Litigation, Arbitration

Dispute Resolution Update - die neue Verbandsklage kommt: Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie liegt vor

Verfasst von

Dr. Thorsten Bonheur

Jakob Frank

Die Einführung der neuen europäischen Verbandsklage schreitet weiter voran: Nachdem die Europäische Kommission am 27. Januar 2023 bereits ein Vertragsverletzungsverfahren unter anderem gegen Deutschland eingeleitet hat, weil die EU-Verbandsklagenrichtlinie noch nicht fristgerecht zum 25. Dezember 2022 umgesetzt wurde, hat sich das Bundeskabinett am 29. März 2023 auf einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie geeinigt. Kernstück des als „besonders eilbedürftig“ eingestuften Gesetzesentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz - VRUG) – BT-Drs. 20/6520 („bes.eilbed.“) – ist das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz („VDuG“). Dazu werden die bislang in der ZPO verankerten Regelungen zur Musterfeststellungsklage in das VDuG integriert und eine neue Abhilfeklage geschaffen. Mit der Abhilfeklage sollen Verbraucherverbände künftig Leistungsansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen Unternehmen in gleich gelagerten Fällen unmittelbar einklagen können.

Referentenentwurf vs. Regierungsentwurf – Was ist neu?

Dem Kabinettsbeschluss vorangegangen waren monatelange Verhandlungen zwischen dem federführenden Bundesministerium der Justiz („BMJ“) sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz („BMUV“) über den im September 2022 durch das BMJ zur Ressortabstimmung vorgelegten Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie (https://legal.pwc.de/de/news/fachbeitraege/die-neue-sammelklage-kommt-referentenentwurf-zur-umsetzung-der-eu-verbandsklagerichtlinie-liegt-vor).

Kontrovers diskutiert wurde insbesondere die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt Verbraucher ihre Ansprüche bei dem Verbandsklageregister des Bundesamtes für Justiz angemeldet haben müssen, um von einer Verbandsklage profitieren zu können. Während der Referentenentwurf noch vorsah, dass eine Anmeldung sowie eine Rücknahme bereits angemeldeter Ansprüche bis spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung vor dem zuständigen Oberlandesgericht hätte erfolgen müssen, räumt der Regierungsentwurf den Betroffenen nun deutlich mehr Zeit ein. So bleibt es zwar bei einem „Opt-in“-Modell. Die betroffenen Verbraucher müssen ihre Ansprüche auch weiterhin anmelden, fortan bleibt ihnen dafür aber bis zum Ablauf von zwei Monaten nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung Zeit. Entsprechendes gilt für die Rücknahme bereits angemeldeter Ansprüche. Damit gewährt die Neuregelung den Verbrauchern die Möglichkeit, den Verlauf des Termins abzuwarten, um zu prüfen, ob das Gericht bereits erkennen lässt, welche Erfolgsaussichten bestehen, bevor sie sich der Verbandsklage anschließen. Für die beklagten Unternehmen bedeutet dies, dass sie die Tragweite des jeweiligen Verfahrens erst mit Ablauf dieses späteren Zeitpunkts werden abschließend einschätzen können, was nicht zuletzt für die zu bildenden Risikorückstellungen von Bedeutung sein dürfte. Die Verlängerung der Anmelde- und Rücknahmefrist führt beim Prozessablauf dazu, dass ein Urteil nicht vor Ablauf der zweimonatigen Frist ergehen darf und ein „Stuhlurteil“ schon am Schluss des ersten Tags der mündlichen Verhandlung (wie in der Gerichtspraxis bei Musterfeststellungsklagen zum Teil geschehen) bei Verbandsklagen künftig ausgeschlossen ist.

Eine weitere gewichtige Änderung betrifft die Senkung der Anforderungen an die klageberechtigten Stellen. Nach dem Referentenentwurf mussten inländische qualifizierte Verbraucherverbände noch vergleichsweise strenge Anforderungen erfüllen (Mindestmitgliederzahl von 350 und Eintragung in der Liste nach § 4 UKlaG seit mindestens vier Jahren), um als klageberechtigt zu gelten. Diese Anforderungen wurden erheblich gelockert. Nach dem Regierungsentwurf muss ein klageberechtigter Verband nur noch in der Liste nach § 4 UKlaG eingetragen sein und darf nicht mehr als fünf Prozent seiner finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen. Eine Mindestdauer der Eintragung in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG ist nicht mehr vorgesehen.  Dies ermöglicht Klagen durch opportunistisch gegründete Verbände.

