Entscheidung der EU-Kommission zu Regionalbeihilfen für Erweiterungsinvestitionen und Kumulierbarkeit mit Mitteln aus dem EU-Innovationsfonds
Am 20. Juli 2023 hat die EU-Kommission über die Vereinbarkeit einer Regionalbeihilfe i.H.v. 89,5 Mio. € zugunsten der 3Sun S.r.l. (nachfolgend: 3Sun)Im Nachfolgenden wird vereinfachend durchgehend von 3Sun gesprochen, obwohl Anträge teilweise durch die Vorgängergesellschaft EGPI gestellt wurden.Show Footnote, einem Unternehmen der Enel-Gruppe, entschieden. Rund ein Jahr später wurde die Entscheidung veröffentlicht. Besonders interessant sind die Ausführungen zum Nachweis des materiellen Anreizeffektes auf Basis einer sog. Szenario-1-Entscheidung (siehe hierzu II.1.), zur Kombination mit Mitteln aus dem EU-Innovationsfonds (siehe hierzu II.2.) sowie zur Möglichkeit der Gewährung von Beihilfen für Erweiterungsvorhaben in A-Fördergebieten (siehe hierzu II.3.).
I. Hintergrund der Entscheidung
Die Beihilfe soll die Erweiterung einer bestehenden Produktionsstätte für Photovoltaik-Solarmodule in Catania (Italien) von 200 MW auf mehr als 3 GW pro Jahr ermöglichen. Zudem umfasst das Vorhaben die Einführung einer neuen Technologie mit einer höheren Energieumwandlungseffizienz, deren Fertigung auf neuen Produktions- und Fertigungstechnologien basiert.
Catania ist ein A-Fördergebiet im Sinne der Leitlinien für RegionalbeihilfenMitteilung der Kommission, Leitlinien für Regionalbeihilfen, Amtsblatt der Europäischen Union C 153/01, 29.4.2021.Show Footnote in der Region Sizilien. Die Mittel, die 3Sun erhalten soll, stammen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (nachfolgend: ARF). Der zugrundeliegende nationale Aufbau- und Resilienzplan der italienischen Regierung wurde zuvor ebenfalls von der EU-Kommission genehmigt und enthält einen Abschnitt „PV Technologie“.
II. Die Entscheidung der EU-Kommission
Die EU-Kommission bejahte in ihrer Entscheidung das Vorliegen einer Beihilfe und nahm eine Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt auf Basis von Art. 107 Abs. 3 a) AEUV und den Leitlinien für Regionalbeihilfen an, wobei drei Aspekte bemerkenswert sind:
1. Materieller Anreizeffekt: Kontrafaktisches Szenario – Szenario 1
Gemäß Rz. 59 der Leitlinien für Regionalbeihilfen kann der materielle Anreizeffekt einer Regionalbeihilfe auf zwei Arten nachgewiesen werden: „Szenario 1“ betrifft die Situation, in der die Investition ohne die Beihilfe an keinem Standort im Europäischen Wirtschaftsraum ausreichend rentabel wäre (sog. Investitionsentscheidung). „Szenario 2“ erfasst den Fall, dass die Investition ohne Beihilfe an einem anderen Standort getätigt würde (sog. Standortentscheidung).
Anders als in vielen anderen Entscheidungen der EU-Kommission zu Regionalbeihilfen wurde der materielle Anreizeffekt vorliegend auf Basis einer Investitionsentscheidung nachgewiesen. 3Sun legte hierzu umfassende Nachweise vor, darunter Geschäftspräsentationen, Entscheidungen der Geschäftsführung, Genehmigungsprotokolle sowie Finanzunterlagen des Unternehmens. Die EU-Kommission bewertete diese als umfassend, aktuell und echt und stellte fest, dass sie für den Nachweis des Anreizeffektes gemäß Szenario 1 relevant und damit zur Dokumentation der Investitionsentscheidung von 3Sun geeignet sind. Ein besonderes Augenmerk lag dabei darauf, dass das vorgelegte Finanzmodell mehrere Simulationen im Hinblick auf die Höhe der öffentlichen Förderung enthielt (ohne Förderung, nur mit Unterstützung durch den EU-Innovationsfonds (EU IF) und mit Unterstützung durch den EU IF und die angemeldete Maßnahme).
