Eingriff in betriebliche Altersversorgung und Niedrigzinsumfeld
Die Entscheidung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2020 (3 AZR 64/19)
Zur (Un-) anwendbarkeit von § 313 BGB für einen Eingriff in den Past Service wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Arbeitgebers
Der Sachverhalt
In der betrieblichen Altersversorgung ist lange bekannt, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) an die Rechtfertigung einer verschlechternden Änderung von Versorgungszusagen in Bezug auf bereits erdiente Anwartschaften sowie Rentenleistungen (sog. „Past Service“) besonders hohe Voraussetzungen stellt (BAG v. 17.4.1985 – 3 AZR 72/83). Für erdiente Anwartschaften und Rentenleistung gilt im Ergebnis, dass ein verschlechternder Eingriff in die Versorgung im Prinzip nur bei unplanmäßiger Überversorgung (BAG v. 09.04.1991 – 3 AZR 598/89) oder Äquivalenzstörung (BAG v. 19.02.2008 – 3 AZR 290/06) gerechtfertigt sein kann.
Nachdem der 3. Senat des BAG erst kürzlich (BAG v. 12. Mai 2020 – 3 AZR 157/19) fast beiläufig erwähnte, dass ein Eingriff in den Past Service auch nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgen könne, machte sich in der rechtlichen Praxis und bei einigen Arbeitgebern die Hoffnung breit, dass nun eine weitergehende Änderungsmöglichkeit für verschlechternde Eingriffe in den Past Service durch das BAG abgesegnet wurde. Das dies nicht der Fall ist, zeigt die nachfolgend anhand der Pressemitteilung des BAG skizzierte Entscheidung (BAG v. 8. Dezember 2020 – 3 AZR 64/19).
Auszüge aus der Pressemitteilung (Nr. 45/20) des BAG
„Die Änderung von bilanzrechtlichen Bestimmungen rechtfertigt nicht die Anpassung von Versorgungsregelungen wegen Störung der Geschäftsgrundlage. […]
Zwar ist es grundsätzlich möglich, die Anpassung von Versorgungsregelungen auf die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu stützen. Vorliegend waren die Voraussetzungen hierfür jedoch nicht erfüllt. […].
Soweit die Beklagte den Anstieg ihrer bilanziellen Rückstellungen aufgrund angeblich wegen der Änderung des Bilanzrechts gestiegener Barwerte angeführt hat, konnte sie damit ebenfalls nicht durchdringen.
Nach der handelsrechtlichen Konzeption handelt es sich bei Rückstellungen im Wesentlichen um ein Instrument der Innenfinanzierung. Dies hat zwar Auswirkungen auf den bilanziellen Gewinn bzw. Verlust eines Unternehmens. Allerdings berechtigt ein schlechterer wirtschaftlicher Verlauf des Geschäftsjahrs nicht zum Widerruf von laufenden Betriebsrenten und somit auch nicht zur Änderung einer Anpassungsregelung.
Denn nicht einmal eine wirtschaftliche Notlage kann nach den gesetzlichen Wertungen des Betriebsrentengesetzes einen Widerruf von Versorgungszusagen begründen. In so einem Fall eine Störung der Geschäftsgrundlage anzunehmen, widerspräche der gesetzlichen Risikoverteilung.“
Die Praxishinweise
Positiver Mitnahmeeffekt dieser Entscheidung für Arbeitgeber und die betriebsrentenrechtliche Praxis ist, soweit durch die Pressemitteilung ersichtlich, dass das BAG (erneut) entschieden hat, dass eine verschlechternde Änderung von Versorgungszusagen auch nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage möglich ist.
Zusammengefasst: § 313 Abs. 1 BGB ist zwar auch für die Rechtfertigung eines Eingriffs in den Past Service grundsätzlich normativ anwendbar. Der Arbeitgeber kann einen Eingriff jedoch nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass sich seine wirtschaftliche Lage aufgrund bilanzieller Effekte durch eine Änderung des Bilanzrechts verschlechtert hat. Das BAG begründet dies damit, dass selbst eine wirtschaftliche Notlage nicht zu einem Eingriff in erdiente Anwartschaften und Rentenleistungen berechtigt. Demnach ist eine wirtschaftlich ungeplante und belastende Entwicklung der Zinslandschaft und damit der handelsbilanziellen Situation hierzu ebenfalls nicht geeignet.
Aus der Pressemitteilung zu der Entscheidung des BAG kann sich unseres Erachtens jedoch der Umkehrschluss ableiten lassen, dass aufgrund der sich unerwartet erheblich negativ entwickelnden Kapitalmarktsituation im Vergleich zum Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage über § 313 Abs. 1 BGB ein Eingriff in den Future Service erfolgen kann.
Eine konkrete Einordnung sowie vollumfängliche rechtliche Bewertung dieser, bislang nur über die recht kurze Pressemitteilung des BAG bekannt gewordenen, Entscheidung lässt sich freilich erst nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe treffen.
Der Autor
Arne Ferbeck, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Praxisgruppe People & Organisation, PwC Legal AG, Düsseldorf