Weitere Änderungen betreffen u.a. das Verbandsklageregister. Verbrauchern steht ein Anspruch auf Auskunft über die zu ihrer Anmeldung erfassten Angaben sowie nach Abschluss des Verbandsklageverfahrens auf einen schriftlichen Auszug über die erfassten Angaben zu. Neu ist die in § 7a VRegV n.F. vorgesehene Möglichkeit, sich über Bekanntmachungen im Verbandsklagenregister individuell benachrichtigen zu lassen, indem ein Verbraucher (oder ihm gleich gestelltes kleines Unternehmen) bei der Anmeldung zu einer Verbandsklage seine E-Mail-Adresse angibt. Der verbraucherfreundliche Wechsel von einer Obliegenheit zur selbständigen Erkundigung über etwaige Bekanntmachungen im Register hin zu einer Benachrichtigung wirft interessante Rechtsfragen für den Fall auf, dass ein Verbraucher geltend macht, er habe eine solche „Push-Nachricht“ trotz Bestellung bei der Anmeldung nicht erhalten und infolgedessen eine Frist (etwa Rücknahme der Anmeldung, Austritt aus dem Vergleich) versäumt.

Abhilfeklage soll künftig jährlich 22.500 Individualklagen ersetzen

Das BMJ geht davon aus, dass eine unmittelbar auf Leistung gerichtete Abhilfeklage für klageberechtigte Verbände vielfach attraktiver sein dürfte als die bestehende Musterfeststellungsklage, die derzeit durchschnittlich zwölf Mal im Jahr erhoben wird). Die Prognose des BMJ sieht künftig durchschnittlich 15 Abhilfeklagen und weitere zehn Musterfeststellungsklagen pro Jahr. Einer Abhilfeklage sollen dabei geschätzt 3.000 Anmeldungen zugrunde liegen, wobei damit gerechnet wird, dass mit der Hälfte dieser Anmeldungen die sonst erhobenen Individualverfahren auch tatsächlich ersetzt werden. Die angesetzten 15 Abhilfeklagen pro Jahr würden unter Berücksichtigung der vorstehenden Annahmen demnach jedes Jahr 22 500 Individualklagen ersetzen (im Vergleich gab es bspw. allein in 2019 rund 40.000 Individualklagen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“).

Ausblick

Deutschland hinkt im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten nicht hinterher, sondern hat mit dem Regierungsentwurf einen großen Schritt zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie gemacht. Final umgesetzt haben die Richtlinie bislang nur Niederlande, Lettland und Ungarn. Mit dem Abschluss der Ressortabstimmung der Bundesregierung geht der Regierungsentwurf nunmehr in das parlamentarische Verfahren. Nach der für den 27. April 2023 angesetzten ersten Lesung im Bundestag soll die Vorlage zur weiteren Beratung in den federführenden Rechtsausschuss überwiesen werden. Es ist damit zu rechnen, dass einzelne Aspekte noch Gegenstand (rechtspolitischer) Diskussion werden dürften. Offen ist bislang noch, ob die geringen Anforderungen an eine Prozessfinanzierung durch Dritte noch restriktiver gehandhabt werden. Ob es ferner bei dem Zusammenspiel mit Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb („UWG“) bleibt, wonach die Gewinnabschöpfungsnorm des § 10 UWG zur Durchsetzung von Gewinnabschöpfungsansprüchen bei geringfügigen Streuschäden geändert werden soll, dass künftig grob fahrlässiges (nicht vorsätzliches) Verhalten für eine Gewinnabschöpfung ausreichen soll, bleibt spannend. Viel Zeit für eine intensive Diskussion des Entwurfs bleibt jedoch nicht mehr, da die Erhebung der Verbandsklage nach den Vorgaben der EU-Verbandsklagerichtlinie spätestens ab dem 25. Juni 2023 möglich sein muss.

Ein Schwerpunkt der Dispute Resolution Praxis von PwC Legal ist die Vertretung von Unternehmen bei der Abwehr von Kollektiv- und Massenklagen, wobei auch state-of-the-art Legal Tech-Lösungen zum Einsatz kommen. Insbesondere bei dem schon bislang vorgesehenen Instrument des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht – der Musterfeststellungsklage – hat das Dispute Team umfangreiche Praxiserfahrungen. Gleiches gilt für die Abwehr von Verbandsklagen nach dem UKlaG.