Litigation, Arbitration

Bundesjustizministerium veröffentlicht Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und Einführung von Commercial Courts

Verfasst von

Dr. Anne Grunwald

Im Januar 2023 hat das BMJ ein Eckpunktepapier für einen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung sog. „Commercial Courts“ vorgelegt. Das Vorhaben soll das bereits im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel verwirklichen, englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten zu schaffen.

Bestandsaufnahme

Wenn es um internationale Wirtschaftsstreitigkeiten geht, ist die Liste der Kritikpunkte aus der Anwaltschaft am deutschen Zivilprozess lang. Dies fängt schon bei der Sprache an: Die vorherrschende Sprache im internationalen Wirtschaftsverkehr ist Englisch. Nicht nur die Verträge, auch jegliche Kommunikation erfolgt zwischen Parteien unterschiedlicher Landessprache in der Regel auf Englisch. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung ermöglichen englischsprachige Verfahren allerdings nur eingeschränkt. Zwar können die Beteiligten vor Gericht einvernehmlich in englischer Sprache verhandeln, alle Schriftsätze und Urkunden sind jedoch auf Deutsch einzureichen. Da sich allein die Vertragsdokumentation bei Unternehmenstransaktionen auf über hundert Seiten belaufen kann, bedeutet dies für die Parteien einen erheblichen Übersetzungsaufwand.

Auch die mangelnde Digitalisierung des Zivilprozesses ist immer wieder Gegenstand von Kritik. Der deutsche Gesetzgeber hat zwar in den letzten Jahren die Digitalisierung des Verfahrens vorangetrieben. So erfolgt die Korrespondenz zwischen Anwälten und Gerichten jedenfalls seitens der Anwaltschaft flächendeckend elektronisch. Auch die Einführung der Videoverhandlung durch § 128a ZPO ist zumindest in der Theorie ein gewichtiger Schritt Richtung Digitalisierung. In der Praxis bleibt sie jedoch nach wie vor die selten anzutreffende Ausnahme.

Im Zuge der pandemiebedingten Digitalisierung des Arbeitslebens hat sich das technische Auseinanderdriften von Privatwirtschaft und Justiz noch verstärkt. Im Januar 2021 hat daher eine im Auftrag der Oberlandesgerichte und des BGH eingerichtete Arbeitsgruppe diverse Vorschläge zur Modernisierung des Zivilprozesses erarbeitet. Dazu gehört auch die Einführung des seit Langem vielfach geforderten und in Schiedsverfahren üblichen Wortprotokolls für Vernehmungen. Ein zu begrüßender Schritt, denn auch wenn die richterliche Zusammenfassung von Zeugen- oder Parteivernehmungen Zeit und Kosten sparen mag, die Gefahr liegt auf der Hand, dass damit der Gehalt von Aussagen verändert wird.

Ziel und Inhalt des Eckpunktepapiers

Das BMJ möchte nun mit dem Gesetzgebungsvorhaben ein „attraktives Gesamtpaket“ auf den Weg bringen und Unternehmen ein an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles und effizientes Gerichtsverfahren anbieten. Die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Ziviljustiz soll in Wirtschaftsstreitigkeiten national und international gestärkt, ein Abwandern in andere Rechtsordnungen oder die Schiedsgerichtsbarkeit verhindert werden.

Darüber hinaus geht es dem BMJ darum, die Rechtsfortbildung im Bereich der Wirtschaftsstreitigkeiten voranzutreiben, ein in der Praxis häufig vorgebrachtes Anliegen, da schiedsgerichtliche Entscheidungen in der Regel nicht veröffentlicht werden.

Das Eckpunktepapier nennt fünf Leitlinien für den kommenden Gesetzesentwurf:

  • Das Verfahren soll vollständig auf Englisch vor den Landgerichten geführt werden können. Hierfür müssen die Parteien sich auf die Sprache einigen und einen sachlichen Grund für die Prozesssprache haben.
  • An den Oberlandesgerichten sollen Commercial Courts als Spezialsenate in Handelssachen eingeführt werden können. Ab einem gewissen Streitwert (ca. 1 Mio. €) können die Commercial Courts auch Eingangsinstanz für Streitigkeiten sein, sodass die Parteien den Instanzenzug verkürzen können. Die Senate sollen Zugang zu moderner technischer Ausstattung erhalten und mit fachlich spezialisierten Richter:innen besetzt werden, die über gute englische Sprachkenntnisse verfügen. Vor diesen Spezialsenaten soll es auch möglich sein, ein Wortprotokoll erstellen zu lassen. Kostenrechtlich richten sich die Commercial Courts nach den Kosten für Verfahren vor den Oberlandesgerichten.
  • Die Revision zum BGH soll grundsätzlich ebenfalls auf Englisch erfolgen können, sofern der zuständige Senat zustimmt. Sowohl die Urteile des BGH als auch die der Commercial Courts ergehen in englischer Sprache, werden jedoch zur Veröffentlichung ins Deutsche übersetzt.
  • Um Geschäftsgeheimnisse im Prozess besser zu schützen, sollen die Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz auf den gesamten Zivilprozess Anwendung finden. Damit soll insbesondere schon im Zeitpunkt der Klageerhebung die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen werden können.
  • Im gesamten Verfahren soll der Einsatz von Videoverhandlungen weiter gestärkt und flexibler gestaltet werden.

