Gesellschaftsrecht

Ein Ausblick auf die unternehmerische Mitbestimmung

Verfasst von

Dr. Thorsten Ehrhard

Dr. Robert Schiller

Die Ampelkoalition führt in ihrem Koalitionsvertrag aus, dass sie die „missbräuchliche Umgehung“ des geltenden Mitbestimmungsrechts zukünftig verhindern möchte. Der Koalitionsvertrag enthält hierfür zwei wesentliche Punkte, die eine Verschärfung der gegenwärtigen Rechtslage mit sich bringen könnten.

Der Anwendungsbereich der drittelparitätischen Mitbestimmung soll deutlich ausgeweitet werden. Die bislang geltende Zurechnung im Konzern ab einer Schwellenzahl von 500 Arbeitnehmer:innen soll auf die Fälle einer faktischen Beherrschung von Tochtergesellschaften erweitert werden. Bei der europäischen Aktiengesellschaft Societas Europaea („SE“) will sich die neue Bundesregierung dafür einsetzen, dass der sogenannte „Einfriereffekt“ nicht mehr gelten soll, sodass es bei einem Anwachsen der Anzahl der Arbeitnehmer:innen nicht mehr zu einer Mitbestimmungsvermeidung bei SE-Gesellschaften kommen soll.

I. Status Quo der unternehmerischen Mitbestimmung

In Deutschland gelten für Kapitalgesellschaften Regelungen zur unternehmerischen Mitbestimmung. Nach dem Mitbestimmungsgesetz greift ab 2.000 Arbeitnehmer:innen die paritätische Mitbestimmung mit der vorgegebenen Mitgliederzahl für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dies bedeutet, dass betroffene Unternehmen einen Aufsichtsrat zu bilden haben und in diesem Aufsichtsrat Arbeitnehmer:innen die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder stellen. Der Stellenwert der Muttergesellschaft bei Konzernen kann sich dabei zusätzlich aus allen Arbeitnehmer:innen ihrer Konzerngruppe berechnen. Die drittelparitätische Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz greift bereits ab 500 Arbeitnehmer:innen. Allerdings werden im Anwendungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes Arbeitnehmer:innen im Konzern nur bei Vorliegen eine Beherrschungsvertrages der Muttergesellschaft zugerechnet.

Für die SE kann die Mitbestimmung verhandelt werden. Nach Abschluss dieser Verhandlungen hat ein späteres Anwachsen der Anzahl der Arbeitnehmer:innen über die vorgenannten Schwellenwerte hinaus keinen Einfluss mehr auf den Mitbestimmungsstatus in der SE (sogenannter „Einfriereffekt“).

II. Aussagen des Koalitionsvertrages zur Mitbestimmung

Der Koalitionsvertrag enthält zwar kurze, aber erhebliche Aussagen zur unternehmerischen Mitbestimmung. Die unternehmerische Mitbestimmung soll in wesentlichen Punkten verschärft werden:

  1. Für die Zurechnung von Arbeitnehmer:innen der Tochtergesellschaften auf eine Konzernmuttergesellschaft oder Teilkonzernmuttergesellschaft soll nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zukünftig schon eine faktische Beherrschung ausreichen. Hierzu soll die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz übertragen werden.
    Damit würde der Anwendungsbereich der drittelparitätischen Mitbestimmung deutlich ausgeweitet werden. Der Gesetzgeber hatte sich bislang bewusst gegen eine umfassende Zurechnung entschieden.
  2. Bei der SE ist beabsichtigt, dass der „Einfriereffekt“ nicht mehr gelten soll. Gegenwärtig stellt das Mitbestimmungsregime der SE auf den Zeitpunkt der Gründung der SE ab und gilt von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich fort. Nur bei „strukturellen Änderungen, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“, wäre das Mitbestimmungsregime der SE neu zu verhandeln. Eine Erhöhung der Mitbestimmungsquote erfolgte bisher jedenfalls nicht bei rein organischem Wachstum der SE über die Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmung hinaus.

III. Ausblick

Zahlreiche mittelständische Unternehmen wären von der beabsichtigten Änderung des Drittelbeteiligungsgesetzes betroffen und müssten zukünftig einen Aufsichtsrat bilden, der mit einem Drittel durch Arbeitnehmer:innen zu besetzen wäre.

Wenn der Einfriereffekt bei der SE nicht mehr greifen sollte, müsste bei vielen SEs der Aufsichtsrat neu besetzt werden.

Mit Blick auf die im Koalitionsvertrag angekündigten Änderungen empfiehlt es sich, den Stand der gegenwärtigen unternehmerischen Mitbestimmung in Unternehmen zu überprüfen und die zukünftige Rechtsentwicklung aktiv zu verfolgen. Dass dies sinnvoll ist, zeigt sich auch aufgrund eines aktuellen Antrags der Partei Die Linke (BT-Drs. 20/4056). Mit diesem Antrag fordert Die Linke, Lücken in der Unternehmensmitbestimmung zu schließen. Die Linke verlangt von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Geltungsbereich der Mitbestimmungsgesetze auf Unternehmen ausländischer Rechtsformen mit Verwaltungssitz in Deutschland erstreckt. Im SE-Beteiligungsgesetz soll nach dem Vorschlag von Die Linke festlegt werden, dass die Mitbestimmung bei strukturellen Änderungen innerhalb eines Konzerns oder bei Überschreitung der Schwellenwerte der deutschen Gesetze über die unternehmerische Mitbestimmung neu verhandelt werden müsse und dass eine an den überschrittenen Schwellenwert angepasste Auffangregelung eingeführt werden solle. Zudem soll der Geltungsbereich auf Stiftungen mit Geschäftsbetrieb, die Rechtsform GmbH & Co. KG sowie Kapitalgesellschaft und Co. KG erweitert werden. Vor allem wird gefordert, dass bei Nichtanwendung der Mitbestimmungsgesetze Sanktionsmechanismen eingeführt werden.

Aus unternehmerischer Sicht empfiehlt es sich, die Entwicklungen der unternehmerischen Mitbestimmung nicht zuletzt auch aufgrund des jüngsten Urteils des EuGH vom 18.10.2022 (EuGH, Urteil vom 18.10.2022, C–677/20; sog. SAP-Entscheidung) aktiv im Auge behalten.