Interessant ist zudem, dass die EU-Kommission die Auswahl des kontrafaktischen Szenarios nicht beanstandete, obwohl ausschließlich der Standort der bereits bestehenden Fabrik (Catania) bewertet wurde. Eine Szenario 2-Entscheidung wurde vorliegend nicht in Betracht gezogen, da Catania als einzig möglicher und wirtschaftlich tragbarer Standort angesehen wurde. Insoweit wurde als ausreichende Begründung erachtet, dass 3Sun neben der existierenden Fabrik bereits über ausreichend Platz für die Umsetzung des neuen Projekts verfügte und Synergien im Hinblick auf regulatorische und administrative Anforderungen, insb. erforderliche Genehmigungen, erwartet wurden.
Hinsichtlich des Anreizeffektes war zudem entscheidend, dass nur die Kombination der Fördermittel aus dem EU IF und der ARF das Projekt wirtschaftlich tragfähig machte, die Förderung aus dem EU IF allein also nicht ausreichte, um einen positiven Nettobarwert (Net Present Value – NPV) zu erreichen. Auch die Tatsache, dass die Internal Rate of Return (IRR) unter Berücksichtigung der Förderungen weiterhin leicht unterhalb der Weighted Average Cost of Capital (WACC) verblieb, änderte an der Einschätzung der EU-Kommission nichts. Vielmehr hielt sie es für nachvollziehbar, dass die Enel-Gruppe die IRR vor dem Hintergrund strategischer Überlegungen, der technischen Innovation und dem Potenzial einer neuen Generation von PV-Modulen für ausreichend erachtete.
2. Zusätzliche Gewährung zu Mitteln aus dem EU-Innovationsfonds
Vor der Notifizierung der Regionalbeihilfe hatte 3Sun bereits einen Fördervertrag mit der CINEADie CINEA ist die “European Climate, Infrastructure and Environment Executive Agency”. Sie ist verantwortlich für die Umsetzung bestimmter EU-Programme.Show Footnote über eine Förderung i.H.v. maximal 117,68 Mio. € aus dem EU IF geschlossen. Die EU-Kommission entschied, dass die Gewährung der Mittel aus der ARF zusätzlich hierzu erfolgen könne.
Die Richtlinie zum EU IF überlässt die Regelung der Kumulierbarkeit dem Projektträger. In dem vorliegend in Anspruch genommenen Förderaufruf der CINEA war keine Beschränkung vorgesehen. Die Mittel aus dem EU IF sind keine Beihilfen im Sinne des EU-Beihilfenrechts, da diese unmittelbar von der EU-Kommission verwaltet werden, weshalb es am Tatbestandsmerkmal der „Staatlichkeit der Mittel“ fehlt. Die beihilferechtlichen Kumulierungsvorgaben, hier aus den Leitlinien für Regionalbeihilfen, sind daher grundsätzlich ebenfalls nicht zu beachten.
Die EU-Kommission berücksichtigte die Förderung aus dem EU IF jedoch bei der Prüfung der Angemessenheit der Regionalbeihilfe. 3Sun hatte bereits bei der Beantragung der Mittel aus dem EU IF beabsichtigt, weitere Beihilfen in Anspruch zu nehmen und die Förderung aus dem EU IF daher nur in der zusätzlich benötigten Höhe beantragt. Insgesamt hat 3Sun einen Förderbedarf i.H.v. 188,64 Mio. € identifiziert. Ursprünglich beantragte 3Sun 117,68 Mio. € aus dem EU IF. Der Betrag wurde jedoch reduziert, da eine zwischenzeitliche Änderung der Fördergebietskarte von Italien eine höhere regionale Beihilfehöchstintensität vorsah, weshalb 3Sun mehr Mittel aus der ARF beantragte. Die Gesamtförderung änderte sich nicht.
