BAG stärkt Equal Pay: Paarvergleich genügt – keine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ erforderlich
Entgeltgleichheit neu justiert: BAG kippt Median- und Gruppenhürden
Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt: Für die Vermutung einer geschlechtsbedingten Entgeltbenachteiligung genügt bereits der Paarvergleich mit einem besser bezahlten Kollegen des anderen Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Zusätzliche Hürden wie eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ der Benachteiligung, die Größe der Vergleichsgruppe oder die Höhe von Medianentgelten spielen für das Eingreifen der Vermutungswirkung keine Rolle. Das Verfahren wurde an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit geprüft wird, ob der Arbeitgeber die Vermutung mit objektiven, nicht geschlechtsbezogenen Gründen widerlegen kann.
Sachverhalt
Ausgangspunkt des Verfahrens ist die seit vielen Jahren bei Daimler Trucks beschäftigte Abteilungsleiterin, die nach einer Elternzeit feststellte, dass sie deutlich schlechter verdient als männliche Kollegen in vergleichbarer Position. Sie stützte sich unter anderem auf Informationen aus einem unternehmensinternen Entgelttransparenz-Dashboard, das getrennt nach Geschlechtern Medianwerte für bestimmte Vergleichsgruppen ausweist, und benannte einen konkret besser bezahlten männlichen Kollegen als Vergleichsperson. Das Landesarbeitsgericht Stuttgart sprach der Klägerin zwar eine Entschädigung von rund 130.000 Euro für vier Jahre zu, orientierte sich dabei aber am Median der männlichen Abteilungsleiter und verneinte einen Anspruch auf volle Angleichung an den besonders gutverdienenden Kollegen. Gegen diese Begrenzung wandte sich die Klägerin – unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte – in der Revision zum BAG.
Entscheidung des BAG (Urteil vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24)
Das Bundesarbeitsgericht hält an seinem bisherigen Ansatz fest und verweist zugleich auf die verbindlichen Vorgaben des europäischen Rechts. Für die Erhebung der Klage genügt es, eine männliche Vergleichsperson mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu benennen, die besser verdient. Gelingt dies, greift die Vermutung einer Diskriminierung; der Arbeitgeber trägt dann die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sachliche Gründe die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die vom Landesarbeitsgericht zwischenzeitlich postulierte Orientierung an Medianwerten als Maßstab für die Anspruchshöhe ist damit vom Tisch: Kann der Arbeitgeber die Vermutung nicht widerlegen, hat die Klägerin Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie der konkret benannte Kollege – nicht lediglich auf den Median der männlichen Vergleichsgruppe. Zugleich hat das BAG den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Dort erhält der Arbeitgeber die Gelegenheit, konkrete Gründe für die Entgeltunterschiede nachzuliefern, und auch die Klägerin kann ihren Vortrag ergänzen, etwa zur Vergleichbarkeit bei aktienbasierten Vergütungsbestandteilen, die sie bislang einem unternehmensweit besonders hoch vergüteten, anonymen „Super-Kollegen“ zugeordnet hatte. Die Vorsitzende Richterin hat betont, dass die Intransparenz eines Entgeltsystems eine Nachlieferung von Gründen nicht ausschließt, die Vorinstanz aber zu prüfen hat, ob diese Gründe die Vermutung tatsächlich zu entkräften vermögen.
Einordnung und praxisrelevante Klarstellungen
Die Entscheidung stellt die unionsrechtliche Vermutungslogik in den Vordergrund und verschiebt den Fokus weg von statistischen Aggregaten wie Medianen hin zum konkreten Paarvergleich. Für die Praxis stärkt dies die Durchsetzung von Entgeltgleichheit: Wer eine Person des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit findet, die besser vergütet wird, löst die Vermutung einer Diskriminierung aus; der Arbeitgeber muss dann mit objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien gegenhalten.
Für die Praxis bedeutet das eine spürbare Stärkung der Durchsetzung von Entgeltgleichheit. Arbeitnehmer/innen können sich künftig mit größerer Aussicht auf Erfolg auf den Vergleich mit einem einzelnen besser bezahlten Kollegen stützen. Arbeitgeber sind im Gegenzug gefordert, die Vermutung substantiiert zu entkräften, also darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass ausschließlich objektive, nicht geschlechtsbezogene Gründe die Entgeltdifferenz erklären. Ein intransparentes Entgeltsystem erschwert diese Widerlegung zusätzlich. Die Vorinstanz wird deshalb weniger an der Schwelle zur Vermutungswirkung, sondern primär an der Widerlegung durch den Arbeitgeber anzusetzen haben. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung weg von komplexen Median- und Gruppenbetrachtungen hin zur Prüfung, ob der konkrete Entgeltunterschied sachlich erklärt werden kann.
Mit Spannung abzuwarten bleibt die gesetzgeberische Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie in deutsches Recht.