Kartell-, Vergabe- und Beihilfenrecht

Befristeter Krisenrahmen der EU-Kommission zur Unterstützung der Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg

Verfasst von

Dr. Simone Merkl

Hintergrund und Anwendungsbereich

Als Teil ihres Maßnahmenpakets im Zusammenhang mit dem seit Februar 2022 andauernden Kriegs in der Ukraine hat die EU-Kommission am 23. März 2022 einen „Befristeten Krisenrahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine“ (C (2022) 1890 final) (nachfolgend: Befristeter Rahmen) erlassen. Die EU-Kommission legt darin die Kriterien fest, nach denen sie Beihilfen der Mitgliedstaaten als mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen „zur Behebung einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens“ i.S.d. Art. 107 Abs. 3 lit b.) AEUV einstufen wird. Sie ermöglicht somit ein koordiniertes Vorgehen in der EU-Beihilfenpolitik und schafft eine verlässliche Grundlage für die Mitgliedstaaten bei der Planung ihrer Mittelgewährungen. Damit ähnelt dieser Rahmen dem Befristeten Rahmen von 2020 zur Abfederung der wirtschaftlichen Nachteile durch die Covid-19-Pandemie.

Inhaltlich fokussiert der Befristete Rahmen auf die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in Folge des Krieges von gestörten Lieferketten, Nachfragerückgängen, Liquiditätsengpässen oder Unterbrechung bestehender Projekte betroffen oder durch gestiegene Energiepreise stark belastet sind. Die EU-Kommission betont in diesem Zusammenhang, dass sie Maßnahmen zugunsten nichtgewerblicher und gewerblicher Energieverbraucher nicht als (legitimationsbedürftige) Beihilfen einstuft, sofern sie allgemeiner Art, d.h. kein bestimmtes Unternehmen selektiv begünstigen (z.B. in Form von sozialen Sonderzahlungen oder Steuer- und Abgabenermäßigungen).

Explizit nicht unterstützt werden dürfen auf Basis des Befristeten Rahmens Personen, Unternehmen oder Wirtschaftszweige, gegen die die EU Wirtschaftssanktionen verhängt hat, um nicht durch die Beihilfen die Ziele der Sanktionen zu untergraben.

Kumulationsmöglichkeiten

Die Beihilfen nach dem Befristeten Rahmen dürfen grundsätzlich (i) miteinander, (ii) mit Beihilfen, die unter den Befristeten Covid-19 Rahmen fallen sowie (iii) mit Beihilfen, die nach den allgemeinen sekundärrechtlichen Verordnungen (De-Minimis-Verordnung, Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) von der Anmeldepflicht freigestellt sind, kumuliert werden. Dies dürfte auch für Beihilfen gelten, die nach dem Freistellungsbeschluss legitimiert sind.

Gewährung begrenzter Beihilfebeträge

Zulässig ist die Gewährung begrenzter Beihilfebeträge, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Einem Unternehmen werden nicht mehr als € 400.000 Gesamtbeihilfe gewährt; hierbei dürfte es auf den Unternehmensverbund, d.h. die „economic unit“ ankommen.
  • Die Beihilfe wird in Form von direkten Zuschüssen, Steuervorteilen oder Vergünstigungen in Bezug auf andere Zahlungen oder etwa in Form von rückzahlbaren Vorschüssen, Garantien, Darlehen oder Eigenkapital gewährt, sofern der Gesamtnennbetrag der Maßnahmen € 400.000 (brutto, d.h. vor Abzug von Steuern und sonstigen Steuern) nicht übersteigt.
  • Die Beihilfe wird auf Basis einer Beihilferegelung mit geschätzter Mittelausstattung und
  • bis spätestens 31. Dezember 2022 gewährt;
  • Das Unternehmen ist von der Krise betroffen

bei Unternehmen, die in der Verarbeitung und Vermarktung bzw. Primärproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder im Fischerei- und Aquakultursektor tätig sind, sind zusätzliche Voraussetzungen einzuhalten. Bei Primärproduzenten von landwirtschaftlichen Erzeugnissen darf die Gesamtbeihilfe z.B. den Wert von € 35.000 je Unternehmen nicht überschreiten; bei Unternehmen, die in der Verarbeitung und Vermarktung tätig sind, ist sicherzustellen, dass sie die Beihilfen nicht an die Primärproduzenten weiteleiten.

Liquiditätshilfen in Form von Garantien

Voraussetzung für eine Liquiditätshilfe in Form von Garantien ist:

  • Es handelt sich um eine staatliche Garantie für ein neues Einzeldarlehen an ein Unternehmen (Investitions- oder Betriebsmittelkredit);
  • Je Einzeldarlehen wird grundsätzlich eine Garantieprämie mit einer festgelegten Mindesthöhe erhoben, die bei längerer Laufzeit schrittweise steigt. Die Mitgliedstaaten dürfen indes auch individuelle Regelungen in Bezug auf die Prämien anmelden (z.B. könnte ein geringerer Garantieumfang eine längere Laufzeit ausgleichen oder niedrigere Garantieprämien ermöglichen).
  • Der Gesamtdarlehensbetrag je Empfänger darf nicht höher sein als (i) 15% des durchschnittlichen jährlichen Gesamtumsatzes des Empfängers in den letzten 3 Rechnungsperioden oder (ii) 50% der Energiekosten in den 12 Monaten vor dem Monat der Einreichung des Beihilfeantrags. Sofern der Mitgliedstaat dies begründet, darf der Darlehensbetrag erhöht werden, um den  Liquiditätsbedarf für die folgenden 12 Monate ab Gewährung bei KMU bzw. 6 Monate bei großen Unternehmen zu decken.
  • Die Garantie wird spätestens am 31. Dezember 2022 gewährt und ist auf max. 6 Jahre begrenzt;
  • Die Garantie übersteigt 90% des Darlehensbetrags nicht (bei gleicher Verteilung des Verlusttragungsrisikos von Staat und Kreditinstitut) bzw. 35% des Darlehensbetrags (bei Erstausfallgarantie des Staates); in beiden Fällen ist der von der Garantie gedeckte Betrag anteilig anzupassen, wenn der Darlehensbetrag im Laufe der Zeit sinkt;
  • Die Gewährung erfolgt direkt oder über Kredit-/Finanzinstitute an den Endempfänger.

