Gesellschaftsrecht

Aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur SE

Gründung einer SE durch Formwechsel – der Bundesgerichtshof konkretisiert bei fehlender Beteiligungsvereinbarung den sog. Auffangtatbestand iSd. § 35 SEBG

Zum Hintergrund:

Die europäische Aktiengesellschaft (SE) ist eine Kapitalgesellschaft, die in allen Mitgliedstaaten der EU und des EWR gegründet werden kann und als Aktiengesellschaft des jeweiligen Sitzstaates gilt. Die SE erfreut sich in Deutschland weiter besonderer Beliebtheit. Zum 30.06.2019 entfielen von den in der EU operativ tätigen 637 SE auf Deutschland 346 SE. Das Spektrum reicht dabei von börsennotierten Gesellschaften bis hin zu mittelständischen Familiengesellschaften.

Mit der SE lassen sich viele Eigenschaften einer Aktiengesellschaft mit der Flexibilität einer GmbH bei gleichzeitiger Kapitalmarktfähigkeit kombinieren. Darüber hinaus steht eine europäische Rechtsform zur Verfügung, deren Satzungssitz innerhalb der EU ohne Auflösung und Neugründung frei verlegt werden kann (Art. 8 SE-VO, §§ 12-14 SEAG). Grenzüberschreitend tätige oder exportorientierte Unternehmen können sich mit der SE zudem als europäische Marke präsentieren. Schließlich liegt die besondere Qualität der SE auch darin, dass mit ihr insbesondere die unternehmerische Mitbestimmung im Konzern – anders als unter den deutschen Mitbestimmungsgesetzen (z.B. DrittelbG, MitbestG) – gestaltet werden kann.

Die Gründung einer SE vollzieht sich nach einheitlichen Regelungen des europäischen Rechts (SE-Verordnung, „SE-VO“), die mit dem SEAG und SEBG in deutsches Recht umgesetzt wurden. Für die Gründung einer SE gilt ein Katalog von Gründungsarten – eine davon ist die Gründung durch Formwechsel einer Aktiengesellschaft. Für den Gründungsprozess gilt, dass die Mitbestimmungssituation der Gesellschaft grundsätzlich vorab mit einem besonderen Gremium der Arbeitnehmer („besonderes Verhandlungsgremium“ oder kurz „bVG“) zu verhandeln und zu vereinbaren ist. Kommt es dabei zu keiner Einigung, greift für die Besetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsrates eine sog. Auffanglösung (§§ 34ff. SEBG) in Form des bisherigen Mitbestimmungsstatuts in der Gesellschaft.

Derzeit besteht Streit darüber, wonach sich die Auffanglösung des § 35 Abs. 1 SEBG richtet, der bestimmt, dass „(…) die Regelung zur Mitbestimmung erhalten [bleibt], die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat.“. Nach einer Auffassung ist der Zustand abzubilden, der tatsächlich vor dem Formwechsel in die SE in der Gesellschaft praktiziert wurde (sog. „Ist-Zustand“; so auch LG Frankfurt und LG München I). Die Gegenauffassung stellt dagegen bei fehlender Einigung mit dem bVG allein darauf ab, welches Mitbestimmungsstatut im Sinne eines sog. Soll-Zustands bei richtiger Anwendung der einschlägigen Mitbestimmungsgesetze im Aufsichtsrat/Verwaltungsrat hätte umgesetzt werden müssen.

Gegenstand der Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich nun erstmalig mit dieser Rechtsfrage auseinandergesetzt (Beschluss vom 23.07.2019, Az. II ZB 20/18).

Antragsgegnerin im o.g. Verfahren ist die Deutsche Wohnen SE, deren Gründung im Wege der formwechselnden Umwandlung ohne Beteiligungsvereinbarung mit einem bVG im Juli 2017 in das Handelsregister eingetragen wurde. Auf Antrag von Prof. Erzberger, der hier wie auch in vielen weiteren Statusverfahren als Antragssteller in Erscheinung trat, wurde noch vor der Eintragung des Formwechsels vor dem LG Frankfurt in 1. Instanz ein Statusverfahren zur Überprüfung des Mitbestimmungsstatuts der AG vor ihrer Umwandlung eingeleitet.