Bisherige Erfahrungen auf Länderebene und Herausforderungen für den Gesetzgebungsprozess

Zur Einführung von Commercial Courts gab es bereits Pilotprojekte in einigen Ländern. So verfügt Baden-Württemberg mit Commercial Courts an den Landgerichten Stuttgart und Mannheim, die von spezialisierten Rechtsmittelsenaten an den Oberlandesgerichten Stuttgart und Karlsruhe flankiert werden, über ein System, das dem des Eckpunktepapiers bereits nahekommt. Seit November 2020 werden dort Wirtschaftsstreitverfahren ab einem Streitwert von 2 Mio. € geführt. Auch die Landgerichte Köln, Bonn, Frankfurt, Hamburg und Berlin bieten englischsprachige Verhandlungen in wirtschaftlich spezialisierten Kammern an.

Allerdings zeigen die auf Länderebene bislang gemachten Erfahrungen, dass allein das Angebot englischsprachiger Verfahren und spezialisierter Kammern bzw. Senate noch nicht zu einem Zulauf wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten mit hohen Streitwerten führt. In der Literatur werden zu den Spezialkammern überwiegend überschaubare Fallzahlen berichtet, sodass sie statistisch an den Landgerichten noch keine nennenswerte Rolle spielten. 

Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass die Spezialkammern noch wenig Bekanntheit in der Anwaltschaft genießen und sich noch etablieren müssen. Es kann aber auch Ausdruck dessen sein, dass das Verfahrensrecht nicht der entscheidende Faktor bei der Wahl des Gerichtsstands ist. Vielmehr folgt der Gerichtsstand in der Regel der Wahl des materiellen Rechts. In internationalen Geschäftsbeziehungen haben beide Parteien ein Interesse daran, ihr „Heimrecht“ als die ihnen vertraute Rechtsordnung zu vereinbaren. Welche Partei sich durchsetzt, folgt leider weniger sachlichen Erwägungen als vielmehr der Verhandlungsposition der Parteien in den Vertragsverhandlungen.

Wer ausländische Akteure für „Law made in Germany“ begeistern möchte, steht daher vor grundlegenderen Herausforderungen als einer bloßen Anpassung des Verfahrensrechts. Dies beginnt bei ganz praktischen Problemen: Das deutsche Recht ist nur in deutscher Sprache zugänglich. Es gibt keine aktuellen, staatlich verbürgten Übersetzungen von BGB, ZPO oder GVG, die englischsprachigen Expert:innen einen Eindruck über das deutsche Recht vermitteln könnten. Dasselbe gilt auch für Urteile und die Sekundärliteratur wie Kommentare oder Zeitschriften.

Darüber hinaus eröffnen die Generalklauseln des BGB Raum für einen gewissen richterlichen Interventionismus, mit dem nicht selten Vertragswerke, insbesondere AGB, rückblickend im Sinne einer allgemeinen Billigkeit korrigiert werden. Dies mag bei Rechtstreitigkeiten mit Verbrauchern seine Berechtigung haben, im internationalen Wirtschaftsverkehr zwischen Unternehmen wirkt es eher abschreckend. Denn hier zählt vor allem Rechtssicherheit, dass vertraglich getroffene Absprachen durch Gerichte später respektiert werden.

Wichtiger Faktor für die Akzeptanz der Commercial Courts wird schließlich auch deren Besetzung sein. Zweifellos müssen die entscheidenden Richter:innen über ausgewiesene Erfahrung in Wirtschaftsstreitigkeiten verfügen, um potenziellen Parteien Vertrauen in die nötige Sachkompetenz zu vermitteln. Aber selbst hohe Anforderungen an die Auswahl der Richter:innen ändern nichts an dem Umstand, dass bislang z.B. im Bereich der Unternehmenskäufe, dem Paradebeispiel für Streitigkeiten, die typischerweise vor Schiedsgerichten ausgetragen werden, praktisch keine Judikatur existiert. Staatliche Gerichte haben sich mit dieser Materie noch kaum beschäftigt. Woher soll dann aber die nötige Erfahrung der Richter:innen mit diesen sehr speziellen Vertragswerken kommen? Dem kann man begegnen, indem man die Durchlässigkeit der Justiz für Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft verbessert, denn derzeit finden Wechsel aus der Anwaltschaft ins Richteramt nach den ersten Berufsjahren faktisch kaum noch statt. Außerdem wäre denkbar, das Verfahren vor den Commercial Courts auch bei der Richterauswahl in einem Modellversuch dem Schiedsverfahren anzunähern und den Parteien zu gestatten, jeweils einen oder eine Schiedsrichterin zu benennen, die gemeinsam mit einem oder einer Berufsrichterin das Verfahren führen. 