Liquiditätshilfen in Form zinsvergünstigter Darlehen

Für die Gewährung eines zinsvergünstigten Darlehens (Investitions- und Betriebsmittelkredit) gilt:

  • Die Darlehen werden zu einem ermäßigten Zinssatz gewährt, der mindestens dem am 1. Februar 2022 oder zum Zeitpunkt der Anmeldung verfügbaren Basiszinssatz zzgl. von im Beihilferahmen angegebenen Kreditrisikomargen entspricht; alternativ dürfen die Mitgliedsaaten individuelle Regelungen anmelden.
  • Die Darlehensverträge werden spätestens am 31. Dezember 2022 unterzeichnet mit einer Laufzeit von höchstens 6 Jahren.
  • Der Darlehensbetrag ist beschränkt (siehe vorstehend unter c) die diesbezüglichen Ausführungen hierzu);
  • Die Gewährung erfolgt direkt an den Endempfänger oder an Kredit-/Finanzinstitute als Finanzintermediäre; eine Gewährung an Kredit- oder andere Finanzinstituten für dessen eigene Zwecke ist ausgeschlossen.

Zu beachten ist, dass die Gewährung eines zinsvergünstigen Darlehens und einer Garantie sich gegenseitig ausschließen, d.h. einem Unternehmen für ein zinsvergünstigtes Darlehen nicht zugleich dafür eine Garantie gewährt werden darf. Es ist lediglich möglich, einem Unternehmen ein Darlehen und eine Garantie für ein anderes Darlehen auf Basis des Befristeten Rahmens zu gewähren, sofern der Gesamtdarlehensbetrag je Empfänger die Schwellenwerte nicht übersteigt.

Beihilfen als Ausgleich für Mehrkosten auf Grund stark gestiegener Erdgas- und Strompreise

Beihilfen zur Abmilderung des außergewöhnlich starken Anstiegs der Energiepreise sind nach der EU-Kommission unter folgenden Voraussetzungen mit dem Binnenmarkt vereinbar:

  • Die Beihilfe wird spätestens am 31. Dezember 2021 gewährt;
  • Die Beihilfe wird in Form von direkten Zuschüssen, Steuervorteilen oder Vergünstigungen in Bezug auf andere Zahlungen oder etwa in Form von rückzahlbaren Vorschüssen, Garantien, Darlehen oder Eigenkapital gewährt. Eine Umwandlung vorrübergehender Mittelgewährungen in Zuschüsse ist hierbei bis zum 30. Juni 2023 möglich.
  • Die Beihilfe wird auf Basis einer Beihilferegelung mit geschätzter Mittelausstattung gewährt. Die Mitgliedstaaten dürfen hierbei die Beihilfe auf Tätigkeiten zur Stützung bestimmter Wirtschaftsbereiche beschränken, die für die Wirtschaft oder für die Sicherheit und Krisenfestigkeit des Binnenmarkt von besonderer Bedeutung sind.
  • Die Gesamtbeihilfe je Unternehmen beläuft sich auf nicht mehr als 30% der beihilfefähigen Kosten oder mehr als € 2 Mio. Die beihilfefähigen Kosten berechnen sich aus einer Formel, die auf einem Vergleich des Anstiegs der Erdgas- und Stromkosten zwischen dem Zeitraum 01. Februar 2022 bis spätestens 31. Dezember 2022 („förderfähiger Zeitraum“) zum Zeitraum 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 beruht.

Bestimmungen für „Energieintensive Betriebe“

„Energieintensive Betriebe“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 a) UAbs. 1 der Energiebesteuerungsrichtlinie sind wie nachfolgend besonders privilegiert, soweit ihnen Betriebsverluste entstehen, d.h. ihr EBITDA im beihilfefähigen Zeitraum negativ ist und der Anstieg der beihilfefähigen Kosten sich auf mindestens 50% des Betriebsverlusts im beihilfefähigen Zeitraum beläuft:

  • Die Gesamtbeihilfe darf sich auf höchstens 50% der beihilfefähigen Kosten und auf höchstens 80% der Betriebsverluste des Unternehmens belaufen;
  • Die Gesamtbeihilfe übersteigt € 25 Mio. je Unternehmen nicht.
  • Bei bestimmten energieintensiven Unternehmen (siehe Anhang des Befristeten Rahmens) gelten noch höhere Schwellenwerte (z.B. Anstieg der Gesamtbeihilfe auf bis zu 70% der beihilfefähigen Kosten; maximaler Gesamtbeihilfebetrag von € 50 Mio.).

Ausblick

Der Befristete Rahmen der EU-Kommission ist erst vor wenigen Tagen erlassen worden. Damit steht gegenwärtig noch nicht fest, ob und welche Beihilferegelungen die Bundesrepublik auf seiner Grundlage schaffen wird. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Bundesrepublik – auch mit Blick auf ihren Umgang mit dem Befristeten Covid 19-Rahmen – zügig dem Befristeten Rahmen entsprechende Rechtsgrundlagen erlassen und bei der EU-Kommission notifizieren wird.