Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Die Erholung der Wirtschaft von den Folgen der COVID 19 Pandemie, grüner & digitaler Wandel sowie die Resilienz des Binnenmarktes – Die künftigen Schwerpunkte des EU-Beihilfenrechts

Verfasst von

Kerstin Rohde

Mit ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine Wettbewerbspolitik für neue Herausforderungen“ vom 18. November 2021 (COM(2021) 731 final; nachfolgend: „Mitteilung“) legt die EU-Kommission die künftigen Schwerpunkte ihrer Wettbewerbspolitik und somit auch des EU-Beihilferechts fest. Dies sind:

  • Erholung der Wirtschaft von den Folgen der COVID 19 Pandemie,
  • Vorantreiben des grünen und digitalen Wandels,
  • Stärkung der Resilienz des europäischen Binnenmarktes.

Diese neue Schwerpunktsetzung fand bereits Einzug u.a. in die neuen Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz-, und Energiebeihilfen (KUEBL), der Leitlinien zum Breitbandausbau sowie die Regelungen zum Auslaufen der Coronahilfen. Weitere Neureglungen sind geplant. Diese betreffen u.a. die AGVO, die Bekanntmachung der EU-Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft aus dem Jahr 1997, in der die EU-Kommission ihr Vorgehen bei der Definition des räumlich und sachlich relevanten Marktes erläutert, sowie das EU Chips Gesetz (European Chips Act).

Hintergrund

Die Mitteilung ist einerseits eine Reaktion auf die wirtschaftlichen Folgen der COVID 19-Pandemie und die in dieser Zeit deutlich gewordenen Schwachstellen des europäischen Binnenmarktes vor allem in Bezug auf Lieferketten. Während der Pandemie wurden empfindliche Abhängigkeiten von Drittstaaten u.a. bei Waren und Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung (z.B. Impfstoffe oder medizinische Masken) und Halbleitern besonders spürbar.

Andererseits unterstreicht die Mitteilung die Ziele der EU-Kommission, den grünen und digitalen Wandel voranzutreiben, und dafür die unionsrechtlichen, vor allem aber die beihilfenrechtlichen Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen und Veränderungen der Geschäftspraktiken und -modelle zu schaffen. Das von der EU-Kommission in der Mitteilung dargestellte Vorgehen betrifft daher zwei wesentliche Herausforderungen der Wettbewerbspolitik:

  • Wege zum schrittweisen Abbau von auf dem befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des Ausbruchs von COVID-19 beruhenden Krisenmaßnahmen bei gleichzeitiger Schaffung von Anreizen für private Investitionen in der nunmehr laufenden Erholungsphase sowie den
  • Beitrag der Überprüfung und Durchsetzung der Wettbewerbspolitik zu den Bemühungen um den grünen und digitalen Wandel in einem resilienten Binnenmarkt.

Schrittweises Auslaufen des Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des Ausbruchs von COVID-19

Die Mitteilung erläutert das schrittweise Auslaufen des befristeten Rahmens. Dabei nimmt sie vor allem zwei Aspekte in den Blick: Zum einen sollen die im Befristeten Rahmen festgehaltenen Krisenmaßnahmen abgebaut werden. Um jedoch zu vermeiden, dass Unternehmen zu einem Zeitpunkt die öffentliche Unterstützung verlieren, zu dem die Auswirkungen der COVID 19-Pandemie noch fortbestehen, sieht der befristete Rahmen die Verlängerung seiner Anwendbarkeit bis zum 30. Juni 2022 vor. Daneben führt er neue Instrumente ein, um die Wirtschaft anzukurbeln und private Investitionen für eine schnellere, grünere und digitalere Erholung zu mobilisieren. Hierzu zählen:

  • die Investitionsförderung für eine nachhaltige Erholung, mit der durch die COVID-19-Pandemie verursachte Investitionslücken geschlossen werden sollen. Dieses Instrument soll dazu genutzt werden, die Erholung der Wirtschaft in nachhaltiger und zukunftssicherer Weise zu beschleunigen. Es betrifft daher ausschließlich Investitionen mit einem Fokus auf den ökologischen und digitalen Wandel (z.B. Auf- und Ausbau digitaler Infrastruktur, Investitionen in umweltfreundlichere Ausrüstung);
  • das Instrument für Sozialhilfen, um private Mittel zu mobilisieren, damit sie KMU einschließlich Start-Ups und kleineren Unternehmen mittlerer Kapitalisierung für Investitionen zur Verfügung stehen. Das Instrument der Sozialhilfe soll ihnen den Zugang zu Beteiligungsfinanzierungen eröffnen, indem z.B. durch Garantien für Investitionsfonds die Investitionsrisiken für Investitionen in KMU, Start-Ups und Unternehmen mittlerer Kapitalisierung für private Investoren verringert werden.

Beitrag der Wettbewerbspolitik zu einem grünen, digitalen und resilienten Binnenmarkt

Der Grüne Deal („Green Deal“) ist das Zentrum der Perspektive und Wachstumsstrategie der EU-Kommission. Die laufende Überprüfung aller Wettbewerbsinstrumente soll die EU-Wirtschaft in die Lage versetzen, beim grünen und digitalen Wandel die Führung zu übernehmen und die Resilienz des Binnenmarktes zu stärken. Hierzu soll

  • der gerechte Übergang („Just Transition“) hin zur Klimaneutralität ermöglicht werden, indem Investitionslücken geschlossen werden. Insbesondere sollen die neuen Leitlinien für Klima-, Umweltschutz und Energiebeihilfen dazu beitragen, durchdachte Förderprogramme für das Erreichen der Klimaziele zu ermöglichen. Durch eine entsprechende, teilweise noch ausstehende Anpassung der AGVO soll dafür ein kohärenter, zukunftsorientierter und flexibler Rahmen geschaffen werden;
  • die Digitalisierung unterstützt werden, indem auch hier die Investitionslücken geschlossen werden. Dazu sollen vor allem die bereits im letzten Jahr geänderten Leitlinien für staatliche Beihilfen für den Breitbandausbau ein hohes Maß an Breitbandabdeckung und -versorgung sicherstellen. Gemeinsam mit den ebenfalls bereits entsprechend geänderten bzw. neuen AGVO-Tatbeständen sollen sie die gezielte und nachhaltige Einführung von sicheren und leistungsstarken Netzen erleichtern;
  • die Resilienz des Binnenmarktes erhöht werden. Dazu soll es den Unternehmen in der EU ermöglicht werden, ihre Kräfte zu bündeln, um ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten voranzubringen, Erzeugnisse zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten, oder aber auch Waren und Dienstleistungen gemeinsam zu erwerben. Einen Beitrag sollen hierzua. die “Important Projects of Common European Interest” (“IPCEI”) wie z.B. das derzeit laufende IPCEI-Verfahren im Gesundheitssektor (ohne Beteiligung Deutschlands) oder das IPCEI-Verfahren für Mikroelektronik und Kommunikationstechnologie sowie das EU Chips Gesetz leisten. Dadurch soll die Wettbewerbsfähigkeit Europas in diesen sensiblen Sektoren gestärkt werden.

Fazit

Die Mitteilung „Eine Wettbewerbspolitik für neue Herausforderungen“ scheint einen neuen Schwerpunkt für die Beihilfepolitik und das Beihilfenrecht vorzugeben. Die angestrebten Änderungen der Beihilfeinstrumente unterstreichen die Ziele des Grünen Deals und die digitale Souveränität. Welche Folgen dies haben wird, ob dadurch neue Schwerpunkte in der öffentlichen Förderung zu erwarten sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Erste Anzeichen dafür z.B. in Gestalt des deutschen 7. Energieforschungsprogramms oder des spanischen PERTE (Proyectos Estratégicos para la Recuperación y Transformación Económica) sind bereits gegeben.