Im Hinblick auf die Angemessenheit der Förderung stellte die EU-Kommission zunächst fest, dass die Regionalbeihilfe für sich betrachtet die Grenzen der maximalen Beihilfehöchstintensität und des maximalen Beihilfebetrags gemäß der Leitlinien für Regionalbeihilfen einhält. Sie ging weiter davon aus, dass bei Szenario 1-Entscheidungen im Hinblick auf die Angemessenheit entscheidend sei, welcher Betrag erforderlich ist, um das Vorhaben hinreichend rentabel zu machen. Hierfür können Kennzahlen, wie bspw. die IRR herangezogen und mit den Kennzahlen, die das Unternehmen bei anderen Investitionsvorhaben ähnlicher Art anwendet, verglichen werden. Aus den von 3Sun vorgelegten Kalkulationen sei ersichtlich, dass nur die Förderungen in ihrer Gesamtheit das Projekt hinreichend rentabel machen könnten. Insoweit berücksichtigte die EU-Kommission auch, dass die Förderung aus dem EU IF für sich genommen nicht ausreichen würde, um eine übliche IRR zu erreichen. Die geänderte Zusammensetzung der Förderung thematisierte die EU-Kommission nicht, sondern stellte allein auf den Gesamtbetrag der Förderung ab. Dieser wurde unter Berücksichtigung der vorgelegten Kalkulationen als auf das erforderliche Minimum beschränkt angesehen.
3. Beihilfen für die Erweiterung einer vorhandenen Betriebsstätte
Ein weiterer zentraler Punkt der Entscheidung betrifft die Förderfähigkeit von Erweiterungsinvestitionen großer Unternehmen.
Die Leitlinien für Regionalbeihilfen sehen insoweit vor, dass Regionalbeihilfen für Erweiterungsinvestitionen großer Unternehmen in der Regel keinen Anreizeffekt haben. Jedoch bezieht sich diese Einschränkung nur auf Vorhaben in C-Fördergebieten. Für Vorhaben in den mittlerweile nur noch vereinzelt vorhandenen A-Fördergebieten, wie vorliegend, gilt diese Einschränkung hingegen nicht. Auch insofern hält die EU-Kommission also an den Leitlinien für Regionalbeihilfen fest.
III. Fazit
Die Entscheidung der EU-Kommission in Sachen 3Sun hat Klarheit im Hinblick auf einzelne Aspekte der Gewährung von Regionalbeihilfen geschaffen. Auch wenn die Entscheidung im Ergebnis wenig neue Erkenntnisse enthält, kommt ihr im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falls dennoch eine besondere Relevanz im Gesamtgefüge der Entscheidungspraxis der EU-Kommission zu, da sie klarstellende und hilfreiche Ausführungen zum Umgang mit Szenario-1-Entscheidungen sowie Erweiterungsinvestitionen von großen Unternehmen in A-Fördergebieten enthält.
Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen der EU-Kommission zur Kombination von Regionalbeihilfen mit Mitteln aus dem EU IF, da dies die erste veröffentlichte Entscheidung der EU-Kommission zu diesem Themenkomplex ist. Zwar haben sich zwischenzeitlich die Vorgaben hierzu in den Förderaufrufen des EU IF verändert und es ist vorgesehen, dass die beihilferechtlichen Kumulierungsvorgaben auch bei einer Kumulierung mit Mitteln aus dem EU IF einzuhalten sind und zudem eine Kumulierung mit Mitteln aus der ARF ausgeschlossen ist. Dennoch kann die Entscheidung insoweit auch künftig bei Kombinationsfragen betreffend den EU IF und insbesondere (andere) Regionalbeihilfen zur Orientierung herangezogen werden.