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Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferverträge

Die Corona-Pandemie
Das Coronavirus SARS-CoV-2 und die damit verbundenen COVID 19 Erkrankungen bringen gravierende Herausforderungen für uns alle mit sich. Die Gesundheit der Menschen und die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems stehen zu Recht an vorderster Stelle. Daneben erleben wir alle, dass Fabrikschließungen, Grenzschließungen und Reisebeschränkungen massive Auswirkungen auf die Wirtschaft und insbesondere auch die Lieferketten haben. In China standen viele Fabriken wochen- und monatelang still, was sich in der globalisierten Weltwirtschaft nunmehr auch durch Ausfälle oder Verzögerungen von Warenlieferungen zeigt. In mehreren EU-Mitgliedstaaten ist es in den letzten Tagen zu Ausgangssperren gekommen, was weitere negative Folgen für den europäischen Wirtschaftsverkehr haben wird.

In diesem Zusammenhang wird bezüglich vertraglicher Pflichten häufig von höherer Gewalt und einem etwaigen Wegfall der Geschäftsgrundlage gesprochen.

Nachfolgend möchten wir Ihnen einen Überblick über die Rechtslage geben, der Ihnen eine erste Einschätzung Ihrer Rechte und Pflichten in Lieferbeziehungen erleichtern soll, die von der Coronakrise betroffen sind.

Wie sind die rechtlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Lieferverträge?
Die Antwort auf diese Frage hängt einerseits davon ab, welches Recht auf den in Rede stehenden Liefervertrag Anwendung findet, und ist zum anderen davon beeinflusst, welche Regelungen im Einzelfall in dem jeweiligen Vertrag getroffen wurden. So beinhalten viele internationale Lieferverträge häufig Force-Majeure-Klauseln, die in Fällen höherer Gewalt regelmäßig vertragliche Pflichten aussetzen.

Liefervertrag mit Force-Majeure-Klausel
Wenn der deutschem Recht unterworfene Liefervertrag eine Force-Majeure-Klausel aufweist, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob der Rechtsbegriff der höheren Gewalt/Force Majeure im Vertrag näher definiert wurde. Insbesondere wäre zu klären, ob Pandemien, Epidemien und behördliche Verfügungen ausdrücklich erfasst werden. Bei komplexen Lieferketten stellt sich ferner die Frage, ob höhere Gewalt auch dann bejaht werden kann, wenn diese z.B. einen Zulieferer am Anfang der Kette trifft. Hier wird man in jedem Einzelfall die jeweiligen vertraglichen Regelungen der vereinbarten Force-Majeure-Klausel würdigen müssen.

Findet sich in dem Vertrag zwar eine Force-Majeure-Klausel, wird diese aber nicht näher definiert, so ist bei Anwendbarkeit deutschen Rechts regelmäßig auf die Urteile deutscher Gerichte abzustellen. Die Rechtsprechung versteht dabei unter höherer Gewalt ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, dass nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen ist“. Die aktuelle Corona-Pandemie dürfte diese Anforderungen sicherlich erfüllen. Im Reiserecht gibt es ferner diverse Urteile, die Epidemien, insbesondere auch den SARS-Ausbruch 2003 in China, als einen Fall höherer Gewalt angesehen haben.

Lieferverträge ohne Force-Majeure-Klausel – Anwendbarkeit UN-Kaufrecht (CISG)
Ein Vertrag über einen internationalen Warenkauf zwischen zwei Parteien, die ihren Sitz in Mitgliedstaaten des UN-Kaufrecht-Übereinkommens haben, fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts, wenn deutsches Recht vereinbart und das UN-Kaufrecht in dem Vertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde.

Gemäß Art. 79 des UN-Kaufrechts hat „[e]ine Partei … für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, daß die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflußbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und daß von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden“.

Eine Entlastung nach Art. 79 des UN-Kaufrechts wird somit bei nach Vertragsschluss eingetretenen Ereignissen möglich sein, die von außen infolge höherer Gewalt auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners einwirken und daher nicht vom Schuldner zu verantworten sind. Unvermeidbarkeit und Unvorhersehbarkeit müssen auch vorliegen. Dies ist bei Naturereignissen und -katastrophen oder Epidemien regelmäßig der Fall.

Ferner ist eine Entlastung i. S. d. Art. 79 des UN-Kaufrechts auch bei nach Vertragsschluss angeordneten staatlichen Maßnahmen, wie z.B. Embargos, Devisenbeschränkungen, Aus- oder Einfuhrbeschränkungen, Grenzschließungen und Ausgangssperren denkbar.

Wenn der Liefervertrag demnach in den Anwendungsbereich des UN-Kaufrecht fällt, so ist in Fällen von höherer Gewalt der ansonsten gegebene verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer nicht darstellbar.

Lieferverträge ohne Force Majeure-Klausel – Anwendbarkeit deutsches Recht (BGB/HGB)
Enthält der dem deutschen Recht unterstellte Liefervertrag keine Force-Majeure-Klausel und wurde ferner die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts ausgeschlossen (was häufig der Fall ist), so bleibt nur der Rückgriff auf die gesetzlichen Regeln im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Leistungsstörung.

In Betracht kommt hier zunächst die Regelung in § 275 BGB, nach der ein Anspruch auf die Leistung ausgeschlossen ist, wenn diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Weiterhin kann der Lieferant gem. § 275 BGB die Leistung dann verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Man wird in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob tatsächlich die Voraussetzungen der Unmöglichkeit gegeben sind.

Darüber hinaus ist gem. § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) in gewissen Situationen auch eine Vertragsanpassung oder ggfs. ein Rücktritt vom Vertrag denkbar: Dies ist dann vorstellbar, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Historische Fallkonstellationen betrafen gravierende gesellschaftliche Umwälzungen wie z.B. Währungsreformen, Zeiten starker Inflation, die deutsche Wiedervereinigung und die Umbruchphase nach dem 2. Weltkrieg. Aktuell bleibt abzuwarten, wie sich die Coronakrise weiterentwickelt und ob diese in den Anwendungsbereich von § 313 BGB fällt.

Fazit
Die aktuelle Lage hat schwerwiegende Auswirkungen auf Lieferbeziehungen und Supply Chains. Nicht immer wird es möglich sein, mit den Vertragspartnern einvernehmlich kommerzielle Lösungen zu vereinbaren. Um in die Gespräche mit den Lieferanten und Kunden bestmöglich vorbereitet hineinzugehen, empfehlen wir, sich der vertragsrechtlichen Ausgangslage zu vergegenwärtigen. Auf Basis eines umfassenden Verständnisses der vertraglichen Rechte und Pflichten lassen sich die eigenen Interessen sachgerecht vertreten.

In Zeiten der Corona-Unsicherheit macht es Sinn, bestehende Liefer- und Kundenverträge einer kritischen Durchsicht zu unterwerfen. Identifizierte Liefer- und Haftungsrisiken sollten nach Möglichkeit durch Vertragsergänzungen ausgeschlossen werden.

Bei Fragen zu Lieferbeziehungen stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Auch wenn das Vertragsverhältnis einem ausländischen Recht unterworfen wurde, können wir zusammen mit unseren Kollegen aus dem internationalen PwC Legal-Netzwerk schnell Antworten liefern.