„Der Handlungsdruck steigt“
Dr. Nicolas Sonder, PwC Legal-Partner und Spezialist für öffentliches Wirtschaftsrecht, berät von Stuttgart aus insbesondere öffentliche Auftraggeber in Baden-Württemberg. Zu seinen Schwerpunkten gehört die rechtliche Begleitung von Digitalisierungsprojekten. Im Interview spricht er über Digitalisierungsbremsen im Öffentlichen Sektor, Handlungsdruck und Lösungswege.
Herr Sonder, welche Herausforderungen hat die Öffentliche Hand in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu bewältigen?
Aus heutiger Sicht sind das vor allem der Personal- und Kostendruck in den öffentlichen Verwaltungen, der Umsetzungsdruck beim Land und den Kommunen hinsichtlich gesetzlicher Vorgaben – sowie die effiziente Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Gebietskörperschaften. Bei alldem ist die Digitalisierung ein hochrelevanter Erfolgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten, den die öffentliche Hand auch in Baden-Württemberg entschlossen anpacken muss.
Warum ist es so wichtig, digitale Lösungen jetzt zu forcieren?
Digitalisierungsprojekte sind komplex, nicht nur in technologischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht. Öffentliche Institutionen, die solche Projekte erfolgreich zum Ziel führen möchten, brauchen dafür vielfältige Kompetenzen und Zeit – erst recht im Zusammenhang mit rechtlichen Themen. Allerdings laufen beispielsweise bald Fristen zur Umsetzung von Gesetzen ab.
Welche meinen Sie?
Im Fokus steht zurzeit vor allem die Verordnung über die elektronische Rechnungsstellung im öffentlichen Auftragswesen des Bundes, die sogenannten eRechnungs-VO. Hier laufen im April und November 2020 Umsetzungsfristen ab. Ebenso wichtig ist das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen, OZG. Hier enden Fristen im Jahr 2022.
Ein bisschen Zeit ist bis dahin aber noch.
Angesichts der Umsetzungskomplexität ist das wirklich nur „ein bisschen“. Zumal wir aus unserem Projektalltag wissen, dass die öffentliche Hand in Baden-Württemberg aufgrund der Vielzahl auch anderer aktueller Themen zum Teil im Rückstand ist. Der Handlungsdruck steigt.
Ist das den Verantwortlichen klar?
Die öffentliche Hand kennt ihre Herausforderungen natürlich. Dort wirken schließlich kompetente und erfahrene Verwaltungsexperten.
Aber?
Digitalisierungsprojekte sind für Verwaltungen schwieriges Neuland. Um beispielsweise auf den Kosten- und Personaldruck reagieren zu können, müssten viele mehr Verwaltungsprozesse optimiert, standardisiert und automatisiert werden als es bislang geschafft wurde. Und die Umsetzungen des OZG und der eRechnungs-VO erfordern jeweils ein eigenes Projektmanagement. Zudem ist auch der Mangel an Technologieexperten im Öffentlichen Sektor ein echtes Problem. Der öffentlichen Hand fällt es nicht leicht, solche Fachkräfte für die Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt zu gewinnen.
„Digitalisierungsprojekte sind hochgradig dynamisch. Dennoch muss die Rechtssicherheit fortlaufend über alle Rechtsgebiete hinweg gewährleistet sein. Das hinzubekommen, ist extrem anspruchsvoll.“
Gibt es Verwaltungsthemen, in denen Digitalisierungskomplexität und Fachkräftemangel Ihrer Erfahrung nach besonders spürbar sind?
Das kann alle Themen betreffen. Nehmen wir exemplarisch die Themen Rechtssicherheit und Beschaffung: Digitalisierungsprojekte sind hochgradig dynamisch. Zugleich muss die Rechtssicherheit fortlaufend über alle Rechtsgebiete hinweg gewährleistet sein. Dies bedeutet – für rechtzeitige und erfolgreiche Projektumsetzungen – exzellente und juristische und pragmatische Herangehensweisen. Das hinzubekommen, ist extrem anspruchsvoll. Und niemand kann erwarten, dass kommunale Rechtsämter plötzlich mit den speziellen Rechtstücken der Digitalisierung vertraut sind. Das wird von PwC Legal als Berater erwartet. Diesem Anspruch werden wir gerecht.
Ergänzen wir noch die Beschaffung. Wo sehen Sie hier Herausforderungen?
Die Beschaffung ist zentral, weil mit der Digitalisierung ein sehr hoher Bedarf an modernsten Infrastrukturen und Informationstechnologien einhergeht. Die Beschaffungen müssen schnell und rechtssicher erfolgen. Allerdings sind viele öffentliche Vergabestellen weder in der Beschaffung von modernen Digitalisierungslösungen noch mit innovativen, beschleunigenden Vergaberechtsinstrumenten erfahren. Die Beteiligten lernen täglich hinzu und leisten Enormes.
Sie sprachen anfangs von der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und den Kommunen. Wie hängt diese mit der Digitalisierung zusammen?
Die Zusammenarbeit zwischen beispielsweise dem Land Baden-Württemberg und seinen Kommunen wird künftig vor allem über digitale Tools funktionieren. Deren Entwicklung und Umsetzung steht noch am Anfang, während die Wirtschaft übrigens deutlich weiter ist. Das heißt: Wollen wir Kollaboration intensivieren, müssen wir mehr digitalisieren. Allerdings fehlt bislang eine effiziente Governance dafür. In Baden-Württemberg ist der Landes-Dienstleister ITEOS hierfür ein zentraler Partner der Kommunen. Doch auch ITEOS ist mit der Vielzahl der Projekte und anfragenden Kommunen extrem beansprucht.
