Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Inflation und Rentenanpassung: Anstieg des VPI = Höhere Rentenanpassungen – Können Arbeitgeber:innen dem entgegenwirken?

Verfasst von

Dietmar Ketzer

Der Anlass

Die Inflation steigt und damit der Verbraucherpreisindex (VPI). Für Arbeitgeber:innen, die Betriebsrenten nach § 16 Abs. 1 BetrAVG turnusmäßig unter Berücksichtigung des VPI anpassen müssen, bedeutet das steigende Kosten für die betriebliche Altersversorgung. Um die Kosten für die Rentenanpassung möglichst gering zu halten, kommen für Arbeitgeber:innen ein Wechsel des Prüfungsmaßstabs vom VPI zur Nettolohnanpassung sowie die anfängliche oder nachträgliche Einführung der Mindestanpassung von 1 Prozent in Betracht.

Wechsel des Anpassungsprüfungsmaßstabs vom VPI zu den Nettolöhnen vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens

  • 16 Abs.2 BetrAVG sieht als Maßstab für die Anpassungsprüfung durch Arbeitgeber:innen den VPI oder die Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens vor. Welchen Maßstab Arbeitgeber:innen wählen, ist grundsätzlich ihnen überlassen. Auch ein Wechsel des Prüfungsmaßstabs ist im Grunde jederzeit möglich. Wird der Anpassungsbedarf der Renten aktuell mittels VPI berechnet, kann das für Arbeitgeber:innen zu höheren Anpassungskosten führen, als wenn der Anpassungsbedarf im Wege des Nettolohnvergleichs ermittelt wird, denn die Löhne wurden ggf. noch nicht an die Inflation angepasst. Erwägen Arbeitgeber:innen aus diesem Grund einen Wechsel des Prüfungsmaßstabs vom VPI hin zur Nettolohnanpassung, müssen sie tatsächliche (wirtschaftlichen) und rechtliche Voraussetzungen beachten. Insbesondere müssen die folgenden Punkte geprüft werden.
  • Versicherungsmathematisch ist zu ermitteln, ob ein Wechsel des Anpassungsmaßstabs tatsächlich finanziell vorteilhaft für Arbeitgeber:innen ist.
  • Die im Vergleich zur letzten Position des Versorgungsberechtigten im Unternehmen vergleichbare Arbeitnehmergruppe muss bestimmt werden.
  • Der Prüfungszeitraum muss konkret und richtig bestimmt werden. Arbeitgeber:innen müssen dabei die Nettolohnentwicklung der vergleichbaren Arbeitnehmer für die Zeit vom Rentenbeginn beziehungsweise dem letzten Anpassungsstichtag bis zum aktuellen Stichtag betrachten.
  • Der zu vergleichende Nettolohn muss definiert werden. Ausgangspunkt sind die Bruttolöhne der vergleichbaren Arbeitnehmer:innen, jedoch können zum Beispiel die Abzüge innerhalb der Vergleichsgruppe individuell verschieden sein (z. B. je nach Steuergruppe).
  • Zu prüfen ist auch, ob in naher Zukunft ein Anstieg der (Netto-) Löhne zu erwarten ist. So wird ein inflationsbedingter Lohnausgleich aktuell insbesondere für Tariflöhne diskutiert und erwartet.

Wenngleich ein Wechsel des Prüfungsmaßstabs grundsätzlich jederzeit möglich ist, müssen dennoch die weiteren rechtlichen Aspekte beachtet werden:

  • Der Prüfungsmaßstab kann nicht beliebig oft, je nach Günstigkeit, gewechselt werden. Arbeitgeber:innen sollten daher überlegen, welcher Maßstab für sie auf längere Zeit wirtschaftlich sinnvoll sein könnte.
  • Ist der Prüfungsmaßstab in der Versorgungszusage festgelegt, bedarf der Wechsel des Prüfungsmaßstabs grundsätzlich der Zustimmung der Arbeitnehmer:innen –(vertretung). Gegebenenfalls können aber bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer:innen oder Rentner:innen rein tatsächlich nicht erreicht werden, um ihre Zustimmung zu erteilen.

Wird der Prüfungsmaßstab gewechselt, so ist laut Bundesarbeitsgericht (BAG) der Anpassungsbedarf immer von Rentenbeginn an zu prüfen, auch wenn ggf. im laufenden Rentenbezug gewechselt wird.

Dies zeigt: Ja, es kann ein Wechsel des Prüfungsmaßstabs vom Anstieg des VPI zum Anstieg der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmer:innen im Unternehmen erfolgen. Ob das wirtschaftlich sinnvoll und rechtlich möglich ist, bedarf jedoch einer detaillierten Prüfung.

Anfängliche oder nachträgliche Einführung der 1-Prozent-Mindestanpassung

Für Arbeitgeber:innen ist es ebenfalls möglich, sich bereits bei Erteilung der Versorgungszusage oder nachträglich für die 1-Prozent-Mindestanpassung gem. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG zu entscheiden. Wenn sich Arbeitgeber:innen zur 1-Prozent-Anpassung verpflichten, werden sie von der Pflicht zu Anpassungsprüfung gem. § 16 Abs. 1 BetrAVG befreit, das heißt es erfolgt weder eine Anpassung der Renten anhand des VPI noch anhand der Nettolöhne.

Die 1-Prozent-Mindestanpassung bietet den Vorteil, dass keine Anpassungsprüfung erfolgen muss, was zum Beispiel Verwaltungskosten spart. Ferner kann die konstante 1-Prozent-Anpassung gerade in Zeiten hoher Inflation vorteilhaft sein und geringere Anpassungen als die Anpassung nach VPI oder Nettolöhnen bedeuten. Auch für die Arbeitnehmer:innen ist eine konstante Anpassung ihrer Renten aufgrund der dadurch gewonnen Kalkulationssicherheit attraktiv.

Bei erstmaliger Erteilung einer Versorgungszusage können Arbeitgeber:innen frei darüber entscheiden, ob sie die Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG oder die 1-Prozent-Mindestanpassung wählen. Arbeitnehmer:innen oder ihre Vertretung haben kein Mitspracherecht.

Existiert bereits eine Versorgungszusage und möchten Arbeitgeber:innen nachträglich die 1-Prozent-Anpassung einführen, gelten die allgemeinen Regelungen zur Vertragsanpassung. Haben sie sich zuvor zu einer bestimmten Art der Anpassung verpflichtet, ist die Einführung der 1-Prozent-Anpassung gegebenenfalls nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer:innen (-vertretung) möglich.

Einschränkungen bei der nachträglichen Einführung der 1-Prozent-Anpassung kann es gemäß § 30 c Abs. 1 BetrAVG für Zusagen geben, die vor dem 31.12.1998 erteilt wurden. Hier ist eine nachträgliche Einführung der Mindestanpassung gegebenenfalls nicht möglich, was im Einzelfall zu prüfen ist.

Praxishinweis

Die Kostenlast der Arbeitgeber:innen für die betriebliche Altersversorgung kann durch die Wahl des Prüfungsmaßstabs beziehungsweise der Mindestanpassung gesteuert werden. Jedoch empfiehlt sich eine sorgfältige Prüfung und Auswahl des konkreten Prüfungsmaßstabs.