlicht, dass gleiche Bezahlung keine Verhandlungssache ist.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500 Euro brutto. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Fortan wurde das Grundentgelt sukzessive angehoben, so dass die Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt von 3.620 Euro brutto erhielt. Neben der Klägerin beschäftigte die Beklagte auch einen zwei Monate zuvor eingestellten männlichen Außendienstmitarbeiter. Die Beklagte hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt von 3.500 Euro brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Dauer der Einarbeitungszeit bis Oktober 2017 4.500 Euro brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung nach. In der Folge erhielten beide vorübergehend 3.500 Euro brutto, das Grundentgelt des männlichen Arbeitnehmers wurde ab Juli 2018 wiederum auf 4.000 Euro brutto angehoben. Ab August 2018 erhielt der männliche Arbeitnehmer auf Basis des Tarifvertrags ein Grundentgelt von 4.120 Euro.
Zur Begründung berief die Beklagte sich darauf, dass der männliche Arbeitnehmer die Position einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin übernommen habe.
Die Klägerin klagte auf die Zahlung rückständiger Vergütung in Höhe von insgesamt 14.500 Euro brutto, da sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichtet habe, sowie auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung aufgrund einer Geschlechterdiskriminierung.
Entscheidung
Das BAG entschied, dass die Klägerin nach Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sowie nach § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG einen Anspruch auf Zahlung des gleichen Grundgehalts wie ihr männlicher Kollege hat. Die Klägerin sei aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden, da sie trotz gleicher Arbeit in gleicher Position ein niedrigeres Grundentgelt von der Beklagten erhalten habe. Dieser Umstand begründet die Vermutung nach § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist.
Der Beklagten sei es nicht gelungen, diese Vermutung substantiiert zu widerlegen. Weder das Argument, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe, noch die Begründung, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt und habe deswegen eine höhere Bezahlung erhalten, entkräfteten die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts.
Das BAG sprach der Klägerin neben der Entgeltnachzahlung auch eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in Höhe von 2.000 Euro zu.
Praxishinweise
Das Urteil des BAG wird in der Praxis zwiegespalten wahrgenommen. Während arbeitnehmernahe Vereinigungen von einem Meilenstein sprechen, fürchten Arbeitgeber um ihre Vertragsfreiheit. Zwar regelt das EntgTranspG bislang immer noch keine verpflichtenden betrieblichen Prüfverfahren zur Sicherstellung der Entgeltgleichheit, allerdings rückt das BAG das sog. Entgeltgleichheitsgebot, nach dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf „Anpassung nach oben“ geltend machen können, nun prominent ins Rampenlicht. Die Frage der Entgeltgleichheit wird auf Basis dieser Entscheidung, deren Gründe noch nicht im Detail veröffentlicht wurden, viele Beschäftigte motivieren, ihr Gehalt individuell zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr in Zeiten, in denen unter dem Schlagwort „ESG“ (Environmental – Social – Governance) Themen wie Nachhaltigkeit, Fairness und Arbeitsbedingungen von Unternehmen auf dem Prüfstand stehen.
Um auch Ihr Unternehmen für das Thema Equal Pay vorzubereiten und etwaigen Klagen auf „Anpassung nach oben“ vorzubeugen, empfehlen wir schon jetzt die Durchführung einer Vergütungsanalyse zur Ermittlung einer etwaigen, gegebenenfalls auch versteckten Entgeltlücke auf Basis des Geschlechts oder anderer Kriterien. Zudem sollte die Praxis individueller Gehaltsverhandlungen mit Vorsicht bedacht werden. Welche objektiven Kriterien in Zukunft herangezogen werden können, um ungleiche Entgelte zu rechtfertigen, bleibt abzuwarten.
Neben der Entgeltgleichheit sollte auch schon jetzt der Fokus auf andere Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit, Ermöglichung von Elternzeit, Teilzeit, etc. gesetzt werden, um dem derzeitigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gerne sind wir Ihnen bei der jetzt angezeigten Überprüfung der genannten Themen („Health Check“), insbesondere bei der Durchführung einer Vergütungsanalyse behilflich.