Welche öffentlichen Institutionen sind von den genannten Problemen am meisten betroffen?
Vor allem die Städte, Landkreise und interkommunalen Verbünde.
Weshalb gerade sie?
Auf Städten und Landkreisen lastet letztlich der Druck, eine erfolgreiche und rechtssichere Digitalisierung in das Leben der Bürger und Unternehmen zu tragen. Von interkommunalen Verbünden wiederum wird erwartet, Synergien zu schaffen und die Themen somit breiter und skalierbarer auszurollen. Jedoch werden die Verbünde häufig von komplizierten Organisationsstrukturen und langwierigen Entscheidungsfindungen gebremst. Womit wir wieder bei der Herausforderung Prozesseffizienz wären, die eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte ist.
Wie unterstützt PwC den Öffentlichen Sektor in Baden-Württemberg?
Indem wir die personellen Kapazitäten unserer Kunden mit erfahrenen Expertinnen und Experten bedarfsgerecht ergänzen und gemeinsam mit den Kunden deren Organisationsstrukturen und Digitalisierungsprojekte prüfen und optimieren. Schlankere rechtliche Handlungsformen und auf digitale Zielprozesse ausgerichtete Strukturen ermöglichen schnellere Projektefolge. Der Weg zum Ziel ist oft sehr fordernd – und zugleich erfüllend, zumal diese Aufgabe allen Bürgerinnen und Bürgern zu Gute kommt.
Was fordert Sie besonders?
Unter anderem die intensive Kommunikation. Wir müssen schließlich sehr viele Entscheider, Bedarfsträger, Vergabestellen und deren teils widerstrebende Interessen zusammenbringen. Erst wenn das gelingt, können wir sie effektiv dabei unterstützen, etwa mit innovativen Instrumenten des Vergaberechts und gleichbleibender Rechtssicherheit die Beschaffung marktgerecht und schneller zu machen. Last but not least stehen wir der öffentlichen Hand als funktionaler, integrierter Rechtsdienstleisters bei allen Rechtsfragen im Projektmanagement der Digitalisierung zur Verfügung – mit kurzen Reaktionszeiten und klarer Guidance.
„Wenn wir Digitalisierungsprojekte ganzheitlich bearbeiten, sind neben der Rechtsexpertise auch Strategie-, Technologie- sowie Organisations- und Personalberatungen gefragt. Die Kunden schätzen unseren interdisziplinären Ansatz.“
Wie sieht so etwas in der Praxis aus?
Wir haben zum Beispiel in einer Kommune erlebt, dass dort in Sachen Digitalisierung viel bewegt werden soll, aber die Beschaffung zu Kontroversen führt. Dort haben wir zunächst in einem Kick Off-Workshop mit allen Stakeholdern – also mit dem Chief Digital Officer, den Amtsvertretern und den Vergabestellen – die Ausgangssituation und die Bedürfnisse aller Beteiligten analysiert. Daraus haben wir ein Zielbild für eine innovative Beschaffung und für entsprechende Vergabeverfahren abgleitet. Daraufhin haben wir einen Leitfaden für alle Beteiligten entwickelt. Zurzeit wird dieser Leitfaden in einem Politprojekt in die Praxis überführt. Auch diesen Prozess begleiten wir.
Das Recht ist nur ein Thema bei der Digitalisierung im Öffentlichen Sektor. Arbeiten Sie eher abgegrenzt oder eher vernetzt mit anderen Disziplinen?
Wenn wir Digitalisierungsprojekte ganzheitlich bearbeiten, sind neben der Rechtsexpertise auch Strategie-, Technologie- sowie Organisations- und Personalberatungen gefragt. Die Kunden schätzen unseren interdisziplinären Ansatz Ein aktuelles Projektbeispiel ist die Entwicklung einer Gesamtdigitalisierungsstrategie für eine baden-württembergische Stadt. Hier sind wir gefordert, die Ausgangssituation, die Ziele, die Lücken und alle Maßnahmen wirtschaftlich, strategisch und rechtlich ganzheitlich zu begleiten.
Kann PwC Legal sicherstellen, dass Kunden genau die Interdisziplinarität bekommen, die sie brauchen?
Absolut. Darauf verlässt sich der Öffentliche Sektor bei PwC seit Jahrzehnten. Wir verfügen über zahlreiche hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die allein in den vergangenen Jahren in diversen interdisziplinären Kundenprojekten tätig waren.
Aus welchen Spezialisten bestehen solche Teams?
Aus Rechtsanwälten, Strategieberatern, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und bei Bedarf auch aus Big Data-Experten und anderen Kapazitäten.
Sie sind nicht nur Rechtsexperte für digitale Services des Öffentlichen Sektors, sondern eben auch Nutzer der Tools. Wenn Sie in Sachen Digitalisierung der öffentlichen Hand in Baden-Württemberg einen Wunsch frei hätten – welcher wäre das?
Ich habe mindestens zwei (lacht). Erstens möchte nie mehr wegen meines Autos oder wegen meines Reisepasses ein Amt aufsuchen müssen. Ich wünsche mir die Ämter im Smartphone. Und zweitens sollten wir Digitalisierung als Chance verstehen, um Bürokratie, Mobilität, Klimaschutz und andere gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern.
Vielen Dank für das Gespräch.