Nachfrage für Commercial Courts ungeklärt

Trotz breiter Diskussion der Commercial Courts in Rechtswissenschaft und Praxis kommt der Blick auf die Nachfrageseite für derartige Spezialkammern oder Senate bislang zu kurz. Dies wäre aber dringend nötig, denn selbst ein exzellent konzipiertes Prestigeprojekt wird zum Ladenhüter, wenn dafür kein ausreichender „Markt“ existiert. Daher gilt es, grundsätzliche Hypothesen, die den Anstoß für die Initiative des BMJ gegeben haben, empirisch zu hinterfragen, bevor breitflächig in Commercial Courts investiert wird. Richtig ist, dass die Eingangszahlen der Verfahren vor den Zivilgerichten seit Jahren rückläufig sind. Die Gründe für diese Entwicklung versucht das BMJ gegenwärtig mit einem Forschungsvorhaben zum Rückgang zivilgerichtlicher Verfahren zu ermitteln. Der Rückgang von Rechtsstreitigkeiten ist aber nicht per se negativ zu bewerten. Er muss insbesondere nicht Ausdruck dafür sein, dass Wirtschaftsstreitigkeiten zu Schiedsgerichten oder in andere Rechtsordnungen verlagert werden. Dagegen spricht, dass der Rückgang der Fallzahlen am stärksten die Amtsgerichte betrifft, deren Verfahren jedoch nicht zu Schieds- oder ausländischen Handelsgerichten abgewandert sein dürften. Auch die Eingangszahlen des Deutschen Instituts für Schiedsgerichtsbarkeit legen keinen Abfluss von Wirtschaftsstreitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit nahe. Bei internationalen Schiedsinstitutionen wie dem ICC ist die Anzahl von Verfahren mit Beteiligung deutscher Parteien ebenfalls gering, sodass sie zumindest noch nicht als Konkurrenz zur staatlichen Gerichtsbarkeit gelten können.

Eng damit verknüpft ist die Frage, wie groß überhaupt der Bedarf für spezialisierte Commercial Courts ist. Laut den Zahlen des statistischen Bundesamts lag der Anteil an Verfahren mit Streitwerten über 1 Mio. € vor den Landgerichten in 2021 insgesamt bei unter einem Prozent, wovon internationale Wirtschaftsstreitigkeiten nur einen Bruchteil ausgemacht haben dürften. Auch hier gilt es also, kritisch zu hinterfragen, ob in der Praxis zu der Lösung „Commercial Court“ auch das passende Problem existiert. Die Spezialkammern oder Senate können „am Markt“ nur glaubhaft Expertise vermitteln, wenn sie nennenswerte Fallzahlen erreichen, ohne dabei zum Bauchladen für jede Art von Streitigkeiten zwischen Unternehmen werden. Von vielen Seiten wird daher mit gutem Grund gefordert, zunächst einmal mit wenigen Pilotstandorten zu starten, um Anzahl und Zuständigkeit der Commercial Courts anhand der gemachten Erfahrungen besser auf die Nachfrage zuschneiden zu können.

Fazit

Das Eckpunktpapier kann ein guter erster Schritt sein, um die Attraktivität von Deutschland als Gerichtsstandort zu erhöhen. Die Herstellung der Konkurrenzfähigkeit deutscher Gerichte in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten muss aber ganzheitlich und nicht nur aus Verfahrenssicht gedacht werden. Überdies ist eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Bedarf an derartigen Spezialkammern und den damit auf Länderebene gemachten Erfahrungen erforderlich. Die rege Diskussion der Commercial Courts in der juristischen Fachwelt sollte nicht den Blick dafür verstellen, dass nicht nur Unternehmen, sondern alle Parteien ein berechtigtes Interesse an einem bedürfnisorientierten, schnellen und effizienten Gerichtsverfahren haben. Eine moderne technische Ausstattung und ein effizientes Verfahren sollten daher in sämtlichen Gerichtsprozessen selbstverständlich sein und nicht nur wenigen Verfahren vor speziellen Commercial Courts vorbehalten bleiben.  

 

Die Autorin dieses Beitrages ist Dr. Anne Grunwald.

Das Litigation-Team von PwC Legal verfügt über weitreichende Expertise bei der Durchsetzung von Ansprüchen und der Anspruchsabwehr in Post-M&A-Streitigkeiten. Auseinandersetzungen bei Unternehmenskäufen entstehen häufig durch die Verletzung von Garantieklauseln in Unternehmenskaufverträgen, Verstöße gegen vorvertragliche Aufklärungspflichten oder im Zusammenhang mit Kaufpreisbemessungsklauseln. Um das bestmögliche Ergebnis für unsere Mandanten zu erreichen, arbeiten wir eng mit den auf Post-M&A-Litigation spezialisierten Expert:innen der PwC WPG zusammen.

Kontaktieren Sie uns