Zum Stichtag der Eintragung des Formwechsels ins Handelsregister beschäftigte die Gesellschaft 205 Mitarbeiter. Entsprechend setzte sich der bei der Antragsgegnerin bestehende SE-Aufsichtsrat – ebenso wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung – ausschließlich aus Vertretern der Aktionäre zusammen. Zwischen den Beteiligten war nun streitig, ob der SE-Aufsichtsrat richtigerweise mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen sei, weil die Arbeitnehmer einer 49-
prozentigen Beteiligungsgesellschaft als Konzerngesellschaft in die Schwellenwertberechnung der Mitbestimmungsgesetze einbezogen werden müssen. Gemeinsam mit den Arbeitnehmern in den anderen Konzerngesellschaften, so der Antragsteller, begründe sich nämlich daraus ein entsprechendes paritätisches Mitbestimmungsstatut bei der Antragsgegnerin als Konzernspitze. In der Folge wäre daher ohne abweichende Beteiligungsvereinbarung mit einem bVG der SE-Aufsichtsrat ebenfalls mitbestimmt zu besetzen gewesen.

Während das LG Frankfurt den Antrag noch zurückgewiesen hatte (Beschluss vom 23.11.2017, Az. 3-05 O 63/17), hob das OLG Frankfurt als Beschwerdegericht (Beschluss vom 27.08.2018, Az. 21 W 29/18) den Beschluss auf und verwies die Sache an das LG Frankfurt zurück. Hiergegen wandte sich die Deutsche Wohnen SE mit der Rechtsbeschwerde.

Entscheidung des BGH

Im Ergebnis hat der BGH die Sache zur weiteren Entscheidung an das LG Frankfurt als Ausgangsinstanz zurückgewiesen.

Die o.g. Rechtsfrage zur Geltung des Ist- oder Soll-Zustands hat der BGH ausdrücklich offengelassen. Er stellt jedoch für diesen Fall fest, dass sich bei Einleitung eines Statusverfahrens noch vor Eintragung der SE die Auffanglösung danach richtet, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (§§ 34 ff. SEBG) richtigerweise zusammenzusetzen war. Mit Blick auf den Kontinuitätsgrundsatz ist für diesen Fall also der Soll-Zustand maßgeblich, da der durch das Statusverfahren ermittelte Zustand den vor der Umwandlung bestehenden “Ist-Zustand” mitprägt. Das anhängige Statusverfahren nimmt der bis dahin praktizierten Regelung ihre Verbindlichkeit für den Mitbestimmungsstatus der SE und öffnet die bisherige Handhabung für eine Korrektur.

Auswirkungen der Entscheidung

Die Entscheidung des BGH hat für die Praxis eine hohe praktische Relevanz. Auch wenn der BGH keine allgemeine Entscheidung zur Geltung des Ist- oder Soll-Zustands in SE-Gründungs-verfahren getroffen hat, so wird jedenfalls klargestellt, dass das Ergebnis eines während des Gründungsverfahrens eingeleiteten Statusverfahrens die Rechtslage in der SE noch mitprägt.

Zudem hat der BGH die Anwendbarkeit der Regelungen zum Statusverfahren an sich (§§ 98ff. AktG) auf eine SE sowie die Beschwerdebefugnis der SE im Rahmen eines Statusverfahrens trotz Nicht-Nennung in § 98 Abs. 2 AktG bejaht.

Wie der BGH zur Geltung des Ist- oder Soll-Zustands in SE-Gründungsverfahren entscheiden wird, ist derzeit noch offen. Der o.g. Rechtsstreit wird sich jedenfalls nunmehr an der aktuellen Entscheidung des BGH weiterentwickeln. Mit Blick auf die Überprüfbarkeit des Ist-Zustandes durch die Einleitung eines Statusverfahrens vor Beendigung des SE-Gründungsprozesses, sollte jede Gesellschaft eine rechtzeitige Prüfung des Mitbestimmungsstatus angehen, um evtl. Strukturierungsoptionen rechtssicher nutzen zu können.

Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen der SE-Gründung und Mitbestimmung!